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Frau und Mutter

Briefe von Eva & Co.

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Wenn Frauen aus der Bibel heute mit uns Kontakt aufnehmen könnten, was würden sie uns sagen wollen? Kolumnistin Susanne Niemeyer hat es zu Papier gebracht: Briefe von Eva & Co. an Frauen von heute.   

LETZTE FOLGE (21): Elisabet

Ihr Lieben,

ich war ausgetrocknet. Kein Leben in mir. Ich habe gebetet. Gott antwortete nicht. Aber ich habe ihm keine Ruhe gelassen. Ihm, dessen Namen ich nicht kenne. Allmächtiger nannte ich ihn, als ich jung war und das Wunder nur für eine Frage des richtigen Glaubens hielt. Es blieb aus. Ich verstand nicht und begann, die Schuld bei mir zu suchen.

Herr, rief ich damals, strafe mich nicht für Vergehen, von denen ich nicht weiß. Gott schwieg. Ich begann, mit dem Gefühl zu leben, dass etwas Grundlegendes an mir falsch sein müsse. So wurde ich stiller und stiller.

Aber Gott ließ sich auch nicht herbeischweigen. Da weinte ich und bat um Trost, wie eine Mutter trösten würde. Die Sonne legte sich wie ein Mantel auf meinen Rücken und der Schlaf wiegte mich in sanften Träumen.

Nur das Wunder - das blieb weiterhin aus. Die Jahre vergingen. Meine Gebete wurden Routine, ich hielt mich an ihnen fest, während ich Wäsche faltete und den Gartenzaun strich. Ohne sie hätte der Alltag mich verschlungen. Unbekannter, sagte ich, weil ich ihn nicht verstand.

Eines Morgens wachte ich auf und sah eine Fremde im Spiegel. Ihr Haar war grau. Eine tiefe Falte hatte sich in ihre Stirn gegraben. Die Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Aus tieftieftraurigen Augen sah sie mich an. Ich erschrak.

Ich hatte ein solches Mitleid mit ihr, dass mein Herz zu glühen begann. Ich wollte sie halten, ich wollte ihr Mut zuflüstern, ich wollte ihr Grüße des Lebens ausrichten, das sehnsüchtig auf sie wartet.

Da ließ ich los. Ich verabschiedete meine Wünsche. Komme, was wolle, betete ich und Gott atmete auf. An diesem Morgen öffnete ich mich für das Leben. Und es kam.

Eure Elisabet

 

Mit Elisabets Geschichte beginnt das Lukas-Evangelium. Selber aus einem Priestergeschlecht stammend, ist Elisabet mit dem Priester Zacharias verheiratet. Beide halten sich an die Gebote Gottes, an ihrem Leben, so wird erzählt, ist nichts auszusetzen.

Dennoch bleibt ihre Ehe kinderlos. Im Verständnis der damaligen Zeit ist das ein Zeichen dafür, dass Gott sich von ihnen abgewandt hat. In der Antike ging man davon aus, dass die Ursache für die Kinderlosigkeit stets bei der Frau und nicht beim Mann lag.

Daher hat Elisabet allein die Schande zu tragen. Als beide schon hochbetagt sind, kündigt ein Engel Zacharias an, dass seine Frau einen Sohn zur Welt bringen wird, der den Namen Johannes trägt. Weil der Priester Zacharias zweifelt, wird er bis zur Geburt seines Sohnes stumm.

Gott bringt die offizielle Theologie zum Schweigen. Der Rest ist Frauensache: Lukas erzählt, dass die ebenfalls schwangere Maria zu Elisabet kommt und drei Monate bleibt. Eine unfruchtbare Frau und eine Jungfrau werden schwanger: Beides sind gängige Sagenmotive, die zwei Dinge deutlich machen: Bei Gott ist nichts unmöglich. Und Gottes Zeitpläne sind oft andere als die seiner Menschen.

FOLGE 20: Sophia

Liebe Menschenkinder,

das Leben ist ein Spiel. Ich weiß, wovon ich rede. Denn ich bin die Weisheit. Mein Name ist Sophia. Ich habe schon gespielt, da wart ihr noch gar nicht auf der Welt.

Am Anfang, vor aller Zeit, noch bevor Gott Himmel und Erde machte, war ich bei ihm. Ich bin seine Gefährtin von Anfang an. Ich spielte vor ihm. Gedankenverloren und selbstvergessen. Niemandem musste ich etwas beweisen. Täglich wuchs ich über mich hinaus.

Das Leben ist ein Spiel. Ein heiliges Spiel. Es geht nicht ums Gewinnen oder Verlieren, sondern darum, dabei zu sein. Habt keine Angst. Das Gegenteil des Spiels ist nicht der Ernst. Es ist der Zwang, die Verbissenheit.

Ihr kennt die schlechten Verliererinnen. Die verbissenen Kämpfer. Die halbherzigen Mitspielenden, die Sorge haben, sich zu blamieren. Spielen kann man nur freiwillig. Leben auch.

Ich zeige euch, wie das geht: das Leben leicht, aber nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Das Leben ist ein Spiel. Spielt mit. Seid dabei. Gebt euer Bestes. Findet Mitspieler und Mitspielerinnen. Mischt die Karten täglich neu. Fangt den Ball. Malt Zeichen in den Sand. Lernt mit Möglichkeiten zu jonglieren. Werdet wie die Kinder. Dann gehört euch das Himmelreich.

Eure Sophia

 

Die Weisheit ist weiblich. In der Bibel stellt sie sich in den Sprüchen Salomos als Frau Weisheit (griech. Sophia) vor und erscheint eigenständig und facettenreich. Sie steht an den belebten Plätzen der Stadt, sie lädt die Einfältigen und Unerfahrenen ein, ihr zu folgen.

Mal ist sie gute Ratgeberin, mal Prophetin. Sie ist das erste Geschöpf Gottes, sie war da, bevor die Erde gemacht wurde. Im achten Kapitel erfreut sie Gott mit ihrem Spiel: "Ich war seine Lust und spielte vor ihm allezeit. Ich spielte auf seinem Erdkreis und hatte meine Lust an den Menschenkindern."

Das Buch der "Weisheit Salomos" erzählt von ihr als Geliebte Gottes, "da sie mit Gott zusammenlebt und der Herr des Alls sie liebt. Denn sie ist eingeweiht in Gottes Wissen und wählt seine Werke aus" (Kapitel 8,2).

In hellenistischer Zeit war der Einfluss Ägyptens, Griechenlands und des Orients auf das Judentum sehr stark, weshalb man in der Gestalt der Sophia gerade im Buch der Weisheit die Züge antiker Göttinnen erkennen kann.

FOLGE 19: Zehn Frauen mit den Lampen

Ihr Lieben,

wir schreiben euch gemeinsam. Das wird manche von euch überraschen. Wir sind die Törichten und die Klugen. Wir sind die Versorgerinnen und die Leichtfertigen. Wir sind die Richtigen und die Falschen. Wir sind die einen und die anderen.

Die Hälfte von uns hat vorgesorgt. Hat morgens gebetet und abends Yoga gemacht. Hat nach dem Sinn des Lebens gefragt und an die Altersvorsorge gedacht. Die Hälfte von uns ist achtsam gewesen und hat ihres Herzens Ohr geneigt.

Die andere Hälfte ist ausgebrannt. Hat sich um alles gekümmert, nur nicht um ihre Seele. Hat drei Kinder großgezogen und die kranke Tante gepflegt. Hat einen Berg Wäsche vor sich hergeschoben, mal das eine, mal das andere begonnen, sich verzettelt, vieles auf später verschoben.

Die einen leuchten. Die anderen stehen im Dunkeln. Draußen vor der Tür, während drinnen das Fest beginnt.

Lasst uns Klopfzeichen vereinbaren. Wenn die einen nicht mehr können, helfen die anderen aus. Wenn die einen nur noch schwarzsehen, holen die anderen sie ins Licht.

Wenn die einen merken, es ist zu spät, spenden die anderen Trost. Wenn die einen anklopfen, dann tun die anderen ihnen auf. Wir gehören zusammen. Jede ist mal stark und jede ist mal schwach.

Jede tut mal Törichtes - die eine mehr, die andere weniger. Zusammen sind wir das Licht der Welt und leuchten. Eine für alle. Alle für eine.

Eure zehn Frauen mit den Lampen

 

Das Gleichnis von den zehn Frauen gehört zu den so genannten "Endzeitreden", nur Matthäus erzählt es im 25. Kapitel.

Diese Reden suchen nach einer angemessenen Lebensweise in einer verwirrenden Zeit: Als das Evangelium aufgeschrieben wurde, warteten die judenchristlich geprägten Gemeinden auf das Ende der Welt. Während die klugen Jungfrauen vorgesorgt haben, sind die Fackeln der Törichten ausgebrannt.

