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Serie: Meine wichtigste Bibelstelle

Bibelverse können berühren, ermutigen, verwundern, bereichern. Was bedeuten sie aber jeder und jedem Einzelnen? In unserer neuen Serie haben wir Theologinnen und Theologen gebeten, uns ihre wichtigste Bibelstelle zu nennen und zu erklären, was sie daran fesselt und begeistert.  

Alle Folgen im Überblick

Prophetin Mirjam: Auf Augenhöhe

Die Geschichte der Schwester Mose wirft bis heute die Frage nach der Gleichberechtigung von Frauen auf.

Folge 1: Prof'in Dr. Agnes Wuckelt, Theologin und stv. kfd-Bundesvorsitzende über ihre wichtigste Bibelstelle:

NUM 12, 4–6

4 Augenblicklich sagte 'Gott' zu Mose, Aaron und Mirjam: "Geht hinaus, ihr drei, zum Begegnungszelt!" So gingen die drei hinaus.

5 Da stieg 'Gott' in einer Wolkensäule herab, stellte sich in den Eingang des Zeltes, rief
Aaron und Mirjam, so gingen die zwei hinaus.

6 Sie sagte: "Hört genau meine Worte: Wenn ihr prophetisch für 'Gott' handeln sollt, werde ich euch Erkenntnis geben, in einer Schauung oder einem Traum spreche ich zu ihm oder ihr."

Entdeckt habe ich ihn in den 1980er-Jahren im Buch Numeri: Er ist einer meiner Lieblingstexte. Sie, die Prophetin Mirjam, von der dieser Text erzählt, kenne ich jedoch schon länger.

In Bibelarbeit mit Frauen und in Frauenliturgien bin ich mit Mirjam durch das Schilfmeer getanzt: "Mirjam, Mirjam schlug auf die Pauke und zog vor ihnen her. Alle, alle fingen zu tanzen an: Groß war Gottes Tat am Meer."

In dieser gut bekannten Erzählung Exodus 15 hat Mirjam dieselbe Aufgabe wie Mose, nämlich das Volk aus Ägypten zu führen. Sie tun dies geschwisterlich auf Augenhöhe, als "Doppelspitze".

Im Buch Numeri treffen wir Mirjam in der Wüstenoase Hazerot. Hier hat das wandernde Volk sein Lager aufgeschlagen. Die Leserin oder Hörerin des Textes wird Zeugin eines hoch interessanten Gesprächs: Mirjam diskutiert mit Aaron über theologische Fragen.

Die erste hat einen ganz konkreten Hintergrund. Mose hat nämlich eine Frau aus Kusch, eine Äthiopierin geheiratet (V. 1). Beide, Mirjam und Aaron, sind der Meinung, dass Mose damit gegen das Verbot der Mischehe verstoßen hat. Wie kann er, der für andere ein Vorbild sein soll, solche Schuld auf sich laden?

Dazu kommt ein Zweites. Mirjam bringt es in die Diskussion ein, und es ist äußerst brisant. Kann Mose tatsächlich einen geistlichen Führungsanspruch fordern, der sie und Aaron ins zweite Glied versetzt? Mirjam und Aaron sind davon überzeugt, dass Gott nicht nur mit Mose, sondern auch mit ihnen gesprochen hat. Auch sie haben Gott erfahren. Auch sie sind von Gott berufen, verkünden als Prophetin und Prophet das Wort Gottes (V. 2)!

Der Erzähler dieser Episode bleibt nicht neutral. Für ihn steht außer Frage: "Mose aber war ein sehr demütiger Mann, demütiger als alle Menschen auf der Erde." (V. 3) Es ist schlichtweg ein "No-Go", Mose und seine Heiligkeit anzufragen!

Auch Gott - so der Erzähler - ist Zeuge des Gesprächs zwischen Mirjam und Aaron. Er ruft alle drei zum Offenbarungszelt, zum Heiligtum (V. 4). Verborgen in der Wolkensäule macht Gott Mirjam und Aaron klar: Mose hat die Gottesnähe schlechthin und exklusiv. Gott hat nur zu ihm "von Mund zu Mund" gesprochen, nur Mose hat Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen (V. 7).

Dagegen ist die Gotteserfahrung Mirjams und auch die des Aaron minderwertiger. Mit ihnen redet Gott "nur" im Traum, in Visionen (V. 6). Wie also kann sich Mirjam, wie kann sich Aaron mit Moses vergleichen? Wie können sich die beiden so abfällig über Mose äußern (V. 8)?

Ein solches Verhalten muss bestraft werden. Jedoch: Nur Mirjam trifft der Zorn Gottes mit aller Macht. Aaron, der doch Mirjams Meinung teilte, wird verschont. Mirjam bekommt "Aussatz", eine Hautkrankheit, die kultisch unrein macht und Quarantäne nach sich zieht.

Im Fall Mirjams wird eine Zeit von sieben Tagen festgesetzt. Sie wird für sieben Tage aus der Gemeinschaft ausgeschlossen (V. 10.14). Diese Gottesstrafe kommt einem Todesurteil gleich.

Aber sterben soll Mirjam dann doch nicht! Mose und Aaron legen Fürbitte für Mirjam ein (V. 11-13). In ihrer barmherzigen Geste liegt allerdings weniger Mitleid als eine weitere Maßnahme zur Zähmung dieser Frau! Mirjam bekommt "hautnah" zu spüren, dass sie ihren Anspruch, berufene Prophetin zu sein, aufgeben soll.

Wahre Propheten sind die Männer, die sich für sie vor Gott einsetzen. Und die Männer werden zu Wohltätern an Mirjam. Wie kann Mirjam diese Ausgrenzung durchstehen, wie überleben? Es sind die Zuwendung und Liebe des Volkes, die sie stützen und stärken. Das Volk gibt ihr Rückhalt, steht zu seiner Prophetin und Führerin Mirjam (V. 15-16).

Warum dies mein Lieblingstext ist? Zum einen: Wenn Mann und Frau dasselbe tun, ist es auch heute nicht dasselbe. Auch heute gibt es einen Katalog von Aussagen, die frau nicht machen soll - wie die zu ihrer Gotteserfahrung, ihrer Berufung und zu fehlender Gerechtigkeit.

Wenn Mann und Frau dasselbe tun, ist es auch heute nicht dasselbe."

Auch heute werden Frauen klein und mundtot gemacht, wenn sie dennoch Fragen stellen und gar Antworten haben, die sich von jenen der Männer unterscheiden, die das Sagen haben.

Aber der Text gibt zugleich Hinweise, wie frau damit umgehen kann. Mirjam lässt sich nicht darin beirren, dass sie von Gott zur Prophetin berufen ist. Ihr Gottesbild unterscheidet sich von dem der Männer Mose und Aaron. Es ist nicht das Gottesbild des Erzählers, der Frauen wie Mirjam in ihre Schranken weist.

Mirjam ist Theologin und Gott-Erfahrene. Sie spricht aus, was sie denkt und fühlt. Und das verschafft ihr Respekt und Zuneigung, von der sie auch in schwierigen Zeiten lebt.

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Außerdem in der neuen "Frau und Mutter"

Stand: 16.12.2019