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Die rosa Brille

Spielwarenindustrie setzt auf spezielle Produkte für Mädchen und für Jungen

Von Jutta Oster

Weihnachtszeit, Geschenkezeit. Wer in die Spielwarenabteilungen der Kaufhäuser geht, findet die Welt geteilt – in Rosa und Hellblau. Die Spielzeugindustrie bringt Produkte auf den Markt, die sich nur an Mädchen oder nur an Jungen richten. Doch welche Folgen hat diese künstliche Geschlechtertrennung für Kinder? Und wie können Eltern darauf reagieren?

Auf der Jagd nach Grundstücken und Gebäuden sein, Hotels bauen, Miete kassieren, auch mal Bankrott gehen – bereits seit knapp 80 Jahren spielen Menschen weltweit "Monopoly", einen der Klassiker unter den Gesellschaftsspielen. Für Mädchen gibt es inzwischen eine eigene Variante des Brettspiels. Die Sonder-Edition ist ganz in Pink und Rosa gehalten. Statt der Straßen können die jungen Spielerinnen Schuhgeschäfte und Modeboutiquen erstehen, statt der Ereignis- und Gemeinschaftskarten halten sie SMS- und E-Mail-Nachrichten in den Händen. Die Spielfiguren, Entschuldigung, die "glamourösen Spielfiguren", und Würfel sind in einem eigenen Schmuckkästchen untergebracht.

Ein Witz? Nein, ein erfolgreiches Geschäftsmodell. Wer heute einen Spielwarenladen betritt, sieht vor allem pink und rosa. Da gibt es den Laptop für Mädchen in der rosa Variante, die Modeboutique von Playmobil in der rosa Verpackung, das Memory-Spiel mit der rosa angezogenen Minnie-Mouse oder das Duplo-Set für die Kleinen mit rosa- und pinkfarbenen Steinen. An anderen Stellen im Laden findet man die Technik-Sets für Jungen, die Star-Wars-Accessoires in düsteren Farben wie Blau, Grau und Schwarz oder die "Monster Fighters" von Lego.

Industrie setzt auf den "kleinen Unterschied"

Mode, Ponys und Kinderküchen auf der einen Seite, Technik, Monster und Kämpfer auf der anderen Seite? Die Welt der Spielwaren ist klar nach Geschlechtern getrennt, als hätte es die Frauenbewegung nie gegeben. Auch die Lebensmittelindustrie zieht inzwischen nach. Sie brachte beispielsweise Überraschungseier in der rosa Variante mit der Aufschrift "Für Mädchen" oder Getränke wie den "Elfentrank" von Capri-Sonne auf den Markt.

"Gendermarketing", geschlechtsspezifisches Marketing, nennt sich dieses Phänomen. Bei der Entwicklung, dem Vertrieb und der Werbung von Produkten soll gezielt auf die Interessen von Mädchen und Jungen eingegangen werden.

Doch warum setzt die Spielwarenindustrie – neben der Lebensmittel- und auch der Textilbranche – so stark auf den angeblich kleinen Unterschied? Die Autoren Almut Schnerring und Sascha Verlan, selbst Eltern dreier Kinder, sind der Frage nachgegangen und haben dazu ein Buch veröffentlicht, "Die Rosa-Hellblau-Falle. Für eine Kindheit ohne Rollenklischees" (Kunstmann, München 2014). "Es lassen sich eben mehr Waren verkaufen, wenn Spielsachen, Zimmereinrichtungen, Bücher und andere Medien, wenn Kleidung, Schulbedarf und auch Freizeitinteressen unserer Töchter nicht gut, zumindest nicht gut genug sind für unsere Söhne und umgekehrt. Im Idealfall bringt das den doppelten Umsatz", schreiben Schnerring und Verlan.