Der Bräutigam schlägt ihnen die Tür vor der Nase zu. Das Fest beginnt ohne sie. Die Geschichte war den Zuhörenden vertraut: Wenn Hochzeit gefeiert wurde, holten junge Frauen die Braut in das Haus des Bräutigams. Eine verschlossene Tür muss auch damals verstörend gewesen sein.

Sie scheint im Gegensatz zu einem anderen Jesus-Wort zu stehen: "Ich bin die Tür; wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden" (Johannes 10,9). Es gibt viele literarische Neudichtungen des Gleichnisses. Berühmt ist die des griechischen Schriftstellers Nikos Kazantzakis: "Was würdest du tun, wenn du der Bräutigam wärest, Nathanael?", fragte Jesus und richtete seine großen dunklen Augen auf ihn.

Nathanael schwieg. Er sah noch nicht ganz klar, was er tun sollte. Teils wollte er sie fortjagen, das Tor war ja verschlossen, so gebot es das Gesetz, teils taten sie ihm leid, und er wollte ihnen öffnen ... "Ich würde öffnen", sagte er leise, damit der Dorfälteste ihn nicht hören sollte. Er konnte seinem Blick nicht widerstehen. "Recht getan, Nathanael", sagte Jesus froh und streckte seine Hand aus, als ob er ihn segnete.

FOLGE 18: Protokoll einer Heilung

Ihr Frauen,

ich blute immer. Es hört nicht auf. Ich schäme mich. Es ist kein normales Blut. Es ist da unten. Ihr wisst schon. Über sowas spricht man nicht. Nur manchmal, Andeutungen am Ende eines Kaffeeklatschs. Halblaut ausgetauscht, wenn die ersten schon im Aufbruch sind. Kein Thema für die Öffentlichkeit.

Damit musst du klarkommen, Kind. Beim Schwimmunterricht auf der Bank sitzen. Die Jungs feixen. Machen einen Bogen. Verschämt wandern Tampons von Hand zu Frau. Bitte diskret. Männer davon verschonen. Eine Frau hat rein zu sein.

Mit mir ist was verkehrt. Ich blute manchmal wochenlang. Immer die Angst: roter Fleck auf weißem Rock. Ich laufe aus. Im Fernsehen verdruckste Werbung. Binden nehmen blaue Flüssigkeit auf. Bloß kein Blut. Nicht zumutbar, dann schon lieber Mord, Krieg, Action. Das ist anderes Blut. Heldenblut. Sowas geht. Lass die Sahne, sagt Oma. Die wird sauer. Ich verkrieche mich in mir. Immer mehr.

Dann höre ich von einem, der Wunder vollbringt. Der keine Berührung scheut. Dem nichts schirch ist. Ein Mann. Trotzdem denke ich: Der oder keiner. Reden traue ich mich nicht. Also berühre ich ihn. Nur kurz, von hinten. Beiläufig im Gedränge. Er spürt es und dreht sich um. Ich will mich wegducken und kann nicht. Erzähl alles, sagt er. Du brauchst dich nicht zu schämen. Niemals. Und ich erzähle und spüre, wie etwas heilt. Blut ist wirklich nichts, vor dem man Angst haben muss. Er schon gar nicht. 

Eine Frau wie alle Frauen

 

Die Geschichte von der "blutflüssigen Frau" ist von Matthäus, Markus und Lukas aufgeschrieben - jeweils mit kleinen Unterschieden. Seit 12 Jahren litt sie unter ihrer andauernden Blutung.

Nach damaligem Verständnis galt eine menstruierende Frau als unrein und durfte den Tempel nicht betreten. Im aufkommenden Christentum galten die alttestamentarischen Menstruationsvorschriften eigentlich nicht mehr.

Aber bereits 241 schrieb der Erzbischof von Alexandria: "Menstruierende Frauen sollten sich nicht dem Tisch des Herrn nähern, das Allerheiligste berühren oder eine Kirche betreten."

Bis 1916 galt: Frauen dürfen während ihrer Monatsperiode die Kommunion nicht empfangen (Corpus Iuris Canonici). Bis ins 20. Jahrhundert hinein wurde dem Menstruationsblut nachgesagt, es könne Most und Wein sauer machen, Bier umschlagen, Milch gerinnen und Pflanzen, vor allem Setzlinge, verdorren lassen.

FOLGE 17: Die suchende Frau

Ihr Lieben,

Gott ist eine Frau, die kein eigenes Konto hat, nur ein bisschen Kleingeld in der Tasche. Gott ist eine Frau, die zum Besen greift und keine Angst hat vor Staub, Dreck und Kellerasseln.

Gott ist eine Frau, die ein Licht anzündet, damit es hell wird auch in den dunkelsten Ecken. Gott ist eine Frau, die etwas verloren hat und sich nicht die Schuld gibt und sich nicht beschimpft und sich auch nicht schämt, sondern tut, was getan werden muss - die Ärmel hochkrempelt und sucht und sucht und nicht aufgibt zu suchen.

Gott ist eine Frau, die den Pfennig ehrt. Gott ist eine Frau, die sich freut; der keiner sagt: Krieg dich mal wieder ein, der keiner sagt: Mehr Glück als Verstand gehabt, der keiner sagt: Verdient hast du's nicht. Gott ist eine Frau, die feiert, wenn es etwas zu feiern gibt, und Freude teilt und Neid nicht fürchtet.

Gott ist eine Frau, die zehn Cent hat und einen verliert und alles auf den Kopf stellt für diesen lächerlichen Cent, der nicht lächerlich ist, sondern ihr Schatz, und keiner sagt, du kannst nicht rechnen, lohnt doch nicht.

Gott ist eine Frau, die weiß, was sie will: dem Unbedeutendstem Bedeutung geben.

Eine Freundin, die einen Cent verloren und wiedergefunden hat

 

Das Gleichnis vom verlorenen Groschen zeigt ein ungewohntes Bild von Gott: Sie ist eine Frau, eine arme Frau noch dazu, die ihr ganzes Haus auf den Kopf stellt, weil sie einen von zehn Groschen verloren hat.

Das Bild ist wenig königlich. Gleichnisse sind Vergleiche, keine Gleichsetzungen. Die biblischen Gleichnisse erzählen alle eine ähnliche Geschichte: Gott ist anders, als wir denken.

Wer Gott einzig als Vater oder Herrscher sieht, macht ihn kleiner als er/sie/es ist. Die Bibel ist in einer patriarchalen Gesellschaft entstanden. Insofern ist es schon wieder überraschend, wie viele weibliche Bilder von Gott sie enthält:

Wie eine Bärenmutter kämpft Gott zornig gegen alle, die ihren Jungen Böses antun wollen (Hosea 13,8). Gott schreit wie eine gebärende Frau (Jesaja 42,14). Wie eine Hebamme hat Gott den Menschen geschaffen (Psalm 22,10). Als Frau formt Gott den Himmel aus Sauerteig. Gott tröstet, wie eine Mutter tröstet (Jesaja 33,13).

Und die Weisheit Gottes wird generell als Frau beschrieben. In Buch des Propheten Hosea 11,9 stellt Gott klar: "Ich bin Gott und nicht Mann." (Das hebräische Wort kann auch die Bedeutung "Mensch" haben - meint jedoch in erster Linie "Mann").

Ebenso wenig ist Gott Frau. Denn wir sollen kein Bild von Gott in Stein meißeln, weder männlich noch weiblich. Gott ist ein "Du". Und "Du" kann alles sein.

FOLGE 16: Die Frau aus der Fremde

Liebe Frauen, liebe Männer,

als ich ihn sah, dachte ich sofort: Das ist deine Chance. Jetzt darfst du nicht zögern. Hätte ich meine Worte erst abgewogen, wäre er weg gewesen.

Ich weiß bis heute nicht, was er eigentlich bei uns wollte. Hier, im Heidenland. Von ihm gehört hatte ich schon, mittlerweile war er bekannt, vielleicht bekannter, als er selbst ahnte. Er faszinierte mich. Wie er redete, seine Gesten, er hatte schöne Hände. Und zwischen den Sätzen lachte er. Obwohl Müdigkeit um seine Augen lag, ging ein Strahlen von ihm aus. "Bitte", rief ich und fiel mit der Tür ins Haus, "hilf meiner Tochter. Befrei sie!"

Er beachtete mich kaum. Das war ein Schock. Mit allem hatte ich gerechnet, aber nicht mit dieser kühlen Distanz. Als nerve ich ihn. Barsch sagte er, dass es nicht richtig sei, das Brot der Kinder zu nehmen und den Hunden hinzuwerfen.

Ich starrte ihn an. Hatte er mich gerade wirklich mit einem Hund verglichen?

Meine Enttäuschung war groß. Ich wollte hineinkriechen wie in ein Schneckenhaus, das mich schützt. Aber ich sprang über meinen Schatten und über seinen dazu.

Ich lächelte. Ich lächelte mit einer Wärme, die ich mir von ihm gewünscht hätte: "Das stimmt. Und doch essen auch die Hunde von den Krumen, die vom Tisch fallen."

