Jeden annehmen, wie er ist
Seelsorge im Gefängnis hat den Menschen im Blick
Von Romina Carolin Stork
"Die Würde des Menschen ist unantastbar", heißt es im ersten Artikel des Grundgesetzes. Dieser Grundsatz gilt für alle Menschen - also auch für Straftäter. Doch wie geht man mit jemandem um, der eine schwere Straftat begangen hat? Und bleibt die Würde des Menschen im Gefängnis unangetastet?
Darum geht es auch im Gefängnis: um die Würde des Menschen. Davon ist Josef Feindt zutiefst überzeugt. Seit 28 Jahren ist er Gefängnisseelsorger, war sowohl in Männer- als auch in Frauengefängnissen beschäftigt. Seit 2005 arbeitet er in der Justizvollzugsanstalt Willich II, einem Frauengefängnis.
Feindt ist ständig mit den Insassen in Kontakt, feiert Gottesdienste, gibt Bibelstunden. Gespräche sind ein zentraler Punkt seiner Arbeit - immer unter Wahrung der Schweigepflicht. "Für die meisten ist es einfach wichtig, dass sie sprechen können", sagt er. Jedenfalls dann, wenn sie es schaffen, sich zu öffnen. Manchmal gelänge dies nicht, manchmal wollten sie lieber mit einer Frau reden, weil sie mit Männern schlechte Erfahrungen gemacht haben, erzählt Feindt - und kann es nachvollziehen. Aber wenn sie sprechen, dann geht es vor allem um die Tat.
"Es gibt immer mehrere Opfer", glaubt Feindt. Denn nicht nur das unmittelbare Opfer und seine Angehörigen sind betroffen, sondern auch die Familie des Täters und der Täter selbst. Auch er stelle sich Fragen: "Wie konnte es dazu kommen? Wie war die Entwicklung? Ich bin doch eigentlich kein schlechter Mensch?" Frauen beschäftige oft, warum sie sich so lange von ihrem späteren Opfer haben peinigen lassen, dass so etwas habe passieren können. Täter sind "Leute, die in großen Schwierigkeiten stecken".
Und doch haben sie Schuld auf sich geladen. Wie geht der Seelsorger damit um, wenn er regelmäßig mit Betrügern, Dieben oder gar Mördern spricht? "Die Taten interessieren mich nicht, das sollen sie mir sagen oder nicht", sagt der 65-Jährige. Schuld stehe nie zwischen ihnen, denn sein Anliegen sei es, in die Zukunft zu blicken. Respekt voreinander ist dabei wichtig, und dass man sich ernst nimmt.
"Gottesdienst ist, wenn wir uns um die kümmern, die in Not sind - und der Gefangene ist in Not, das kann ich mir nicht anders vorstellen", erklärt er mit fester Stimme und zitiert Matthäus 25,36: "Ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen", heißt es dort.
Davon versuche er, sich leiten zu lassen: vom Doppelgebot, Gott von ganzem Herzen zu lieben und den Nächsten wie sich selbst, und von der Regel, jeden so zu behandeln, wie man selber behandelt werden möchte.Während seines Theologie-Studiums hat Feindt sich intensiv mit Moraltheologie auseinandergesetzt und damit, dass jedem Menschen Entwicklungsmöglichkeiten zugestanden werden müssen.
Aber auch Feindt hat Vorurteile, wenn er in ein Gespräch geht. "Das geht gar nicht anders, ich muss ja entscheiden, wie ich mit Leuten umgehe, ohne dass ich sie kenne", gibt er zu. Oft sehe er den Menschen an, warum sie einsitzen - Berufserfahrung. Dabei ist ihm immer im Bewusstsein, dass seine Einschätzung nur Gefühle sind, die er auch korrigieren können muss.
Häftlinge bräuchten jemanden, der ihnen etwas zutraut und sie anleitet, etwas für sich zu tun. "Einer Gefangenen, die nicht lesen und schreiben konnte, habe ich gesagt: 'Ich nehme nur noch einen Antrag von Ihnen an, wenn Sie ihn selbst geschrieben haben.'" Im Gefängnis gibt es Alphabetisierungskurse und die Möglichkeit, einen Schul- oder Studienabschluss zu machen. "Wer wartet schon auf einen Gefangenen, der aus dem Knast kommt, der nicht gearbeitet und keine Berufsausbildung hat - da stehen die Arbeitgeber nicht Schlange." Feindt gibt Tipps, vermittelt Kontakte zu Hilfsorganisationen oder einer Schuldnerberatung.