Sinkenden Geburtenzahlen trotzen

Ist Gendermarketing also als ein Weg, die Rendite in Zeiten sinkender Geburtenzahlen zu halten oder zu erhöhen? Die Spielwarenindustrie hat ihre Umsätze in den vergangenen Jahren beständig steigern können, 2013 lag der Umsatz bei knapp 2,8 Milliarden Euro in Deutschland. Ulrich Brobeil, Geschäftsführer des Deutschen Verbandes der Spielwarenindustrie (DVSI), bestätigt den Trend zu geschlechtsspezifischem Spielzeug, sieht aber andere Ursachen dafür. "Die Spielwarenindustrie reagiert damit auf Bedürfnisse, die von außen an sie herangetragen werden", sagt Ulrich Brobeil. Er selbst ist Vater eines Sohnes und einer Tochter und beurteilt die Entwicklung weniger kritisch: "Die geschlechtsspezifische Auswahl der Spielwaren ist Teil der kindlichen Entwicklung." Ohnehin vermischten sich die Spielsachen seiner Tochter und seines Sohnes im Familienalltag.

Eingeschränkte Wahlmöglichkeiten

Almut Schnerring dagegen hat den Eindruck, dass die Rollenklischees, mit denen Kinder konfrontiert werden, in den vergangenen zehn Jahren stark zugenommen haben. Gendermarketing verfestige solche Stereotype. Erwachsene hätten starken Einfluss auf das Bild, das Kinder vom Miteinander von Frauen und Männern entwickeln: durch Werbung, Bücher und Filme, das Angebot an Spielzeug, Kleidungs- und Ernährungsgewohnheiten, überhaupt das Zusammenleben in der Familie. Die Rollenzuschreibungen sind heute allgegenwärtig: Ein Junge, der eine rote Jacke trägt, ist im Kindergarten Hänseleien ausgesetzt. Ein Mädchen, das kurze Haare hat, hört: "Du siehst ja aus wie ein richtiger Junge."

Doch welche Folgen hat diese Art der künstlichen Geschlechtertrennung? "Die Grenzen sind enger geworden", sagt Almut Schnerring, "die Möglichkeiten für Kinder, ihre Persönlichkeit frei zu entwickeln und aus allen Bereichen zu wählen, sind eingeschränkt." Kinder sollten aber nach ihren Interessen entscheiden können, nicht nach ihrem Geschlecht.

Auch die Initiative "Pinkstinks", die ursprünglich aus Großbritannien stammt und vor zwei Jahren in Deutschland gegründet wurde, will durch Kampagnen dem Trend zu Produkten und Marketingstrategien entgegenwirken, die Kindern eine "limitierende Geschlechterrolle" zuweisen. "Pinkifizierung" nennt die Gründerin und Genderforscherin Stevie Meriel Schmiedel diese Entwicklung. "Pink ist eine wunderbare Farbe", sagt Schmiedel, "aber wir sind gegen klare Zuschreibungen, was Mädchen und was Jungen zusteht." Die Initiative wirbt daher für ein kritisches Medienbewusstsein und positive Rollenbilder in der Werbung.

Rosa Spielwaren auf dem Wunschzettel

Kinder sind empfänglich für die Botschaften der Werbeindustrie und nehmen sie für bare Münze. Was also tun, wenn Mädchen sich die Barbiepuppe wünschen, die rosa Lego- oder Playmobiledition? Kinder können die Aussagen der Marketingstrategen noch nicht hinterfragen, das sei Aufgabe der Eltern, glaubt auch Almut Schnerring. Die Autorin rät dazu, dem Kind einen Herzenswunsch nicht zu versagen, aber mit der Tochter oder dem Sohn im Gespräch zu bleiben, ruhig auch mal zu erklären, warum man ein Produkt nicht gut findet. Sie empfiehlt Spielzeug, das vielfältige Spielmöglichkeiten bietet, zum Beispiel klassische Holzklötze, Malutensilien oder Steck- und Stapelspiele. Eltern finden solche Geschenke am ehesten in kleinen, individuellen Spielzeugläden, die nicht nach Produkten für Mädchen und Jungen unterscheiden. Und die nicht auf Rosa und Hellblau setzen.

Stand: 20.12.2017