Er stutzte. Sein Gesicht puzzelte sich neu zusammen, als hätte ich ihn aus einem Schlaf geweckt. Es wurde hell. "Du hast recht", sagte er. Auf einmal war er da. Er machte keine Anstalten, sich zu verteidigen. Sein Gesicht zu wahren. Er wollte nicht Recht behalten. Jetzt verstand ich, was man über ihn sagte: dass er so sehr Mensch ist, wie ein Mensch sein soll. Alles an ihm war offen.

Eine Frau aus der Fremde

 

Eine Frau bittet Jesus, ihre Tochter von einem Dämon zu befreien. (Mit einem Dämon werden in der Bibel Krankheiten beschrieben, bei denen man die Kontrolle über sich verliert, zum Beispiel Epilepsie.)

Die ältere Version der Geschichte steht bei Markus, Matthäus erzählt sie etwas anders. Wichtig ist beiden Evangelisten, dass die Frau keine Jüdin, sondern Heidin ist. Jesus reagiert schroff.

Bei Matthäus beachtet er sie zunächst gar nicht, dann setzt er die Frau wie auch Markus mit einem Hund gleich. Hunde galten als unrein. (Tatsächlich steht im griechischen Text "Hündchen", was die Schärfe etwas abmildert, weil keine streunenden Hunde, sondern Haus- oder Stubenhunde gemeint sind.)

Die Frau lässt sich durch die Abfuhr nicht beirren, sondern bleibt hartnäckig - und bekehrt Jesus. Es ist die einzige Erzählung in den Evangelien, in der Jesus seine zuvor unmissverständlich geäußerte Haltung ändert.

Er lernt von einer zweifachen Außenseiterin, Frau und Heidin: Gottes Reich kennt keine Grenzen. Es schließt nicht aus. Das Heil reicht für alle.

FOLGE 15: Mirjam

Liebe Schwestern,

mein kleiner Bruder hat geheiratet. Die Frau ist nicht von hier. Das gefällt nicht allen. Aber ich mag sie. Sie ist klug. Wie ihr Vater. Er hat meinem Bruder geraten, die Aufgaben auf mehrere Schultern zu verteilen: "Das Geschäft ist dir zu schwer", sagte er, "du kannst es nicht allein ausrichten."

Delegieren ist wirklich nicht Brüderchens Kernkompetenz. Am liebsten macht er alles selbst, weil er glaubt, es am besten zu können. Und ich unterstütze ihn. Typisch Frau eben, Männern den Rücken freihalten. Bis ich mich immer öfter fragte: Warum tue ich das? Warum ordne ich mich eigentlich so unter?

"Redet Gott denn nur durch Mose? Spricht er nicht genauso durch mich?" Die Frage stellte ich laut, und sie war ein Paukenschlag. Das war dem Herrn der Schöpfung zu viel. Ich wurde zur Aussätzigen. Ich sollte mich schämen. Aber ich dachte nicht daran. Scham macht klein. Die Solidarität der anderen machte mich groß: Alle standen hinter mir.

Die einen nennen mich "die Widerspenstige", die anderen "Geschenk Gottes". Für mich ist das kein Widerspruch. Darum schreibe ich euch:

Bleibt widerständig und wunderbar und denkt dran: 1. Wer kämpfen will, muss einstecken können. 2. Wer auf eine Erlaubnis wartet, kann lange warten. 3. Zusammenhalt ist ein Boot, das durch den Sturm trägt. 4. In die Freiheit kann man auch tanzen.

Eure Mirjam

 

"Die Prophetin Mirjam, die Schwester Aarons, nahm die Pauke in die Hand und alle Frauen zogen mit Paukenschlag und Tanz hinter ihr her." So wird Mirjam zum ersten Mal namentlich in der Bibel erwähnt.

Die Geschichte von Mose, der als kleiner Junge in einem Binsenkorb ausgesetzt wurde, kennen die meisten. Wie wichtig Mirjam für Mose war, wird schon zu Beginn seines Lebens deutlich: Sie fädelte es geschickt ein, dass der ausgesetzte Säugling seine eigene Mutter als Amme bekam.

Später führt Mirjam mit ihren Brüdern Mose und Aaron das israelische Volk aus der Unterdrückung. Als aber Mirjam und Aaron zusammen Moses alleinige Führerschaft in Frage stellen, wird Mirjam von Gott mit Aussatz bestraft. Aaron nicht.

Im 4. Buch Mose (Numeri 12) kann man Mirjams Erfahrung nachlesen: Wenn zwei das gleiche sagen, ist es nicht das gleiche. Insbesondere nicht als Frau. Mirjam hält es aus. Das Volk steht hinter ihr: "So wurde Mirjam sieben Tage aus dem Lager ausgesperrt. Das Volk brach nicht auf, bis man Mirjam wieder hereinließ."

Mirjam geht als Prophetin bestätigt aus dem Kampf hervor. Gott spricht weiterhin zu ihr. Beim Propheten Micha (6,4) erinnert Gott sein Volk daran: "Ich habe dich aus dem Haus der Sklaverei erlöst; und ich habe Mose, Aaron und Mirjam vor dir hergesandt."

FOLGE 14: Rut

Liebe Freundinnen,

in den Momenten, in denen alles zusammenbricht, werden wir groß. Das ist keine Vertröstung, denn glaubt mir, mit billigen Vertröstungen kenne ich mich aus.

Als mein Mann starb, habe ich genügend davon gehört: Kopf hoch. Wird schon wieder. Hat alles seinen Sinn. Ich war auf einmal auf mich gestellt. Musste nicht nur den Müll rausbringen und die Nägel in die Wand schlagen. Plötzlich war ich auch verantwortlich für den Ölwechsel, das Konto und die Altersvorsorge.

Nein - Moment: So sähe es wahrscheinlich bei euch aus. Zu meiner Zeit hatte eine alleinstehende Frau weder Einkommen noch Rente. Ihre einzige Chance war, wieder zu heiraten. Irgendeinen Verwandten, der sich erbarmt. Ich war noch jung, meine Chancen standen nicht schlecht. Aber ich wollte nicht. Ich wollte mit meiner Schwiegermutter zusammenbleiben. Auch ihr Mann war tot.

"Sei nicht albern", sagten die Nachbarn. "Zwei Frauen ohne Mann, da habt ihr es doch noch schwerer!" Sie haben sich getäuscht. Sie haben die Kraft der Solidarität unterschätzt. Immerhin waren wir zu zweit. Wenn eine nicht mehr konnte, war die andere stark. Wenn eine weinte, tröstete die andere (und manchmal weinten wir auch zusammen).

Vergesst die Romantik. Wenn es hart auf hart kommt, zählen keine Kerzen. Wir brauchen keine Geigen. Was wir brauchen, sind Verbündete. Ich hatte eine Seelenschwester, eine echte Freundin.

Als alles verloren war, sind wir über Grenzen gegangen, haben über doofe Witze gelacht, Pläne geschmiedet, Männer taxiert, Kleider anprobiert, von der Hand in den Mund gelebt. Wir haben einander Mut gemacht und die Haare schön. Und am Ende, ganz am Ende, sind wir Heldinnen gewesen.

Liebe Freundinnen,

Eure Rut

Die Geschichte von Rut wird in der Bibel in einem eigenen Buch erzählt. Die Personen sind nicht historisch, sondern literarisch. Schon ihre Namen sind Teil der Geschichte: Rut wird oft von "Freundin" hergeleitet. Ihre Schwieger- mutter heißt erst Noomi "Liebe", nach dem Tod ihres Mannes will sie Mara ("die Bittere") genannt werden.

Die Männer sind bereits dem Namen nach dem Tod geweiht: Machlon bedeutet "Kränklicher" und Kiljon "Schwächlicher". Die Geschichte erzählt von zwei Frauen, die ihr Leben nach dem Tod ihrer Männer selbst in die Hand nehmen. Sie kümmern sich um Unterkunft, Nahrung und schließlich auch um einen neuen Mann für Rut.

Das Buch Rut ist das einzige Buch in der Bibel, das aus Frauenperspektive erzählt. So ist nicht von "Vaterhaus", sondern vom "Haus der Mutter" die Rede. Rut macht ihrem späteren Mann den Heiratsantrag, und auch sexuell ist sie die Offensive.

Am Ende ist Rut für Noomi "mehr wert als sieben Söhne". Rut sagt zu Noomi: "Wo du hingehst, da will ich auch hingehen. Wo du bleibst, da bleibe ich auch." Zwei Sätze, die oft als Trauspruch gewählt werden. Ursprünglich sind sie ein Treueschwur zwischen Frauen.  

FOLGE 13: Die salbende Frau

Meine Lieben,

dieser Märztag, an dem ich euch schreibe, ist warm auf der Haut. Ich möchte vor Wohligkeit schnurren wie eine Katze.

Im Mittelmeer ertranken schon wieder Menschen. Das macht mich ohnmächtig und traurig.

