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"Ich habe mein Leben nie wirklich geplant"

Seit mehr als 20 Jahren ist sie das Gesicht des alternativen Kölner Karnevals: Biggi Wanninger (60) führt die legendäre Stunksitzung an, die seit 1984 Politik, Gesellschaft und organisierten Sitzungskarneval provoziert und persifliert. Als sie 1999 Sitzungspräsidentin wurde, war sie weit und breit die erste und einzige. Ein Gespräch über Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit, Männerdomänen und Frauenrollen in Karneval und Kirche.

Von Jutta Laege

Frau und Mutter: Die erste weibliche Sitzungspräsidentin - das war 1999 eine Sensation. Wie haben Sie das empfunden und wie sehen Sie es heute?

Biggi Wanninger: Mich hat damals sehr gewundert, dass das in der Öffentlichkeit alle für etwas Besonderes hielten. Ich fand das gar nicht. Weil nicht entscheidend war, welches Geschlecht ich habe, sondern wozu ich Lust habe. Ich hab' mich damals auch selber ins Spiel gebracht.

Ich habe gesagt: Ich kann mir das vorstellen, dass ich das kann, und will es versuchen. Dann habe ich eine Moderation geschrieben und dann war's gut! Es war ein wichtiger Schritt, es selber anzusprechen und nicht darauf zu warten, dass mich jemand vorschlägt. Für die Stunkerinnen und Stunker war es auch kein Thema. Gesellschaftlich war es eins, und das ist es ja bis heute.

Und wenn Frauen dorthin wollen, wo vorher nur Männer waren, hängt es natürlich auch davon ab, ob die Kerle bereit sind, ihre Plätze zu räumen.

20 Jahre können nicht lügen ... also haben Sie vieles richtig gemacht.

(lacht) Ja, ja, das denke ich auch. Ich war am Anfang natürlich nervös. Ich hatte ja auch sehr gute Vorgänger wie Jürgen Becker und Reiner Rübhausen. Mit den Jahren habe ich natürlich viele Erfahrungen gemacht - aber das ist ja auch normal.

Was gehört zur Rolle der Sitzungspräsidentin?

Ich bin gleichberechtigtes Ensemblemitglied wie alle anderen auch, auch wenn ich fürs Publikum den Hut aufhabe. Ich führe durch die Sitzung, weil man jemanden braucht, der einen begleitet durch den Abend. Aber genau genommen sind wir ein großes Kollektiv. Wir haben keinen Chef oder Chefin. Wir entscheiden alle wichtigen Dinge gemeinsam.

Politik, Wirtschaft, Karneval - wie weit sind wir als Gesellschaft im Kampf für die Frauen?

Nehmen wir mal das Ministerium für Familie, Jugend, Senioren ... und Frauen. Solange dieses "... und Frauen" da noch steht, sind wir noch lange nicht da, wo wir sein müssten. Es ist schon sehr irritierend, dass es immer noch eine besondere Betreuung oder Aufmerksamkeit braucht. Und ich habe leider fast das Gefühl, dass die Fortschritte, die wir erreicht haben, wieder rückläufig sind. An vielen Stellen in der Gesellschaft wird wieder ein sehr traditionelles Frauenbild gelebt und nach vorne geschoben. Die Werbung ist immer noch voll mit Supermodels. Wo ich mir denke, welche Frauen sehen soooo aus? Kinder, was da propagiert wird!

Denken wir nur an das Konzept von "Germany's next Topmodel". Bestes "Material" für eine Stunksitzung ...

Ja, Heidi Klum habe ich letztes Jahr auch mal kurz zwischen gehabt. Wir gucken ja nicht speziell nach Frauenthemen, es ergeben sich aber immer wieder welche. Zum Beispiel wurden bei der Wahl der neuen SPD-Doppelspitze immer zuerst die Männer genannt. Ich habe mir dazu notiert: Die SPD-Kandidaten und ihre Gespielinnen ...