Ein Thema hat im Frauengefängnis große Bedeutung: Kinder. Einige der Frauen sind bereits Mutter, wenn sie in Haft kommen, und die große Frage ist, was mit den Kindern passiert. "Wenn ein Mann in Haft kommt, ist meist klar, dass sich die Frau um die Kinder kümmert. Wenn die Frau in Haft kommt, dann ist das ein Problem." Dann übernimmt oft das Jugendamt.
Zwar können die Kinder ihre Mütter meist im Gefängnis besuchen - aber die Besuche finden häufig in einem Besucherraum unter Aufsicht statt. In Nordrhein-Westfalen etwa gibt es nur eine Unterbringung für Mütter und ihre Kinder: Die Einrichtung in Fröndenberg bietet Platz für 16 Mütter und 23 Kinder. Voraussetzung ist, dass die Frauen im offenen Vollzug und die Kinder noch nicht schulpflichtig sind.
Schwangere Frauen werden meist in einem Krankenhaus "draußen" untersucht. Gefesselt werden sie dorthin gefahren und bleiben es manchmal sogar während der Untersuchung oder gar bei der Niederkunft. In einigen Fällen würden Mutter und Kind direkt nach der Geburt getrennt. Kuscheleinheiten, ein Kennenlernen oder Berührungen sind nicht selbstverständlich.
In Feindts Gottesdiensten geht es oft darum, dass Gott die Menschen zu einer Freiheit erlöst hat und auch die Menschen, die schwere Straftaten begangen haben, von Gott gewollt sind und er jeden annimmt, der bereut. Es sei gar nicht leicht für die Gefangenen, dieses Angebot anzunehmen, weiß der Seelsorger. "Immer in seiner Schuld gefangen zu sein - das ist schlimmer als Gefängnis."
Doch es gibt auch andere Erfahrungen: Feindt erzählt von einem Kosovo-Albaner, Muslim, der schwerhörig war und kein Deutsch sprach. "Er kam strahlend rein, und strahlend ging er hinaus - er hat kein Wort verstanden von dem, was ich gesagt habe." Als Feindt den Mann nach dessen Entlassung wieder traf, wurde er umarmt. "Für ihn war wichtig, dass er angenommen war. Das hat er verstanden.
Forderungen der Arbeitsgemeinschaft Frauenvollzug
Bei der "Konferenz der Katholischen Seelsorge bei den Justizvollzugsanstalten in der Bundesrepublik Deutschland" verabschiedete die "Arbeitsgemeinschaft Frauenvollzug" im Jahr 2011 ein Positionspapier, das "aktueller denn je" ist, wie die Sprecherin der AG, Josefine May, sagt. Noch immer werde nicht genug auf die Besonderheiten im Frauenvollzug eingegangen.
Die Arbeitsgemeinschaft fordert unter anderem, dass die "Würde der Frau (...) bei der Umsetzung des Frauenvollzuges geachtet" und die "Haftbedingungen gendergerecht gestaltet" werden müssen. Es gebe etwa selbst im Gefängnis eine Einkommenslücke zwischen Männern und Frauen, so May, außerdem führten auch männliche Angestellte die Haftraumkontrolle durch.
Die Verfasser des Positionspapiers gehen davon aus, dass Frauen in der Regel eher geringfügige Delikte begehen, wie Diebstahl oder Betrug, die eigentlich eine Unterbringung im Offenen Vollzug rechtfertigten. Weiterhin erfordere der Frauenvollzug "eine gendergerechte ärztliche Versorgung. Dazu gehört eine Wahlmöglichkeit zwischen Ärztin und Arzt." Diese gebe es für die Frauen momentan nicht, sagt May. Die Folge: Viele der weiblichen Häftlinge gehen erst gar nicht zur Untersuchung. Auch müsse ein ungehinderter Telefonats- und Besuchskontakt zu den Kindern selbstverständlich sein. Und nicht zuletzt fordert das Positionspapier: "Schwangere Frauen und Frauen mit kleinen Kindern gehören, wegen des Kindeswohls, nicht in Haft."