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Spiritualität im Alltag

Heilige Orte finden sich nicht nur in Kirchen, heilige Zeiten sind nicht an Gottesdienste gebunden. Auch in den Dingen des täglichen Lebens lassen sich tiefe Dimensionen entdecken und lässt sich etwas erahnen vom Glück und Geheimnis des Augenblicks. Die "Spiritualität des Alltags" lädt dazu ein, im ganz gewöhnlichen Leben das Besondere zu entdecken – durch Wahrnehmen und Staunen.

Die Zwiebel als Lehrmeisterin

1. Teil: Kochen und Essen

Von Stephanie Meyer-Steidl

Seit mehr als 20 Jahren koche ich. Ich schäle und schnipple, brate an, rühre um, schmecke ab. Mal mehr oder weniger regelmäßig, mal mit Lust und Leidenschaft, mal notgedrungen und gehetzt. Ich koche, um zu essen, um satt zu werden.

So weit, so gut. Doch was geschieht da eigentlich genau – beim Kochen? Zunächst einmal ist es eine Abfolge mechanischer und chemischer Reaktionen: Durch Schneiden und Zerkleinern entstehen mundgerechte Stücke, durch die Hitze gerinnt das Eiweiß, Fette schmelzen, Unverdauliches wird genießbar, es bilden sich Aromastoffe. Gewürze und Kräuter verfeinern und verleihen zusätzlichen Geschmack. Kochen ist ein bisschen Physik, etwas Biologie und ganz viel Chemie. Punkt.

Aber ganz allmählich, nach über 20 Jahren, beginne ich zu ahnen: Kochen ist noch viel mehr als das. Kochen ist ein Wunder. Meine Nachbarin Claudia runzelt die Stirn: "Ein Wunder? Na ja. Jeden Tag kochen, das nervt oft. Das Einkaufen, die ganze Arbeit – im Nu ist alles weggegessen, und mindestens einer hat immer etwas zu mäkeln." So geht es vielen, die regelmäßig ihre Familie bekochen. Wenig wertgeschätzt und unter Druck wird es zur lästigen Pflicht. Weil es zahllose andere Dinge zu tun gibt, bleibt bisweilen nur noch Zeit für Fertiggerichte oder für das schnelle Essen außer Haus.

Verständlich – jede kennt derartige Situationen – und bedauerlich zugleich. Denn damit bringen wir uns um die Chance einer großartigen Entdeckung: Beim Kochen produzieren wir nicht nur Essbares, wir können etwas lernen über uns selbst. Durch die Art, wie wir arbeiten, wie wir mit Lebensmitteln umgehen. Wie wir schneiden und rühren und abschmecken. Um das herauszufinden, hilft es, sich für eine Weile selbst zu beobachten, wie von außen und möglichst neutral. Wie verhalte ich mich, wenn ich koche? Arbeite ich schnell? Geht mal etwas daneben? Oder bin ich eher langsam und brauche Zeit?

Ein häufig gebrauchter Begriff der letzten Jahre ist "Achtsamkeit". In der Küche können wir es damit einmal ausprobieren. Was bedeutet es, zum Beispiel eine Zwiebel achtsam zu schneiden? Manchmal liegen die Zwiebelwürfel vor mir auf dem Schneidebrett und ich weiß nicht mehr, wie sie dahin gekommen sind. So sehr war ich in Gedanken mal wieder irgendwo, nur nicht bei Messer und Zwiebel. Gerne lasse ich mich auch ablenken bei der vermeintlich eintönigen Arbeit: durch Küchengespräche, durch das Radio. Das ist nett und unterhaltsam, zerstreut aber Geist und Aufmerksamkeit.

Ganz anders hingegen fühlt es sich an, wenn ich es schaffe, mich ganz und gar dieser einen Sache zuzuwenden. Nur diese Zwiebel, nur dieser Handgriff, und der nächste, und der nächste. Sonst nichts. Das ist keine Heldentat, es beschert mir aber Momente der Sorgfalt und Präsenz, im besten Fall der Ruhe – im Äußeren wie im Inneren. Konzentration auf das Hier und Jetzt. Dass ich mich dabei deutlich weniger ins eigene Fleisch schneide, ist ein angenehmer Nebeneffekt.