Das neue Parfum hat 75 Euro gekostet. Ich kann mich nicht sattriechen. Gleichzeitig ist es mir peinlich, so viel Geld für Luxus auszugeben.

Jemand schneidet mir das Wort ab. Ich bin wütend darüber.

Während des Gebets ertappe ich mich dabei, an ein Kochrezept zu denken. Ich fühle mich schuldig.

In der Zeitung las ich, dass der Papst sagte, der Frauenkörper sei das edelste Fleisch der Welt. Ich bin erschüttert über diese Wortwahl. Ich will kein Fleisch sein.

So viele unterschiedliche Gefühle an nur einem Vormittag.

"Sei nicht so emotional!" Diesen Satz habe ich tausend Mal gehört. Damals und heute. "Halt dich zurück!" Warum eigentlich?

Ich finde es wichtig, Gefühle zu zeigen. Sie gehören zum Leben. Und fühlen ist schwieriger als denken. Mit Argumenten kann man sich alles vom Leib halten. Fühlen kann weh tun, kann wütend, hilflos, traurig machen. Gefühle können aber auch selig und mutig machen.

Sie werden gern belächelt. Meistens von denen, die heillose Angst vor ihren eigenen Gefühlen haben. Besonders vor den unerlaubten.

Wer entscheidet, was erlaubt ist?

Ich kannte einen, der hat sich berühren lassen. Dessen Herz hat im Takt mit seinem Verstand geschlagen. Ich ging zu ihm und wagte es, mich zu zeigen. Ich fühlte mich aufgehoben bei ihm.

Eine Frau platzt in ein Abendessen. Sie ist nicht eingeladen. Sie geht auf Jesus zu und salbt ihn mit einem unverschämt teuren Öl. Die Anwesenden murren darüber - einige über die Verschwendung, andere über den zweifelhaften Ruf der Frau.

Klar wird: So was tut man nicht. Aber Jesus verteidigt die Frau. Mehr noch, er sagt: "Überall, wo das Evangelium verkündet wird, wird man auch erzählen, was sie getan hat."

Alle vier Evangelien erzählen diese Geschichte. Bei Markus und Matthäus, den ältesten Versionen, salbt die Frau Jesu Kopf. Lukas stellt die Frau als Sünderin vor, was oft als Prostituierte gedeutet wird (das passt insofern zu Lukas, da er eine Tendenz hat, die Rolle der Frauen gegenüber den beiden älteren Evangelien zu schwächen).

Johannes setzt im jüngsten Evangelium die ursprünglich namenlose Frau mit Maria von Magdala gleich, die nicht Jesu Kopf, sondern seine Füße salbt. Jeder der Autoren setzt unterschiedliche Schwerpunkte, aber der Kern der Geschichte ist gleich: Liebe ist unvernünftig. Sie rechnet nicht. Sie verschwendet.

FOLGE 12: Lydia

Liebe Frauen,

ich trage Christus wie ein Kleid. Dieses Kleid macht mich schön. Es ist zart und dennoch strapazierfähig - man kann es waschen. Nichts ist schlimmer, als im Alltag ständig darauf zu achten, dass die Weste weiß bleibt. Es ist eben kein Sonntagskleid, es braucht nicht geschont zu werden, sondern taugt für alle Tage. Es knittert. Aber keine Panik, das muss so. Man kann im Leben nicht alles glattbügeln, braucht es auch nicht.

Es gibt dieses Kleid in allen Größen. Jeder und jede kann es tragen. Es ist nicht aus Purpur gemacht, nicht nur für Reiche erschwinglich. Im Gegenteil: Es kostet nichts. Dieses Kleid sagt nichts über meine Herkunft, meine Bildung, mein Vermögen aus. Niemand ist zu klein oder zu groß. Es sitzt locker und kneift nicht, es engt nicht ein. Das soll es auch nicht. Menschen sind verschieden. Sie leben, lieben, träumen, denken verschieden. Das Kleid, von dem ich rede, passt sich ihnen an - nicht umgekehrt.

Mein Kleid hat viele Moden überlebt, weil ich es immer wieder geändert habe. Manchmal musste ich den Saum auslassen, weil ich herausgewachsen war. Ich habe es geflickt, wenn es brüchig wurde. Andere hätten es vielleicht längst weggegeben, eingetauscht gegen ein anderes Kleid. Aber das will ich nicht.

Es ist mir zur zweiten Haut geworden. Es kleidet mich mit Freiheit und macht mich zur Himmelsbürgerin. Denn der, der es mir einst gab, sagte: "Ihr habt Christus angezogen wie ein Gewand. Es spielt keine Rolle, ob ein Mensch Jude ist oder Nichtjude, ob Sklave oder frei, ob Mann oder Frau. Zur Freiheit hat euch Christus befreit." *

Eure Lydia,

Purpurhändlerin und freie Christin

 

*Paulus an die Galater 3 und 5


Lydia ist die erste Christin Europas. Als der Apostel Paulus nach Philippi kommt, trifft er sie mit anderen Frauen an der Gebetsstätte. Seine Worte berühren ihr Herz, so dass sie sich und ihr Haus taufen lässt. Die Formulierung "ihr Haus" lässt darauf schließen, dass sie nicht verheiratet ist. Lydias Name beschreibt ihre Herkunft.

In der Antike wurden meistens Sklavinnen und Sklaven nach ihrer Herkunft benannt. Zugleich berichtet die Apostelgeschichte (Kapitel 16,14), dass sie Purpurhändlerin ist. Purpur war der Farbstoff für Königsgewänder und ausgesprochen wertvoll. Offenbar hat es Lydia zu Wohlstand gebracht. Sie beherbergt zunächst die Missionare Paulus und Silas und später die Gemeinde der philippischen Christinnen und Christen.

Das christliche Europa beginnt also mit einer Geschäftsfrau, aus dem Ausland zugezogen, ehemalige Sklavin. Das Herz wird ihr geöffnet, und sie öffnet ihr Haus. In den christlichen Hausgemeinden werden die Diskriminierungen überwunden, so wie Paulus im Philipperbrief schreibt: "Wir alle sind Bürger im Himmel."

Lydia ist nicht die einzige Frau, die einer paulinischen Gemeinde vorsteht. Eine wichtige Rolle in der Leitung spielen Apphia in Kolossä (Philemonbrief 2), Prisca und Aquila in Korinth, Ephesus und Rom (Römerbrief 16,3 u.a.), Nympha von Laodizäa (Kolosserbrief 4,15) und Phoebe in Korinth (Römerbrief 16,1). 

FOLGE 11: Jesus

Liebe Frauen,

heute schreibe ich euch, als Mann.

Ich kannte eine Frau, die kämpft. Ihre Geschichte spielt gestern und heute, die Frau trägt keinen Namen, weil sie viele Namen hat. Sie fordert nicht mehr als ihr Recht. Sie ist beharrlich und unverschämt.

Weil sie sich nicht schämt, für ihre Sache einzustehen, wieder und wieder. Sie schämt sich nicht für ihre Sehnsucht, gehört zu werden. Sie schämt sich nicht, verspottet zu werden als eine, die hysterisch ist, frustriert oder maßlos. Sowas muss sie sich anhören, Tag für Tag. D

ass sie zufrieden sein solle, mit dem, was sie hat. Was sie denn noch alles wolle? Aber die Frau lässt sich nicht provozieren. Sie weiß: Andere lächerlich machen und zu verunglimpfen ist eine bewährte Methode, um Menschen klein zu halten. Glaubt mir, ich weiß, wovon sie redet ...

Aber sie fürchtet sich nicht. Ich erzähle euch von dieser Frau, weil sie recht hat. Nicht müde zu werden, den Himmel auf die Erde zu holen. Gleichheit und Gerechtigkeit zu verlangen.

Ich kämpfe mit ihr. Ich kämpfe mit all den Namenlosen, Ungehörten, Benachteiligten. Ich nerve. Weil ich der Stachel bin, der am Weiter-so kratzt. Kämpft mit mir! Bleibt hartnäckig! Werdet nicht müde, laut zu sein! Macht Gott zu eurem Verbündeten! Er macht euch groß. Denn das ist sein Traum: dass alle Menschen groß sind, dass sie aufrecht und gleich durchs Leben gehen und niemand auf jemanden hinabsehe. Erzählt die Geschichte weiter.

Hört nicht auf, davon zu erzählen.

Immer an eurer Seite,

Jesus

 

Jesus hat viele Gleichnisse erzählt. Geschichten, die mitten im Alltag der Hörenden spielen. Sie erzählen davon, wie es ist und wie es sein könnte. Sie eröffnen neue Perspektiven. Gleichnisse wollen verändern: Einstellungen und Verhaltensweisen.

Im Gleichnis von der beharrlichen Witwe fordert eine Frau ihr Recht. Wieder und wieder. So lange, bis der Richter zu sich sagt: "Wenn ich auch keine Ehrfurcht vor Gott habe und keinen Respekt vor den Menschen, will ich doch der Witwe ihr Recht geben, weil sie mir lästig wird. Sonst kommt sie am Ende noch und schlägt mich ins Gesicht."

