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Wir haben eine Vorreiterrolle

Wieso lässt sich eine Frau, die als Jugendliche von einem Geistlichen missbraucht wurde, wieder auf die Kirche ein? Johanna Beck engagiert sich in ihrer Gemeinde in Stuttgart, sie arbeitet im Betroffenenbeirat und beim Synodalen Weg mit und hat sogar nochmal ein Studium aufgenommen: Theologie! Begegnung mit einer, die den Glauben (noch) nicht verloren hat.

Von Jutta Laege

Wenn Johanna Beck über die katholische Kirche spricht, schlagen zwei Herzen in ihrer Brust. Der eine Takt wird vorgegeben von dem, was sie sich in den vergangenen drei Jahren selbstbewusst und akribisch zurückerobert hat. Der andere wird bestimmt durch das, was ihr als Jugendliche widerfahren ist. "Ich werde oft gefragt, warum ich überhaupt noch in der Kirche bin", sagt sie. "Manche Leute halten mich auch für schizophren. Ich kann nur sagen: Ich bin ein religiöser Mensch und habe meine spirituelle Heimat wiedergefunden. Ob das mein Leben lang diese Kirche sein wird, das weiß ich allerdings nicht." Die 38-Jährige stammt aus sehr katholischen Verhältnissen. Ihre Mutter war in führender Funktion in der KPE (Katholische Pfadfinderschaft Europas) engagiert, Johanna und ihre drei älteren Schwestern wachsen auf in der Selbstverständlichkeit von katholischen Glaubenssätzen, Liturgie, Gottesdiensten, Pfadfinderfreizeiten und Zeltlagern.

Der Bruch erfolgt bei Johanna Beck kurz nach dem Abitur. Erklären kann sie ihn sich erst, als sie 2018 von der Missbrauchsstudie erfährt. "Ich dachte immer, dass Missbrauch Vergewaltigung heißt. Dass es aber viele Facetten und Grauzonen gibt, ist mir erst mit der Studie klar geworden." Den Ordensmann, den sie zivilrechtlich (erfolglos wegen Verjährung) und kirchenrechtlich zur Verantwortung ziehen will, bezeichnet sie als misogyn - als Mann, der Frauen als minderwertige Verfügungsobjekte betrachtet. Er habe sie und ihre Schwestern in seiner Rolle als Beichtvater missbraucht, sexuellen Psychoterror betrieben. "Kinder, die einem Priester nicht in die Augen schauen können, sind von Dämonen besessen, hat er mal gesagt. Das muss man erst mal aus dem Kopf bekommen - vor allem, wenn man dem entsprechenden Pater nicht mehr in die Augen gucken kann", erzählt sie. Und sie erinnert sich, wie sie bei einer Beichte mit geschlossenen Vorhängen im Gruppenraum sitzt: "Ich knie vor dem Priester, der mich mit seinen Oberschenkeln umfängt, mich am Arm berührt und wieder nur laut schnaufend über meine Keuschheitsvergehen sprechen will. Am Ende der Beichte schärft er mir ein, meine Sinne und meinen Körper abzutöten."

Johanna Beck ist damals 11. Mit 16 beginnt ihr Widerstand gegen das katholische System. Erst mit Anfang 30 kehrt sie zurück - ihrer eigenen Kinder wegen, die sie taufen lassen will. Der Missbrauch in ihrer Jugend ist da nicht mehr präsent.

"Ich hatte meine Wut und Traurigkeit als Teenager abgelegt, die Ereignisse im hintersten Winkel meiner Psyche versteckt."

"Ich hatte meine Wut und Traurigkeit als Teenager abgelegt, die Ereignisse im hintersten Winkel meiner Psyche versteckt. "Vermeidungsstrategie" nennt das ihre Psychologin. Sie beginnt ihre eigene Aufarbeitung, zunächst unter einem Pseudonym. "Madame Survivante" nennt sie sich in den sozialen Netzwerken, in denen sie plötzlich Gleichgesinnte findet. "Es hat mir Mut gemacht, ich kam aus der Isolation heraus." Irgendwann wird aus Madame Survivante - die Überlebende - Johanna Beck. "Mit anonymem Engagement kommt man nicht so weit. Jetzt fühle ich eine andere Durchschlagskraft und Glaubwürdigkeit", sagt sie. Es ist eine ArtSelbstbemächtigung. Sie ist dankbar, dass sie in ihrer Gemeinde, St. Eberhard, Austausch und Ansprache findet, dass sie vom dortigen Pfarrer Bestärkung erfährt - auch für das unlängst begonnene Theologiestudium, das ihr hilft, all ihre katholischen Erfahrungen einzuordnen. Sie findet: "Gute Theologie sollte doch zu einem mündigen, kritischen Glauben führen. Für mich ist das Theologiestudium total therapeutisch - es ist auch immer ein Dialog mit meiner Vergangenheit."

Die Perspektive der Opfer ist die eine Seite der Johanna Beck, die andere ist die der Kämpferin für die Frauenrechte. Für beides setzt sie sich als Gastmitglied beim Synodalen Weg ein. "Ich nutze mein unfreiwilliges Expertentum, um etwas zu verändern, um wachzuhalten, um zu sensibilisieren." Sie fühlt sich inspiriert von biblischen Vorbildern wie Maria Magdalena oder Junia. "Das sind tolle, starke, inspirierende Frauen." Gerade auch im Sinne der Frauenrechte müsse der Synodale Weg deutliche Signale setzen - und das über Deutschland hinaus. "Die Weltkirchen-Keule, die da oft geschwungen wird, ist unangemessen", sagt sie. "Wir haben doch vielmehr eine Vorreiterrolle gegenüber den Frauen weltweit", ist sie überzeugt und appelliert an Fraueninitiativen und Frauenverbände:

"Vernetzt euch, solidarisiert euch! In Südamerika, in Asien und in Afrika sind Frauen doch ebenso betroffen von Ungleichheit."

"Vernetzt euch, solidarisiert euch! In Südamerika, in Asien und in Afrika sind Frauen doch ebenso betroffen von Ungleichheit." Das Narrativ, dass die Reformkräfte in Deutschland die Spaltung der Kirche auslösen würden, will sie ebenso wenig gelten lassen und gibt sich kämpferisch: "Wenn man mit Blick auf die Vorgänge in Deutschland eine Spaltung fürchten sollte, dann ist es die Abspaltung der Frauen von der Männerkirche."

Wie sollte dann die Kirche der Zukunft aussehen? Johanna Beck hofft auf die guten Ansätze, die sie in den vergangenen Jahren miterlebt hat. In ihrer Gemeinde, in der auch digitale Kirche und Agapefeiern zu Hause möglich waren, sie sogar schon predigen durfte. "Naja, Ansprache hieß das dann", schränkt sie lächelnd ein. Auch der "Spirit" der Teilnehmerinnen einer Tagung zu Gewalt gegen Frauen in Kirche und Orden hat sie nachhaltig beeindruckt. "Ich hoffe, dass Kirche pluralere Formen annimmt. Die Missbrauchsstudie hat die Männerproblematik der Kirche dermaßen offenbart." Dagegen will sie weiter aufstehen. Als Betroffene, als Frau, als Generation K.

Die Generation K finden Sie auch hier:
www.kfd.de/generation-k

Stand: 21.10.2021