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Schöner wiederverwerten

Eine zweite Chance für den Müll

Von Katrin Raith

Auf dem langen Holztisch im Kölner Laden-Atelier "Kleidsam" stapeln sich alte Jeans, bunte Röcke, Batik-Blusen, Blazer mit Schulterpolstern und ein Wollmantel-Ungetüm. Einst schöne Sachen, nun aus der Mode gekommen, zu eng geworden, nicht mehr zu gebrauchen. Theresa zieht einen Trenchcoat aus ihrer Tasche und legt ihn auf den Tisch. "Den Mantel habe ich sehr geliebt, doch die Fahrradschmiere ging nicht mehr raus", sagt die Lehrerin und zeigt auf einen dicken schwarzen Fleck. Den Trench wegzuwerfen, brachte sie aber nicht übers Herz. Nun will sie das Lieblingsstück bei einem Nähkurs von Amba Urbach "upcyceln".

Aus Altem etwas Neues schaffen: Wie beim Recycling werden beim Upcycling (das englische Wort "up" bedeutet "hoch", Anm. d. Red.) Gegenstände und Materialien verarbeitet, die normalerweise im Müll landen. Allerdings gibt es einen großen Unterschied. "Beim Upcycling geht es darum, etwas so zu verwandeln, dass es hinterher schöner ist als vorher", erklärt Designerin Amba Urbach. Das scheinbar Nutzlose wird aufgewertet, bekommt eine völlig neue Funktion. Aus einer alten Bundeswehrdecke entsteht ein Mantel, ein besticktes Geschirrhandtuch findet Verwendung als Teil einer Jacke, eine Männerhose wird zum Rock.

Wenn das so einfach wäre. Eine der Teilnehmerinnen des Nähkurses guckt ratlos auf den Haufen Altkleider, der sich vor ihr türmt. Doch die kunstvoll gearbeiteten Unikate, die an den Kleiderstangen hängen, inspirieren die Frauen. Und Amba Urbach macht Mut, steht mit professionellen Tipps zur Seite. Die 47-Jährige hat schon immer gerne mit alten Textilien gearbeitet. "Die Kleider haben ihre ganz eigene Geschichte", sagt sie. Gebrauchsspuren oder Flecken arbeitet sie mit ein, die Vergangenheit soll man den Stücken ansehen.

Zwei Stunden später herrscht schöpferische Stille. Theresa hat sich doch nicht an den Trench gewagt, erst einmal will sie aus zwei alten Jeans eine Jacke schneidern. Während sie noch mühsam die Nähte auftrennt, sitzt ihre Freundin Martina schon an der Nähmaschine und umkettelt Säume. Ihr gefällt der kreative Aspekt: "Ich finde es spannend, mir etwas auszudenken und es dann auch selber umzusetzen."

Aus Alt mach Neu – das Motto des neuen Trends ist eigentlich ein uraltes. Schon unsere Großmütter mussten sparsam haushalten. Abgetragene Kleidung wurde für die jüngeren Geschwister passend gemacht. Auch in den Entwicklungsländern wird noch heute der meiste Müll verwertet, fertigen die Menschen etwa aus Gummi- oder Plastikabfall Nützliches für den täglichen Bedarf. Doch nicht Armut oder Mangel sind der Grund für den Trend zum Upcyceln in Deutschland, sondern das Gegenteil: der Überfluss.

"Wir haben von allem doch mehr als genug2, sagt Theresa, während sie ihre alte Jeans zuschneidet. Es ärgert sie, dass täglich so viel weggeworfen wird, viele sorglos mit Rohstoffen und Energie umgehen. Auch Amba Urbach sieht ihre Mode-Kunst als Kontrapunkt zur Wegwerfgesellschaft.

Es passt für sie nicht zusammen, die Arbeitsbedingungen der Frauen in den Textilfabriken in Bangladesch anzuprangern und dann doch Massenware, hergestellt in Fernost, zu kaufen. Die Kölnerin ist überzeugt: "Die Textilindustrie, so wie sie jetzt ist, macht alle krank: diejenigen, die die Sachen produzieren müssen, diejenigen, die den Einheitslook später tragen und unseren Planeten."

750.000 Tonnen Altkleider kommen pro Jahr allein in Deutschland zusammen. Upcycling hilft Überproduktion zu vermeiden und schont damit Ressourcen und Energie, ist gut für die Umwelt. Dieser Gedanke der Nachhaltigkeit war es, der auch Ursula Schillen von der kfd in Herbern fürs Upcyceln begeistert hat. Zwei Kurse hat sie schon organisiert. Nicht Altkleider wurden hier verwertet, sondern ausgediente Kaffeekapseln. Unter fachkundiger Anleitung von Petra Berges aus Münster bastelten die Frauen aus den Metallhütchen Modeschmuck. "Wir haben die bunt schimmernden Kapseln gepresst oder gefaltet, verziert, ein Loch durchgestanzt, und schon war der Kettenanhänger fertig", sagt Schillen. "Das ist ganz einfach und sieht toll aus." Kein Schmuckstück sei wie das andere, "alles Unikate". Claudia Närdemann hat mit ihrer 15-jährigen Tochter teilgenommen. Sie ist dabei auf den Geschmack gekommen: "Ich überlege jetzt immer, wenn ich etwas wegwerfe, was könntest du da vielleicht im nächsten Kurs daraus machen."

"Aus Alt mach Neu." Längst haben auch viele Designer und Firmen das Upcycling für sich entdeckt. Vor allem in den Bereichen Mode und Möbel gibt es einen regelrechten Boom. Im Internet werden auf unzähligen Plattformen und in Blogs Ideen ausgetauscht: Holzbohlen werden zu Regalen veredelt, alte Porzellantassen strahlen als Lampen neu auf, aus ausrangierten Feuerwehrschläuchen oder Luftmatratzen werden Taschen. Die Verbindung aus originellem Design und Nachhaltigkeit trifft den Zeitgeist: "Welt retten, Geld sparen, Style haben." So bringt der Untertitel eines Upcycling-Handbuchs die neue Begeisterung für sozial- und ökologisch verantwortungsbewussten Konsum auf den Punkt.

Für Amba Urbach ist Upcycling kein Trend, sondern Kunstform und Lebensphilosophie. Ihre Aufgabe sieht die Designerin darin, Alternativen aufzuzeigen, um Veränderungen zu bewirken: "Manchmal braucht es Leute wie mich, die bewusst anders leben und sagen, ich stelle mich und mein Wissen zur Verfügung." Inspirieren, anstecken und vielleicht, so die Hoffnung von Urbach, greift ja irgendwann auch mal die Industrie die Ideen auf.

Im Laden-Atelier neigt sich der Nähkurs dem Ende zu. Martina schlüpft stolz in ihren neuen Rock, für den sie eine Hose des Ehemannes und eine Bluse aus einem früheren Bali-Urlaub kombiniert hat. Theresa steckt mit ihrer Jacke dagegen noch in den Anfängen. Sie wird das Stück zuhause fertig nähen. Und sich irgendwann an ihren geliebten Trench wagen – um ihm eine zweite Chance zu geben. 

Stand: 04.01.2018