Witwen waren in der patriarchalen Zeit Jesu nicht besonders angesehen, weil ihnen ein "männlicher Schutzherr" fehlte. Es konnten sowohl ehemals verheiratete Frauen wie auch Frauen sein, die bewusst allein lebten.

Frauen durften ihre Rechte nicht selbst vertreten - jedenfalls nicht, solange männliche Verwandte da waren. Die Witwe im Gleichnis ist auf sich selbst gestellt. Trotzdem verzagt sie nicht. Sie fordert nicht Mitleid, sondern Recht - und bekommt es. Am Ende heißt es: "Sollte Gott seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm schreien, nicht (erst recht) zu ihrem Recht verhelfen?"

Für mache klingt das wie eine Vertröstung aufs Jenseits. Im Himmel wird alles besser. Aber Lukas hat das Gleichnis nur kurz hinter einen anderen Jesus-Satz gestellt: "Das Reich Gottes ist mitten unter euch." Wenn wir wären, die wir sein könnten.

FOLGE 10: Die Hirtin

Liebe Frauen,

ich bin wach, wenn die anderen schlafen. Das Dunkel schreckt mich nicht. Ich lausche. Ich höre den Atem, den Wind, mein Herz. Ich höre das Trippeln einer Maus und das Zähnefletschen des Wolfs. Auch das Feuer hüte ich. In den Flammen wohnen die Geschichten. Ich kenne sie alle. In langen Nächten erzähle ich sie weiter. Ich träume mit offenen Augen und achte darauf, dass die Glut nicht erlischt.

Eines Nachts höre ich den Gesang eines Engels. Die Schafe sind unruhig. Sie spüren, dass etwas geschieht. Ich kenne sie gut. Tagsüber weide ich sie auf grünen Auen. Ich führe sie zum frischen Wasser. Wenn der Wolf kommt, bin ich da. Ich biete ihm die Stirn. Keines meiner Schafe würde ich verloren geben. Auch nicht eins.

Ich bin keine Gelehrte, und ich bin nicht reich. Auf dem Markt nimmt niemand Notiz von mir. Meine Stimme zählt nicht. Mein Kleid ist schmutzig. Meine Hände sind rau. Meine Tasche ist leer. Aber ich kenne die Rossminze und den weißen Wermut. Ich kenne den Lauf der Sterne und den Weg des Mondes. Ich weiß den Pfad zur Quelle. Ich bin eine gute Hirtin. In dieser Nacht, als ich die Engel höre, wird mir klar: Ein König ist geboren, nicht in den Palästen der Städte. Ein König ist geboren, und er liegt in meiner Krippe.

Die Hirtin

 

Die Hirten, so heißt es in der Weihnachtsgeschichte, waren die ersten an der Krippe. Sie lagerten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihren Herden. Ihre Namen nennt die Bibel nicht, aber wahrscheinlich waren es nicht ausschließlich Männer. Denn Hirtinnen gab es in der Antike durchaus.

Auch die Bibel erzählt davon. Im Alten Testament wird die Hirtin Rahel erwähnt, die die Herde ihres Vaters hütet. Auch die spätere Frau des Moses versorgt mit ihren sechs Schwestern Kleinviehherden (Ex 2,16). Der römische Gelehrte Varro schreibt, dass "in vielen Gegenden Frauen den Männern an Arbeitsleistung in nichts nachstehen", da sie auch "das Vieh hüten".

Selbst Maria ist auf bäuerlichen und romantischen Bildern hin und wieder als "gute Hirtin" dargestellt. Trotzdem stößt die Vorstellung von weiblichen Hirten in der Weihnachtsgeschichte auf Protest.

Vielleicht, weil das Hirtenamt der Bischöfe und des Papstes dann genauso Frauen bekleiden könnte. Vielleicht, weil Gott als gute Hirtin plötzlich auch eine weibliche Seite hat. Dann könnten wir genauso lesen: "Gott ist meine Hirtin, nichts wird mir fehlen. Meine Lebenskraft bringt sie zurück. Sie führt mich auf Pfaden der Gerechtigkeit, getreu ihrem Namen."

FOLGE 9: Die Ehebrecherin

Liebe Schwestern,
liebe Brüder, liebe Wutbürger,
liebe Eintagsfliegen,

das Grau des Himmels könnt ihr nicht ändern. Aber ihr könnt einen lachenden Drachen steigen lassen. Ihr könnt gelbe Regenschirme aufspannen und über Pfützen springen. Ihr seid nicht verloren. Niemand ist verloren.

Ich habe gesehen, was sich ändern kann: die Flugbahn eines Greifvogels, just bevor seine Klauen sich in das Fell des Kaninchens krallen. Die Meinung eines Dickkopfes. Der Zorn Gottes ("Nie wieder werde ich eine Flut schicken, um die Erde und alles, was auf ihr lebt, zu vernichten.").

Scherben werden zum Mosaik. Raupen zu Schmetterlingen. Aus Hass kann Liebe werden und aus Fallobst Apfelkompott. Aus Urteil Anteil. Aus sterben werden. Eine Frau kann sich ändern, ein Mann kann sich ändern, die Meute, der Kopf, das Herz, der Horizont.

Was es dafür braucht, ist ein Mensch. Ein Mensch, der im richtigen Moment den Sturm stillt. Der sich gegen den Wind stellt und die Arme ausbreitet, als wolle er selbst die Dämonen umarmen. Ich bin eure Zeugin. Ich habe den Sturm erlebt. Der Mob hatte die Fäuste geballt, bereit, mich zu töten.

Einer hat sie aufgehalten. Nicht mit Kraft, nicht mit Gewalt, nicht mit Zäunen und nicht mit Wasserwerfern, sondern mit einem Wort. Das Wunder aber war nicht, dass ich gerettet wurde. Das Wunder war die Einsicht der vielen: Wir sind nicht besser. Das Wunder war, dass sie umkehrten. Dass aus dem Sturm ein sanftes, leises Säuseln wurde. Und in diesem Säuseln erkannte ich Gott.

Eine Frau, Träumerin und Ehebrecherin,

nicht verurteilt

 

Die Geschichte von der Ehebrecherin taucht im dritten Jahrhundert nach Christus in außerbiblischen Schriften auf. Erst im 4. Jahrhundert wandert sie in biblische Handschriften, mal ins Lukas- und mal ins Johannesevangelium, wo sie schließlich nachträglich endgültig eingefügt wurde (die Mehrheit der aktuellen Bibelübersetzungen weist darauf in einer Fußnote hin).

Dort kann man sie im 8. Kapitel nachlesen: Schriftgelehrte und Pharisäer bringen eine Frau zu Jesus, die sie beim Ehebruch ertappt haben. Das Gesetz des Mose schreibe vor, die Frau zu steinigen. Sie wollen von Jesus wissen: Was sagst du?

Jesus sagt erstmal gar nichts. Er nimmt ihnen den Wind aus den Segeln und malt im Sand. Auf ihr Drängen sagt er dann einen berühmt gewordenen Satz: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein. Woraufhin keiner die Frau verurteilt, nicht ein einziger.

In frühen Auslegungstraditionen und der mittelalterlichen Mystik wird die Erzählung auf die Kirche bezogen, die sich in der Ehebrecherin erkennt. Tatsächlich wird die Kirche (beziehungsweise das Volk Gottes) in der Bibel oft als Person beschrieben - als Braut, Jungfrau, Gattin, Mutter und sogar als Dirne.

Karl Rahner schreibt: "In allen Jahrhunderten stehen neue Ankläger neben 'dieser Frau', aber es fand sich nie einer, der selbst ohne Sünde war. (...) Der Herr aber wird ihr entgegengehen und sagen: 'So will auch ich dich nicht verurteilen.'" Änderung ist möglich und nötig. Selbst für so eine alte Dame wie die Kirche.

FOLGE 8: Junia

Liebe Schwestern,

lange hatte ich diesen Traum: Ich komme in einen Raum, in dem ein Empfang stattfindet. Menschen stehen zusammen und unterhalten sich. Ich gehe von Gruppe zu Gruppe, will an ein Gespräch anknüpfen, aber niemand beachtet mich. Es ist, als wäre ich nicht da. Ich versuche immer deutlicher, mich bemerkbar zu machen, bis mir plötzlich klar wird: Ich bin unsichtbar geworden.

Stellt euch das mal vor. Und dann stellt euch vor, dass das kein böser Traum ist, aus dem ihr morgens erwacht, sondern echt. Denn so ist es gewesen. Ich habe einfach aufgehört, als Frau zu existieren. Viele hundert Jahre wurde ich totgeschwiegen, meiner Identität beraubt. Es gab mich nicht, weil es eine wie mich nicht geben durfte.

