Zivilcourage kann man lernen
Helfen, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen
Helfen statt wegsehen, wenn jemand in Not ist - für die meisten Menschen ist das selbstverständlich. Sich für andere einzusetzen braucht aber auf jeden Fall die Bereitschaft, sich einer ungewohnten Situation auszusetzen, und manchmal kann schon ein mulmiges Gefühl aufkommen. Für solche Situationen gibt es Tipps - und spezielle Trainings, in denen man Zivilcourage üben kann.
"Bei Zivilcourage geht es darum, sich für seine Mitmenschen einzusetzen", erklärt Yvonne Bonfert, Referentin beim Verein "Aktion Zivilcourage". Dies sei wichtig für ein gutes gesellschaftliches Miteinander und den Schutz der Menschenrechte. Ob im Bus, auf der Straße, auf Veranstaltungen oder am Arbeitsplatz: Zivilcourage sei dann erforderlich, wenn es zu einer Konfliktsituation in der Öffentlichkeit kommt, etwa bei psychischer oder physischer Gewalt. Beteiligt sind mindestens drei Personen - "ein Täter, ein Opfer und eine dritte Person, die das Geschehen beobachtet und aufgefordert ist, einzugreifen".
Zivilcourage steht zwar als solche nicht im Gesetz. Aber Bonfert spricht die "unterlassene Hilfeleistung" an: Soweit zumutbar ist jeder und jede verpflichtet, in Gefahren- oder Notsituationen zu helfen. "Das bedeutet nicht, dass ich in eine Schlägerei gehen und versuchen muss, den Angreifer aufzuhalten. Das bedeutet aber mindestens, dass ich die Polizei rufe und mich als Zeugin zur Verfügung stelle."
Denn Helfer sollten sich weder in Gefahr begeben noch ihre Fähigkeiten überschätzen. Die Expertin betont, möglichst nicht alleine, sondern mit Unterstützung von Umstehenden, die man gezielt anspricht, einzuschreiten. Wer es sich zutraut, könne bei einer verbalen Auseinandersetzung versuchen, das Opfer aus dem Geschehen herauszuholen.
Bonferts Tipp: Mit einem: "Dich habe ich ja ewig nicht gesehen!" so tun als kenne man das Opfer und so die Situation entschärfen. Wer sich das nicht traut, könne die Polizei verständigen und zudem auf sich aufmerksam machen. Das verändere auch aus der Distanz heraus die Situation, und das Opfer kann eventuell sogar fliehen. Wer etwas beobachtet, sollte zügig reagieren und etwa bei einer Pöbelei nicht warten, bis eine konkrete Straftat vorliegt, die angezeigt werden kann. "Wichtig ist immer, dem Opfer beizustehen."
Welche Folgen ein Übergriff für die betroffene Person haben kann, erklärt Tobias Langenbach, Pressereferent beim Opferhilfeverein Weißer Ring: "Wer Opfer einer Straftat wird, dessen Selbst- und Weltbild wird erschüttert." Dabei werde das Vertrauen, dass nichts Schlimmes passieren wird, "schlagartig gestört". Die Folge: Es drohe eine "akute Belastungsstörung. Dazu gehören beispielsweise ständiges Wiedererleben der Tat mit allen dazugehörigen körperlichen Symptomen, Angst, Albträume, Vermeidungsstrategien und emotionale Überreaktionen." Manchen gelinge es nicht, das Erlebte ohne therapeutische Hilfe zu verarbeiten.
Zivilcourage, davon ist Langenbach überzeugt, könne auch gegen die Folgen eines Übergriffes helfen. Zwar sei auch dann das Welt- und Selbstbild erschüttert, und auch die akute Belastungssituation drohe. Doch wer schnelle Hilfe erfahre, der könne schneller wieder Vertrauen fassen und sei weniger gefährdet, eine langfristige Belastungsstörung davonzutragen.
Auch der Referent des Opfervereins betont: "Wer den Helden spielen will und unüberlegt handelt, provoziert im schlimmsten Fall den Täter und setzt sich und andere unnötig weiterer Gefahr aus." Er rät Zeugen, sich bemerkbar zu machen, das Opfer anzusprechen und Passanten konkret mit einzubeziehen: "Sie da in der roten Jacke, rufen Sie die Polizei, der Herr hier wird angegriffen!" oder "Sie dort hinten mit der Aktentasche, halten Sie bitte ein Auto an! Diese Frau braucht dringend Hilfe!" Die Polizei zu rufen sei im Zweifelsfall "immer der richtige Weg".
"In der Regel hat man ein ganz gutes Gespür dafür, dass eine Bedrohung vorliegt", sagt Bonfert und rät dazu, seinen Gefühlen zu vertrauen und lieber sofort zu handeln, als erst einmal zu lange zu warten. Denn sonst drohe ein tückischer Effekt: Wenn einige Menschen einen Vorfall wahrnehmen und nicht einschreiten, weil sie sich vielleicht nicht wirklich sicher sind, wie bedrohlich eine Situation tatsächlich ist, verstärkt sich bei allen der Eindruck, dass es schon nicht so schlimm sein wird und dass die eigene Wahrnehmung nicht stimmen kann. Ist dieser Effekt erst einmal eingetreten, wird es immer schwieriger, doch noch andere zu überreden, tätig zu werden.
Zivilcourage-Trainings, wie sie etwa die sächsische "Aktion Zivilcourage" anbietet, können Handlungsmöglichkeiten aufzeigen. "Zivilcourage ist etwas, das wir erlernen müssen", glaubt Bonfert. Denn alltäglich seien Notsituationen glücklicherweise nicht, dadurch aber fehle es an Sicherheit darüber, wie man schnell reagieren kann. Das aber kann man üben. In den Kursen entwickeln die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beispielsweise Strategien, wie sie sich in bestimmten Situationen verhalten können.
Außerdem lernen sie, sich in andere hineinzuversetzen - denn Empathie sei eine wichtige Voraussetzung. "Ich muss mir vorstellen können: Wie fühlt sich die andere Person jetzt in dieser Situation?" Auch das Thema Gewalt spielt eine Rolle. "Gerade im Schulalltag begegnet uns häufig die Beschwichtigung, etwas sei ja nur ein Spaß gewesen. Für die andere Person war es aber schon ernst." Und auch Selbstschutz ist Thema: Dafür ist es beispielsweise wichtig, sich klar und deutlich auszudrücken, den Täter zu siezen und Abstand zu schaffen. RCS
Tipps für Zivilcourage
- Handeln Sie sofort! Schnelles Einschreiten kann eine Eskalation verhindern.
- Bringen Sie sich nicht in Gefahr! Die eigene Kraft nicht überschätzen und im Notfall die Polizei rufen.
- Sprechen Sie andere Personen an und bitten sie um Unterstützung! Egal ob Busfahrer oder Passant - jede Hilfe zählt.
- Erzeugen Sie Aufmerksamkeit! Laut sprechen, anstatt "Hilfe" sollte "Feuer" gerufen werden - davon fühlen sich mehr Personen betroffen.
- Wenden Sie keine Gewalt an und provozieren Sie nicht! Ruhiges Verhalten verringert die Gefahr einer Eskalation.
- Halten Sie zum Opfer! Aufmerksamkeit und Hilfeleistung sollten immer auf das Opfer fokussiert sein.
- Nicht in eine Opfer-Rolle verfallen! Unsicheres Verhalten kann Gewalt intensivieren.
- Rufen Sie die Polizei und stellen Sie sich als Zeugin zur Verfügung!