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Serie: Meine wichtigste Bibelstelle

Bibelverse können berühren, ermutigen, verwundern, bereichern. Was bedeuten sie aber jeder und jedem Einzelnen? In unserer neuen Serie haben wir Theologinnen und Theologen gebeten, uns ihre wichtigste Bibelstelle zu nennen und zu erklären, was sie daran fesselt und begeistert.  

Alle Folgen im Überblick

Gewissheit, Zuversicht und Trost:
Alles hat seine Zeit

Folge 11: Diana S. Freyer, Zweite Vorsitzende von AGENDA - Forum katholischer Theologinnen

Kohelet 3,1-8

1 Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit:
2 eine Zeit zum Gebären und eine Zeit zum Sterben, eine Zeit zum Pflanzen und eine Zeit zum Ausreißen der Pflanzen,
3 eine Zeit zum Töten und eine Zeit zum Heilen, eine Zeit zum Niederreißen und eine Zeit zum Bauen,
4 eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen, eine Zeit für die Klage und eine Zeit für den Tanz, 5 eine Zeit zum Steinewerfen und eine Zeit zum Steinesammeln, eine Zeit zum Umarmen und eine Zeit, die Umarmung zu lösen,
6 eine Zeit zum Suchen und eine Zeit zum Verlieren, eine Zeit zum Behalten und eine Zeit zum Wegwerfen,
7 eine Zeit zum Zerreißen und eine Zeit zum Zusammennähen, eine Zeit zum Schweigen und eine Zeit zum Reden,
8 eine Zeit zum Lieben und eine Zeit zum Hassen, eine Zeit für den Krieg und eine Zeit für den Frieden.

Alles hat eine Zeit. Ein jegliches Vorhaben hat eine Stunde. Das klingt beruhigend, gut sortiert. Pflanzen und Ernten, Schweigen und Reden, alles zu seiner Zeit. Geboren werden und Sterben, dazwischen das Leben, womöglich ein langer, ruhiger Fluss.

Zugleich ist der Text auch irritierend schonungslos. Lieben und Hassen, Töten und Heilen. Wieso auch eine Zeit des Kriegs, was kann daran gut sein? Wieso soll zu hassen zum Leben gehören wie zu lieben?

Ja, eigentlich soll Frieden sein. Immer. Aber so ist mein Leben nicht und ich muss bestürzt erkennen, dass es in der Welt immer auch Krieg gibt und Elend, Hass und Verzweiflung. Der Fluss des Lebens führt dann gefährliches Hochwasser, Ertrinken droht.

Aber auch wenn ich durch solche Zeiten gehe, da mir das Wasser bis zum Hals steht, versuche ich, mich daran festzuhalten. Streit. Und dann wieder Frieden, wenn auch mühsam. Trauer. Und dann wieder Tanzen, wenn auch nicht gleich. Versprochen ist, dass das Leben nicht stehenbleibt in Trostlosigkeit.

Es wird auch die anderen Zeiten geben mit Versöhnung, Regenbogen, Land in Sicht. Hoffnung darf sein, manchmal so unerträglich kümmerlich, aber doch Hoffnung darauf, dass wieder Licht wird.

Im Herzen eine kleine Staumauer bauen, um Glück und Erinnerung hineinfließen zu lassen und zu bewahren."

Und wie oft stehe ich auf der Sonnenseite des Lebens! Ich erfahre sie, diese Zeit der Freude, des Jubels. Wenn die Sonne glitzernd aufs Wasser scheint. Wenn ich ausgelassen plansche im Lebensfluss, geflutet von Liebe, Wärme und Licht. Vielleicht ist es gut, dann im Herzen eine kleine Staumauer zu bauen, um Glück und Erinnerung hineinfließen zu lassen und zu bewahren.

Keineswegs bin ich immer zuversichtlich einverstanden, keineswegs bin ich immer schon versöhnt mit dem, was mir passiert. Gerade schwimme ich noch ruhig, und dann wird plötzlich die Strömung stark und entreißt mir einen Menschen. Den ich halten wollte, lange noch.

Unbegreiflich ist dann, warum Unglück eine Zeit hat. Womöglich kann dann tröstlich sein, aus dem Herzensstausee zu schöpfen. Um - zu einer Zeit - wieder vage zu ahnen, dass der Schmerz erträglich wird. Dass ich ihn tragen kann. Mit ihm leben, weiterleben.

Leben, das ist Kommen und Gehen, ist Aufheben und Wegwerfen. Es gibt eine Zeit zu umarmen und eine Zeit, die Umarmung zu lösen. Wir begegnen einander, vertrauen uns an, fließen ineinander und über vor Glück. Und dann wieder bleiben Menschen am Ufer zurück, während ich weiterziehe. Auch das ist Lebensfluss, bewahren und loslassen, gehenlassen können und selbst aufbrechen.

Kommt es also ohnehin, wie es kommt? Sollte ich mich vielleicht einfach entspannt zurücklehnen, aufhören mit dem Suchen und Fragen, mich einfach treiben lassen im Lebensfluss?

Ich glaube, Gott sieht vor, aber er bestimmt nicht vorher."

Ich fürchte, das wird nichts werden. Denn es ist ja gerade nicht so, dass alles schon klar ist, egal was ich tue oder lasse. Ich glaube, Gott sieht vor, aber er bestimmt nicht vorher. Das macht einen Unterschied!

Ungezählte Möglichkeiten schenkt mir Gott auf meinem Weg, er bietet sie an, er sieht sie vor. Ob ich sie bemerke, mich dafür oder dagegen entscheide, das liegt an mir.

Welchem Menschen ich begegne, das ist nicht vorauszusehen. Aber wenn ich ihm begegne, ist es an mir, ihn anzusehen oder vorüberzugehen. Ob ich zu hoffen wage, dass nach Schmerz auch Freude kommt, ob ich gelassen sein kann, auch wenn es gerade nicht so gut läuft, ob ich vertrauen kann, dass am Ende manches Sinn hat, auch wenn es zunächst überhaupt nicht danach aussieht, das liegt an mir.

Mein Leben gestalten, so oder so, das muss, ja, das darf ich selbst. Mich dabei ein wenig häufiger gelassen zurückzulehnen, das ginge schon noch. Auch warten zu können auf den rechten Augenblick, in der Gewissheit, dass er kommt. Mehr im Fluss sein. Denn dieser große Gott bleibt zugewandt, was immer mich im Leben gerade betrifft.

Auf dem Weg durchs Leben werde ich immer wieder entscheiden, wohin ich gehe, und jeder Schritt ist ein Versuch. Beim Suchen darf ich klagen und kann ich tanzen. Ich kann zu trösten versuchen, die trauern, und mit denen lachen, die jubeln.

Denn dieser große Gott bleibt zugewandt, was immer mich im Leben gerade betrifft."

Es ist nicht gleichgültig, was ich tue und wie ich es tue. Wahrhaftig zu sein beim Umarmen, genauso wie beim Lösen der Umarmung, das ist entscheidend. Und ob ich bete, im Weinen wie im Jubeln, das ist nicht einerlei.

Das Leben ist ein langer, ruhiger Fluss. Mit Strudeln und Stromschnellen trotzdem. Mal schmales Rinnsal und mal majestätischer Strom. Das Leben kennt verschiedene Zeiten und hat für alles eine Zeit, um in der Summe ganz zu sein. Der Fluss fließt, unaufhaltsam und beharrlich. Ich kann mich getrost und gewiss hineinbegeben. Voller Zuversicht treibe ich dem Meer entgegen in seiner Weite und Schönheit. Direkt hinein in Gottes Ewigkeit.

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Stand: 26.10.2020