Es geht aber nicht nur um mich. Um beim Beispiel der Zwiebel zu bleiben: Auch diese kann im achtsamen Wahrnehmen eine tiefere Bedeutung erhalten. Probieren Sie es einmal aus und nehmen Sie eine Zwiebel in Ihre Hand: Wer hat sie wohl gepflanzt? Wo ist sie gewachsen? Wie viel Arbeit von wie vielen Händen und wie viele Ressourcen waren nötig, damit sie jetzt hier liegt? Was für Wege hat sie hinter sich? Erstaunlich, welche Dimensionen, welche Zusammenhänge und welche Verbundenheit sich bei genauerem Hinschauen offenbaren. Der japanische Zen-Meister Suzuki Roshi sagte dazu: "Wenn du kochst, dann arbeitest du nicht einfach mit Essen. Du arbeitest mit dir selber, du arbeitest mit anderen Menschen."

Letztlich gilt: Ob Zwiebel oder Ananas, ob Schweineschnitzel oder Apfel – alles ist Ausdruck von Arbeit und Sorge, von Leben und Sterben, vom ewigen Kreislauf. Gehe ich anders mit Lebensmitteln um, wenn ich mir diese Zusammenhänge ab und zu bewusst mache? Ich glaube schon. Mit der Zeit "macht das etwas mit mir", wie es auf neudeutsch heißt. Es entsteht eine Beziehung zu den Dingen, die ich verarbeite, zu den Menschen, denen ich sie verdanke.

Und Beziehungen verleihen Bedeutung. Wenn ich in Beziehung stehe, bin ich nicht mehr gleichgültig – dann ist mir etwas wichtig, vielleicht sogar heilig. Kochen also als Wunder, Küche als heiliger Ort? Teresa von Avila, die große mittelalterliche Mystikerin und Philosophin, hat eine eindeutige Antwort auf diese Frage gefunden: "Gott ist auch zwischen den Kochtöpfen." Sarah Wiener, die österreichische Star-Köchin, sagt es so: "Ich koche, weil ich liebe."

Was für das achtsame Kochen gilt, gilt erst recht für das Essen. Bewusst genossen, ist Essen weit mehr als Sattmacher und notwendiges Übel zur Lebenserhaltung. Essen kann Zufriedenheit schenken, kann glücklich machen. Umso mehr, wenn wir ihm unsere volle Aufmerksamkeit schenken. Während eines Meditationskurses war die Gruppe dazu angehalten, schweigend zu essen. Zunächst eine befremdliche Vorstellung, denn Essen und Reden gehören eigentlich zusammen. Doch der Versuch hat sich gelohnt. Durch nichts abgelenkt, schmeckte die Kartoffel gut wie nie, brauchte die Suppe auf einmal erstaunlich wenig Salz, war der Hunger viel früher gestillt als sonst.

In der Schule der Achtsamkeit gibt es eine Übung mit einer Rosine. Da geht es darum, diese Rosine erst einmal sehr genau zu betrachten, mit all ihren Details, und sie dann, ganz langsam und mit so viel Kauen wie möglich, zu essen. Versuchen Sie es und lassen Sie sich überraschen. Zweck dieser Übung ist es, konzentriert und mit allen Sinnen zu verkosten, wie intensiv diese kleine Frucht schmeckt, wie intensiv das Leben schmeckt. Sie fördert zu Tage, welche Wahrnehmungen uns zur Verfügung stehen, wenn wir uns für sie öffnen. Und wie wenig es dafür braucht, um diese Erfahrungen zu machen. Ähnlich wie beim Kochen, machen uns Aufmerksamkeit und Präsenz beim Essen fast automatisch sensibler und empfänglicher: für die Herkunft der Lebensmittel und ihre Beschaffenheit, für Geschmack und Qualität.

Über Genuss und Lust hinaus stiftet Essen aber vor allem Gemeinschaft. Nicht von ungefähr werden wichtige Dinge bei Arbeitsessen besprochen, versammelt man sich mit Freunden um den Tisch. Im Christentum führt die Erinnerung an das letzte Mahl Jesu die Gläubigen zusammen. Überhaupt, das Erinnern. Denken Sie bisweilen an die Leibgerichte ihrer Kindheit? An Großmutters Apfelkuchen und Tantes Sauerbraten? An Schokolade satt, Himbeereis und Wackelpudding? Das pure Glück. Die Lieblingsspeise aus vergangenen Tagen macht froh, weil sie an Wohlbefinden, Geborgenheit und heile Zeiten erinnert. Echtes "Soulfood" eben, "Seelennahrung".

Vor oder nach einem Essen zu beten, hat stark an Bedeutung verloren. Das ist nachvollziehbar, denn die alten Texte tragen oft nicht mehr, sind vielen zu eng und zu klein geworden. Dennoch: ein kurzes Innehalten, auch schweigend, kann gut tun. Es sammelt die Aufmerksamkeit und gibt den Blick frei auf die tiefe Dimension des Kochens und des Essens – in Wertschätzung und Dankbarkeit.

Stand: 04.01.2018