Ihr kennt diese Sprüche: Mathe verstehst du nicht, du bist ja ein Mädchen. Räumliches Denken liegt dir eben nicht so. Frauen können nicht einparken. Eine Bohrmaschine zu bedienen oder wirtschaftliche Zusammenhänge zu überblicken, ist Männersache. Man muss das Menschen nur lange genug vorbeten, dann glauben sie irgendwann daran. Dann glauben sie, dass ein Busen bei der Lösung eines Dreisatzes im Weg ist.

Erst in den 1960er-Jahren durften Frauen ihr eigenes Konto eröffnen. Bis dahin brauchten sie für größere Anschaffungen die Zustimmung ihres Mannes, und es dauerte weitere zehn Jahre, bis sie ohne seine Erlaubnis arbeiten durften.

Ihr wundert euch, dass ich über solche Dinge schreibe. Das liegt daran, dass ich erst vor ein paar Jahren wieder zu existieren begann. Ihr könnt das Auferstehung nennen.

Eure Junia

 

Junia wird ein einziges Mal in der Bibel erwähnt. Paulus lässt sie, zusammen mit Andronikus, im Brief an die Römer grüßen. Ein Halbsatz aber hat es in sich: "Sie ragen heraus unter den Aposteln und haben sich schon vor mir zu Christus bekannt."

Eine Frau als Apostel? Auch Johannes Chrysostomus, Bischof von Konstantinopel († 407), hebt das hervor: "Ein Apostel zu sein, ist etwas Großes. Aber berühmt unter den Aposteln - bedenke, welch großes Lob das ist. Wie groß muss die Weisheit dieser Frau gewesen sein, dass sie für den Titel Apostel würdig befunden wurde."

Bis heute lehnt die Katholische Kirche das Frauenpriestertum unter anderem mit der Begründung ab, es habe keine Apostelinnen gegeben. Und tatsächlich verschwand Junia und wurde durch ein angehängtes "s" zu einem Mann. Zum ersten Mal taucht Junias nachweislich im 13. Jahrhundert auf - bei Ägidius von Rom, einem Schüler des Kirchenlehrers Thomas von Aquin. Martin Luther folgt.

Die Forschung geht inzwischen davon aus, dass die Kirche erst im Mittelalter die Apostelin zum Apostel machte, weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte. Nur die griechisch-orthodoxe Kirche begeht bis heute am 17. Mai "das Gedächtnis der heiligen Apostel Andronikus und Junia".

Tatsächlich taucht der Name Junias an keiner anderen Stelle der außerbiblischen antiken Literatur auf, während Junia in griechischen und römischen Inschriften über 250 Mal als lateinischer Frauenname belegt ist. Seit 2016 steht in der Einheitsübersetzung wieder Junia, seit 2017 auch in der Lutherbibel.

FOLGE 7: Sara

Liebe Frauen,

ich bin die, die keine Kinder gebären konnte.

Auf meiner Stirn prangte ein Stempel: Unfruchtbar. Kaum anderes wurde über mich erzählt. Oder doch, dass ich schön war. Schön, aber unfruchtbar. In dieser Währung wurde ich gehandelt. Meine Gedanken, meine Wünsche, meine Träume spielten keine Rolle. Ich war die "Frau von". Mehr nicht. Abraham waren Nachkommen verheißen. Meine Aufgabe war es, sie zur Welt zu bringen. Aber ich konnte nicht. Das einzige, das von mir verlangt wurde, konnte ich nicht erfüllen.

Lasst uns ruhig mal über Sex reden. Wir sind ja unter uns. Lust habe ich erst im späten Alter erlebt. Vorher hätte ich sie mir nie erlaubt. Wozu auch? Schließlich würde sowieso kein Kind entstehen. In der patriarchalen Welt, in der ich lebte, ging es nicht um Lust, zumindest nicht um weibliche. Ich wurde dem Pharao ins Bett gelegt. Meine eigene Sklavin ließ ich von meinem Mann schwängern. Wir waren Mittel zum Zweck.

Ich habe nicht gelernt zu sagen, was ich will. Ich habe nicht mal gelernt zu fühlen, was ich will. Das spürte ich erst, als Gott kam und das Lachen brachte. Den Kitzel, das Wollen, die Wonne, die Lust. Ich bekam Angst - vor meinen eigenen Gefühlen. Sie waren so fremd. Und dazu noch in meinem Alter! Sowas schickt sich nicht. "Doch", sagte Gott. "Du hast gelacht. Du darfst lachen, du darfst juchzen, du darfst wollen."

Ich weiß nicht, was das größere Wunder war: dieses Gefühl erleben zu dürfen oder die Geburt meines Kindes. Ich nannte es Isaak. Das heißt "Gott lacht". Und Lachen befreit.

Eure Sara

 

Erzmutter wird sie genannt. In der jüdischen Tradition wird sie als Prophetin verehrt. Sara habe ihr eigenes Zelt gehabt, in dem sie die Frauen empfing und ihnen Gott nahebrachte. Im Alten Testament wird Sara schlicht als Abrahams Frau vorgestellt, dem so viele Nachkommen wie Sterne am Himmel versprochen sind. Sie ist schön - aber unfruchtbar. Die Geschichte der beiden hat viele Facetten.

Aus Angst, der Pharao könne ihn töten, um Sara wegen ihrer Schönheit zu heiraten, stellt Abraham sie als Schwester vor. Er liefert sie einem fremden Mann aus. Später schickt Sara ihre Sklavin Hagar in Abrahams Bett, damit sie ihm ein Kind gebiert - nicht unüblich zur damaligen Zeit.

Auch Hagar hat sich zu fügen und wird tatsächlich schwanger. Frauen sind offenbar sexuelle Verhandlungsmasse. Aber dann, als Sara schon im fortgeschrittenen Alter ist, passiert etwas: Drei Männer tauchen auf und verheißen Sara nach Jahresfrist ein Kind. Und Sara? Sie lacht. Sie fragt sich: "Jetzt, wo ich alt bin, soll ich noch Liebeslust erfahren?"

Das hebräische Wort, das mit "Liebeslust" übersetzt wird, bedeutet auch "schwelgen", "wollüstig". Es geht also nicht ausschließlich darum, dass Sara schwanger wird, sondern dass sie das Körperspiel genießen wird.

Saras Lachen kann man unterschiedlich interpretieren. Lachen hat in der Bibel oft auch einen sexuellen Beiklang, an einigen Stellen wird es mit "liebkosen" übersetzt. Aber auch jenseits dieser Deutung ist Lachen ein emanzipatorischer Akt. 

FOLGE 6: Die Frau am Jakobsbrunnen

Liebe Frauen,

wie er so ist, fragt ihr. Weil ich ihn doch getroffen habe, zufällig nur, ich kannte ihn nicht. Was ich sah, war ein Mann, an dessen Aussehen ich mich schon jetzt nicht mehr erinnere. War er dunkelhaarig? Trug er Bart?

Es spielt keine Rolle. Ich bin einem Mann begegnet, der keine Vorbehalte kennt. Das habe ich sofort gespürt. Er sprach mich an, so wie er jeden Menschen anspricht, egal ob Mann oder Frau, Kind oder Greis, gläubig oder ungläubig. Und jeden nimmt er ernst.

Ich mag keine Männer, die mir die Welt erklären. Davon hatte ich genug. Er ist anders. Er ist aufmerksam, fragt nach, hört zu und hat ein gutes Gespür für sein Gegenüber. Manchmal hatte ich das Gefühl, er weiß mehr über mich, als ich selber weiß. Und trotzdem hält er sich nicht zurück, ist keiner, der immer nur freundlich nickt. Er hat etwas zu sagen, er glaubt an sich, vielleicht ist das der Grund, dass er auch anderen etwas zutraut. Nur wer sich selber klein fühlt, muss andere klein machen. Ist es nicht so?

Ich fühlte mich von ihm erkannt, obwohl wir einander doch nie zuvor begegnet waren. Einige meiner Freundinnen finden das romantisch, sie nennen es Liebe auf den ersten Blick. Sie liegen falsch. Und auch wieder nicht.

Er hat was. Das verschenkt er. Ohne Bedingung. Das hat mich erstaunt, heute bekommt man fast nichts ohne Gegenleistung. Aber er wollte nichts. Oder doch: Er hat mich um Wasser gebeten. Aber das war eine Bitte, keine Forderung. Er ist kein Geschäftsmann, ich glaube, im Aufrechnen ist er eine Niete.

Seine Botschaft ist einfach: Liebt, soviel ihr könnt. Liebt ohne Unterschiede, liebt Nachbarn und Freundinnen, liebt Mütter, Zweifler, Traumtänzer, Andersdenkende, liebt Schwule, Suchende, Kinder, liebt Aussteiger, Tagediebe, Fremde, liebt euch selbst und liebt Gott. Da konnte ich gar nicht anders, als auch mich geliebt zu fühlen.

Es grüßt euch alle

die Frau am Jakobsbrunnen

Die Frau am Jakobsbrunnen ist eine Suchende, soviel ist klar. "Fünf Männer hast du gehabt", sagt ihr Jesus auf den Kopf zu, "und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann".