Die Ansprache ist männlich, dabei ertappen sich sicherlich noch viele ... auch Frauen!

Ich achte darauf schon sehr lange! Vor 35 Jahren habe ich Theaterseminare gegeben, oftmals haben nur Frauen teilgenommen. Und wenn ich sagte: "Jetzt nimmt sich jeder mal einen Partner", merkte ich, dass das nicht geht.

Damals habe ich mir angewöhnt, alle Anwesenden in der richtigen Form anzusprechen. "Leev Jeckinnen und Jecken" - es macht wirklich keine Mühe. Aber es ist wichtig, es immer wieder zu tun - in der Unterhaltung, auf der Bühne, in den Medien -, mir fällt auf, wie oft wir Frauen immer noch unter den Tisch fallen.

Die Kölner Karnevalisten haben es ja in Sachen Gleichberechtigung noch nicht weit gebracht. Da ist ja sogar die Jungfrau ein Mann ...

Es gibt inzwischen ein paar Frauen - im Festkomitee im letzten Jahr gab es einen weiblichen Elferrat bei einer Fernsehsitzung. Also, der traditionelle Karneval bewegt sich langsam. Die Karnevalisten wissen, dass sie aus den verkrusteten Strukturen so langsam raus müssen. Die sind ja nicht blöd. Aber, es ist wie auf anderen Feldern auch: Man rüttelt nicht so gerne an Traditionen.

Dann feiern Frauen eben für sich - kaum etwas boomt so, wie die so genannten Mädchensitzungen.

Es ist schon absurd. Im Publikum sind nur Frauen - und auf der Bühne sind nur Männer. Im Sitzungskarneval kommen Frauen auf der Bühne fast nicht vor. Entweder es ist ihnen zu blöd, oder sie trauen sich nicht in die Männerdomäne. Das ist im Kabarettbereich ähnlich. Alleine auf der Bühne - da sind die Männer einfach selbstbewusster. Die machen sich nicht so viele Gedanken darüber: Ist das gut, ist das schlecht? Ecke ich an? Wie sehe ich aus? Und ich glaube, sie halten sich auch eher für die Welterklärer.

Frauen sind da differenzierter und vorsichtiger in ihren Urteilen und Einschätzungen. Was ich persönlich gut finde.

In der katholischen Kirche gibt es auch Nachholbedarf in Sachen Frauenfragen. Schauen Sie auch auf Kirchenthemen?

Das haben wir ja immer getan. Kardinal Meisner war unser bester Gag-Lieferant. Und wir waren dann ein bisschen "traurig", als er ging. Ich verfolge natürlich die aktuellen Diskussionen um die Rolle der Frauen in der Kirche. Den Kirchenstreik im letzten Jahr fand ich super. Und in unserem aktuellen Programm kommt das Thema auch vor: Maria spricht zu uns. Da geht es auch richtig ans Eingemachte.

Aber unabhängig davon wünsche ich den Frauen natürlich, dass sie da ein bisschen weiterkommen und Erfolgserlebnisse haben werden. Auf jeden Fall sollten sie sich nicht entmutigen lassen.

Was bedeutet für Sie, "jeck" zu sein?

Ich übersetze "jeck sein" gern auch mit "ver-rückt" sein, im Sinne von neben der Spur, neben dem Alltag, neben den Regeln. Dahinter steckt ja der eigentliche karnevalistische Gedanke: Der Bettler wird zum Prinz, der Prinz zum Bettler. Die Verhältnisse werden auf den Kopf gestellt. Wir bei der Stunksitzung gucken uns die gesellschaftlichen Verhältnisse an. Sind die richtig so oder müssten die anders sein, und wenn ja, wie anders?

Künstlerische Freiheit, Meinungsfreiheit - all dies sind gerade schwer zu fassende Themen. Wie weit darf man gehen?

Es heißt ja, jeder Jeck ist anders. Das sollten wir erstmal so annehmen. Aber es gibt Grenzen. Gewaltverherrlichung und rassistische Äußerungen können geahndet werden, das sieht das Grundgesetz vor. Man sollte aber dann auch mal damit anfangen, zu ahnden! Und was die eigene Meinungsbildung betrifft ... ich denke, wir sollten uns vor Schnellschüssen hüten.

Ich lasse mir in der öffentlichen Meinungsäußerung auch gerne ein paar Tage Zeit, um nachzudenken, um umfassendere Informationen einzuholen. Natürlich - manchmal muss man schnell reagieren. Ich erinnere mich an den Anschlag auf "Charlie Hebdo" im Januar 2015 - da lief die Stunksitzung ja schon. Wir hatten zu der Zeit eine Nummer, wo wir Islamisten durch den Kakao gezogen haben. Das war richtig heftig. Unsere Haltung zu diesem Attentat war natürlich klar und eindeutig - da mussten wir nicht lange nachdenken.... 

Verrohung und Radikalisierung haben generell deutlich zugenommen. Inwieweit beeinflusst das Ihre Arbeit?

Wir haben keine Angst, Themen wie Rechtsradikalismus, Rassismus oder Islamismus aufzugreifen. Das Problem ist manchmal, dass man sie nicht in allen Facetten darstellen kann. Wir leben ja von der Überspitzung und Überhöhung. Natürlich haben wir auch schon Drohungen erhalten. Übrigens sind wir nicht in den sozialen Medien unterwegs.

Viele dieser ganzen Shitstorms und Hasskommentare werden ja, wie wir wissen, von Trollen (Anm. d. R.: Provokateure im Internet) und von gefälschten Accounts losgeschickt, um Stimmung zu machen. Es ist eine Art von psychologischer Kriegsführung. Das sollten wir uns klarmachen. Ich bin sicher, es ist nicht die Mehrheit der Bevölkerung, die so denkt.

Was ist auch nach so langer Amtszeit für Sie immer noch so reizvoll am alternativen Karneval und an der Stunksitzung?

Es strukturiert ein bisschen mein Leben. Ich weiß, ich habe ein halbes Jahr mehr oder weniger frei. Und ab Ende August bin ich wieder in geregelten Bahnen. Und ich habe dort das Gefühl von Heimat und Familie. Das gibt eine große Sicherheit. Ich werde aufgefangen in jeglicher Hinsicht. Mein Vater ist in der vorletzten Stunksitzungs-Saison gestorben. Das war sehr schwer, aber ich wusste, ich kann zu meiner Gruppe kommen, und ich wurde gestützt. Das ist ein Geschenk.

Was machen Sie, wenn Sie mal nicht mehr Sitzungspräsidentin sein wollen?

Puh! Das weiß ich gar nicht. Ich stelle mir natürlich in letzter Zeit häufiger die Frage. Ich muss aber auch dazu sagen, dass ich mein Leben nie wirklich geplant habe. Ich bin durch Fügung, durch Interesse, durch Offenheit dahin gekommen, wo ich jetzt bin. Ich habe studiert, Theater gespielt, Musik gemacht, als Sprecherin und Fernsehschauspielerin gearbeitet. Vieles hat sich einfach ergeben. Und vieles davon mache ich ja auch heute noch außerhalb der Stunksitzung.

Natürlich denken wir Stunker und Stunkerinnen auch darüber nach, wie es mit der Stunksitzung weitergehen soll. Viele von uns sind ja nun schon um die 60. Und ich kann ja nicht sagen, die Männer machen die Plätze nicht frei, während ich am Stuhl klebe! 20 Jahre, das ist schon lang. Es wird also auf mich zukommen, dass ich den Platz verlasse. So ist das Leben.

Ihr Lebensmotto?

Schlechte Laune ist echt Zeitverschwendung.

Stand: 03.02.2020