Die beiden treffen einander in der Mittagszeit in Samarien. Für Juden waren die Samaritaner genauso unrein wie die Heiden. Deshalb wundert sich die Frau, dass Jesus sie nicht nur anspricht, sondern auch um Wasser bittet. Sie ist keine demütige Dienerin, sondern beginnt ein theologisches Gespräch mit ihm.

So werden in verschiedenen Auslegungstraditionen die Männer auch nicht als Beweis für ihren zweifelhaften Lebenswandel gedeutet, sondern theologisch: Die Frau symbolisiert Samaria. Mit den fünf Männern sind die Götter der fünf samaritanischen Völker gemeint.

Der Mann, mit dem die Frau zwar zusammenlebt, aber nicht in einem regulären Verhältnis, ist Jahwe. Im Alten Testament wird der Bund mit Gott oft als Ehe beschrieben. Die Frau erkennt in Jesus den Messias - und wird selber zur Missionarin. Dabei geht es nicht um die "richtige" Art zu glauben, nicht um Regeln und Vorschriften, nicht um Orte und Tempel, sondern darum, von Gottes Geist erfüllt zu sein. (Johannes 4)

FOLGE 5: Maria & Marta

Liebe Schwestern,

als Gott an jenem Mittwochnachmittag gegen 17 Uhr in unser Haus kam, waren wir nicht vorbereitet. Er hatte sich nicht angekündigt. Hatte nicht gefragt, ob es wohl passt. Er schneite in unseren Alltag herein, der weiterlief und nicht stillstand.

Ihr kennt das: Die Nachmittagsschicht beginnt in zehn Minuten. Die Wäsche will aufgehängt, die Kinder müssen abgeholt, das Auto soll zur Inspektion gebracht werden. Für die Sitzung am Abend wolltet Ihr noch etwas lesen und nebenbei einen Quarkkuchen backen.

Und nun? Was würdet Ihr tun?

Wenn wir Euch etwas raten dürfen: bleibt offen! Nutzt die Gelegenheit, wenn etwas Unvorhergesehenes geschieht! Etwas, von dem Ihr nicht wisst, wann es sich wiederholt. Ob es sich wiederholt. Gott kommt selten nach Plan, Liebe nicht, Erfüllung nicht, Gänsehaut nicht. Seht die Lücke in den Wolken und haltet Euer Gesicht in die Sonne.

Der Sinn des Lebens besteht nicht darin, zu funktionieren. Zur Freiheit hat Euch Gott befreit. Wählt das gute Teil. Denn Ihr habt die Wahl. Auch, wenn es sich oft nicht so anfühlt.

Als Gott an jenem Mittwochnachmittag in unser Haus kam, haben wir unsere Tür geöffnet. Wir ließen ihn ein, halb gebend, halb nehmend. Halb wollten wir ihm mit unserem Tun begegnen, halb mit unserem Sein. Halb vertrauend, nichts leisten zu müssen, halb sorgend, es könne nicht reichen.

Als Gott an jenem Mittwochnachmittag in unser Haus kam, brachte er freien Raum.

Kommt, sagte er. Das genügt.

Eure Maria & Marta

 

Die Schwestern Maria und Marta waren Anhängerinnen Jesus. Marta bedeutet "Herrin, Gebieterin". Sie sorgt und organisiert, sie dient. Wobei sich das griechische Wort für dienen, diakonèin, nicht auf Hausarbeit beschränkt.

Theologisch geht der Begriff weit darüber hinaus: Dienen ist eine Charakterisierung von Jüngerschaft und kann Leitungsämter beinhalten. Beide Schwestern waren in der frühen Kirche bekannte und bedeutende Frauen. Der Kirchenlehrer Hippolyt nennt sie im 3. Jahrhundert Osterzeuginnen und Apostel.

Im Johannesevangelium bekennt Marta: "Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll." Lange Zeit wurde mit der oben genannten Geschichte die Überlegenheit der sogenannten "Vita contemplativa" gegenüber der "Vita activa" erklärt, also das Beten gegenüber dem Tun.

Marta beklagt sich darüber, sie will, dass ihre Schwester ihr hilft. Interessant ist Jesu Antwort. Er sagt: "Maria hat das gute Teil erwählt." Das bedeutet: Wir haben eine Wahl, es gibt keine vorbestimmten Rollen. Zudem ist Gott das gute Teil. Um Gott zu wählen, brauchen wir nichts zu tun, zu leisten, zu erfüllen.

FOLGE 4: Judit

Liebe Frauen,

eigentlich gibt es mich gar nicht. Hat es mich nie gegeben. Zu wunderbar bin ich, um wahr zu sein: fromm, klug, mutig und schön. Dennoch hat es meine Geschichte in eure heiligen Bücher geschafft. Das ist das eigentliche Wunder. Ich bin eine Frau, die kämpft. Ich zeige euch, dass man sich nicht abfinden darf mit Krieg und Unterdrückung. Ich bekräftige euch, keinen Mann anzubeten. Allein Gott ist Gott.

Was ich euch mitgebe, ist Folgendes:

  1. Vergesst nie, dass ihr Frauen seid. Verleugnet euer Geschlecht nicht. Ihr dürft schön und verführerisch sein, selbstbestimmt und raffiniert. Wenn ihr denn wollt.
  2. Klugheit und Schönheit schließen sich nicht aus.
  3. Vergesst nie, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Überlasst das nicht den Männern. Beten ist gut. Beten und Handeln ist besser.
  4. Manchmal macht man sich dabei die Finger schmutzig. Manchmal muss man anders handeln, als man in einer idealen Welt handeln möchte.
  5. Bleibt trotzdem an Gottes Seite.
  6. Manchmal macht man sich schuldig.
  7. Vor Gott sind wir nackt.
  8. Und schämen uns nicht.

Eure Judit


Das Buch Judit ist eine spannende Erzählung. Weise und provokant beschreibt es, wie eine fromme Frau einen Herrscher besiegt, der vergöttert werden will. Sie verführt ihn, tötet ihn mit seinem eigenen Schwert und befreit so ihr Volk. Dabei setzt sie ihr Leben und ihre Unversehrtheit aufs Spiel.

Um eine historische Geschichte handelt es sich dabei sehr wahrscheinlich nicht. Es ist eine Mutmachgeschichte, eine Glaubensgeschichte, eine Frauengeschichte, eine Heldinnengeschichte, eine zwiespältige Geschichte. Sie ruft zum Widerstand auf: Kämpfe für das, woran du glaubst. Setz dabei deine Gaben ein. Judit betet und tut Dinge, die zu einer braven, jungen Frau nicht passen.

Aber sie macht es nicht leichtfertig. Im Gebet prüft sie ihr Gewissen. Nach vollbrachter Tat dankt sie Gott: "Der Herr ist ein Gott, der den Kriegen ein Ende setzt ... durch die Hand einer Frau." (Judit 16, 3-5).

Bis ins 16. Jahrhundert hinein ist Judit als Heilige hoch angesehen. Botticelli und Donatello bilden sie als Symbol der politischen Freiheit ab. Danach wird sie mehr und mehr zur männermordenden Femme fatale. Am besten: Die Bibel aufschlagen und selber lesen!

FOLGE 3: Maria von Magdala

Liebe Schwestern,

fast 2.000 Jahre wachen Männer über den "richtigen" Glauben. Findet ihr nicht, es ist an der Zeit aufzustehen?

Sie behaupten, so sei es immer gewesen. Jesus selbst habe schließlich Männer ausgesucht. Und dass ihr nicht traurig sein sollt, der Herr hält schöne andere Aufgaben für euch bereit. Glaubt ihr das wirklich? Glaubt ihr wirklich, Männer wissen mehr von Gott, weil sie Männer sind? Oder fürchtet ihr eure eigene Stärke, eure eigenen Gedanken und Gefühle?

Wegen beidem wurdet ihr gescholten: Zu viel der Gefühle, zu wenig strukturierte Gedanken. Habt ihr denn vergessen, dass die Weisheit weiblich ist?

Damals war es anders. Für Jesus waren wir keine Randfiguren, auch wenn 2.000 Jahre euch das weismachen wollen. Ich wünschte, ihr wärt dabei gewesen: Ich ging mit ihm. Ich hörte ihn, ich sprach mit ihm. Er befreite mich. Ich blieb am Kreuz, zusammen mit den anderen Frauen, als die Männer längst das Weite gesucht hatten. I

ch sah, wie er starb. Wir brachten seinen Körper zum Grab. Wir wuschen ihn, wir kauften Öle, um ihn zu salben. In der Nacht stand ich auf und suchte nach ihm. Ihn, den meine Seele liebte. Ich suchte, aber ich fand ihn nicht. Das Grab war leer. Ich weinte. Da rief er meinen Namen. Und als er meinen Namen rief, erkannte ich ihn. "Halt mich nicht fest", sagte er und schickte mich los. Und ich ging und verkündigte allen: "Ich habe den Lebendigen gesehen." Ich war die erste. Apostelin unter den Aposteln.

Ich wurde zum Angst- und zum Wunschbild der Männer. Die einen machten mich zur Sünderin. Sie malten mich aus, das lange Haar über meinen nackten Brüsten liegend, halb büßend, halb verführerisch. Ich war nicht verheiratet, so wurde ich zur Hure, eine gefallene Frau, die der Erlösung bedarf. Die anderen dichteten uns eine Liebesbeziehung an. Einen Lieblingsjünger mag es geben - aber eine Lieblingsjüngerin? Unvorstellbar, dass da kein Sex im Spiel ist.

Lasst euch das nicht einreden! Denkt, redet, fühlt, liebt. Steht auf!

Eure Maria von Magdala

 

MARIA heißt nicht Magdalena. Maria kommt aus Magdala, so wird sie in den biblischen Evangelien vorgestellt. Unter den Frauen, die Jesus folgten, ist sie fast immer als erste genannt. Sie muss eine besondere Rolle gespielt haben. Aus den ersten Jahrhunderten des Christentums gibt es viele Schriftzeugnisse über sie.

Damals gab es vermutlich eine Strömung, die ihre theologischen Überzeugungen auf Maria von Magdala zurückführte. Im "Evangelium der Maria", einer apokryphen Schrift aus dem zweiten Jahrhundert, spricht sie zu den verzagten Jüngern: "Da stand Maria auf, umarmte sie alle und sagte zu ihren Geschwistern: Weint nicht und seid nicht traurig und zweifelt nicht, denn seine Gnade wird mit euch allen sein und wird euch beschützen. Lasst uns vielmehr seine Größe preisen, denn er hat uns bereitet und zu Menschen gemacht."

Als Maria dies gesagt hatte, wendete sie ihr Herz zum Guten, und sie fingen an, über die Worte des Erlösers zu diskutieren.

FOLGE 2: Maria

Liebe Schwestern,

wenn ich in eurer Zeit lebte, wenn Gott in dieser Nacht zu mir sagte, ich solle schwanger werden, dann würde ich wahrscheinlich um Bedenkzeit bitten. Würde eine Pro- und Contra-Liste schreiben, das Thema auf Facebook diskutieren, ein Coaching buchen, das Ganze mit Freundinnen besprechen, die mir eine Liste hilfreicher Literatur empfehlen würden, bis mir schließlich alles zu viel würde.

Ihr lebt in einer Zeit der Ambivalenzen und Abwägungen. Zu jedem "Ja" scheint es ein "Aber" zu geben. Ihr wollt Versicherungen. Wer das Risiko in Kauf nimmt, hat eben nicht gut genug recherchiert.

Damals habe ich einfach "Ja" gesagt. (Josef übrigens auch, soweit ich das weiß.) "Ja" zu einer Situation, die alles auf den Kopf stellte und mich aus dem gesellschaftlichen Lauf der Dinge katapultierte. Ich habe das Abenteuer gewagt, weil es sich mir auf den Leib drängte. Es war mir aufgetragen.

Jene, die mich zur demütigen Ja-Sagerin gemacht haben, irren sehr. Es sind dieselben, die mich meiner Sexualität beraubten, die von meinen weiteren Kindern nichts wissen wollten, weil sie nicht in ihr Bild passten. Marie, die reine Magd. Nichts davon passt zu mir.

Ich habe entschieden. Eine Vier-Augen-Sache zwischen mir und Gott. Kein Mann hat da mitgemischt. Ich wusste nicht, was wird. Eine Garantie gab es nicht, aber die gibt es ja nie. Egal, ob man sich für ein Kind entscheidet oder für Gericht Nummer 117 beim Chinesen.

Wagt es: Sagt öfter mal "Ja". Seid mutig, folgt eurem Bauchgefühl, der Inspiration, auch das sind Namen Gottes. Seid hellhörig für das, was euch ruft. Ich meine kein "Ja" zu allem und jedem, kein "Ja" zu den Erwartungen der anderen (die habe ich ganz sicher nicht erfüllt).

Kein "Ja", weil es sein muss oder weil es sonst keiner tut. Seid entschieden, tragt eure Bestimmung in die Welt. Wagt Wege, die niemand vor euch gegangen ist. Lasst euch nicht einreden, ihr geht zu weit. Ich sage euch:

Es geht immer weiter. Weiter, als ihr denkt.

Eure Maria

MARIA diskutiert erstmal. Da sagt ein Engel, dass sie schwanger wird, und sie will wissen, wie und weshalb. Dann willigt sie ein. Die Bibel erzählt keine Geschichte einer passiven Dienerin. Sondern die Geschichte einer Frau, die zur Prophetin wird. Sie bringt den Sohn Gottes zur Welt und mindestens sechs weitere Kinder. Jedenfalls sind Jesu Geschwister an vielen Stellen des Neuen Testamentes genannt. Spätere Interpreten erklären sie zu Josefs Kindern aus erster Ehe.

"Die Heilige Geistkraft wird über dich kommen", sagt der Engel. Wenn die Bibel von dieser Kraft spricht, werden Menschen zu Propheten. Und tatsächlich redet Maria in der folgenden Szene prophetisch. Sie tritt in die Fußstapfen der Prophetin Mirjam, der Schwester Mose, deren Namen sie trägt (Maria ist die lateinische Form von Mirjam): "Gott, mein Retter, hat Großes an mir getan. Er stürzt Mächtige vom Thron, die Unterdrückten erhöht er."

FOLGE 1: Eva

Liebe Schwestern,

was machen Tagträumer nachts? Fürchtet die Dunkelheit das Licht oder sehnt sie sich danach? Wie heißt das Tuwort von Frieden?

Wäre es eine Befreiung, unfrei zu sein, weil wir dann aller Entscheidungen enthoben wären? Der wievielte Tropfen macht aus einer Pfütze einen See?

Wisst ihr noch, wie es sich anfühlte, als das Leben aus tausend Fragen bestand? Als unsere Kinderaugen die Welt entdeckten? Dann wurden wir groß, fingen an, über Steuererklärungen und Mülltrennung nachzudenken, und die Fragen verschwanden. Aber vielleicht sind es gar nicht die Fragen, die nicht mehr da sind, sondern unser Kinderherz, das verschwunden ist.

Das neugierig die Welt betrachtet und noch alle Antworten für möglich hält. Stell dir vor, sagte meine Mutter, das Leben ist ein riesiger Garten voller Apfelbäume. Jeder einzelne Apfel ist eine Erkenntnis. Du kannst dir erzählen lassen, wie der Apfel schmeckt. Oder du probierst ihn selbst.

Die Neugier ist der Anfang von allem. Ohne die Neugier wären wir nicht dort, wo wir heute sind. Meine Neugier hat Türen geöffnet. Sie hat ins Weite geführt. Es gibt Ängstliche (und oft sind es Männer), denen behagt diese Weite nicht. Sie flüchten sich in Häme: Das hat sie nun davon, sagen sie. Geschieht ihr recht. Alles verloren.

Glaubt mir: Häme ist keiner der Namen Gottes. Das Paradies ist nicht verloren. Es ist kein ferner Ort, an den wir nicht zurück können. Es ist eine Heimat, die wir in uns tragen. Wir nehmen es mit, wo immer wir hingehen. Das Paradies ist da, wo wir seine Türen öffnen. Mitten in der Welt.

Suchende sollen wir sein, nicht Sichere. Lasst uns die Welt staunender verlassen, als wir sie betreten haben. Bleibt dem Geheimnis auf der Spur, nicht jedem Nachrichtenschnipsel. Folgt den Fragen und nicht den Antworten, die verführerisch und leicht verdaulich ins Netz locken. Lasst euch nicht einfangen. Taucht tiefer. Gott hat die Sehnsucht in unser Herz gelegt, nicht die Sicherheit.

Eure Eva

 

Eva steht am Anfang der Bibel. Mit ihrer Neugier, heißt es, habe sie die Sünde in die Welt gebracht. Dabei ist in der Geschichte gar nicht von Sünde die Rede, sondern von Erkenntnis. Die ist vielen nicht geheuer, denn wenn Menschen Dinge hinterfragen, beginnen Hierarchien zu wackeln. Eva wurde zur Schuldigen gemacht. Ihretwegen sei der Mensch aus dem Paradies vertrieben worden.

Das Wort "vertreiben" erinnert an die Geburt: Der Säugling wird aus dem Mutterleib getrieben, um ein eigenes Leben zu beginnen. Das ist schmerzhaft und befreiend. So gesehen ist die Paradiesgeschichte eine Geburtsgeschichte. Eva als "Mutter aller Lebenden", was der hebräischen Bedeutung ihres Namens entspricht. Gott hat die Welt und den Menschen erschaffen. Eva hat den Menschen zur Welt gebracht.

Susanne Niemeyer bloggt regelmäßig auf www.freudenwort.de

Stand: 01.12.2020