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"Ich habe dich bei deinem Namen gerufen …" (Jes 43,1)

Gedenkgottesdienst für Menschen, die ohne Angehörige bestattet wurden

Von Jutta Oster

Dass jeder Verstorbene würdevoll verabschiedet und sein Name noch einmal genannt wird, dafür sorgt in Bonn die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen. Sie lädt regelmäßig zu "Gedenkgottesdiensten für Unbedachte" ein, Trauerfeiern für Menschen, die einsam gestorben sind.

Ein Vormittag in der Bonner Innenstadt. Draußen, in der Fußgängerzone, herrscht die Betriebsamkeit eines Samstags. Menschen eilen durch die Straßen, kaufen ein. Drinnen aber, in der Namen-Jesu-Kirche, ist es still. Rund 30 Menschen sind in die Kirche gekommen, die meisten von ihnen sitzen allein in den Bänken. Sie wollen an diesem Vormittag an die denken, an die sonst keiner mehr denkt: Menschen, die von der Stadt Bonn "von Amts wegen" bestattet wurden. Menschen also, die keine Familienangehörigen mehr haben, welche um sie trauern und sie beerdigen könnten. Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Bonn lädt drei- bis viermal pro Jahr zu dem ökumenischen Gedenkgottesdienst in die Kirche der Alt-Katholischen Gemeinde ein, um für diese "Unbedachten" einen würdigen Abschied zu gestalten. In vielen weiteren Städten gibt es ähnliche Gedenkfeiern.

Über die Verstorbenen ist wenig bekannt

"Heute gedenken wir der Menschen, die unbedacht beerdigt wurden. Sie sollen nicht gehen, ohne dass ihre Namen vor dir, Gott, noch einmal laut geworden sind", sagt der evangelische Pfarrer Ernst Jochum in seinem Gebet zur Eröffnung des Wortgottesdienstes. Die Menschen würdigen, die am Ende ihres Lebens allein waren – das ist das Anliegen derer, die in die Kirche gekommen sind. Es sind 47 Menschen, um die an diesem Tag getrauert wird, alphabetisch aufgelistet im Liedheft von B wie Margret Bartel bis W wie Andreas Windt. Wer diese Menschen waren, wie sie gelebt haben, warum sie so einsam gestorben sind, ob sie überhaupt an einen Gott geglaubt haben, darüber ist wenig bekannt.

Ihre Namen verraten kaum etwas über ihre Herkunft; ein Name könnte vielleicht auf eine Heimat im arabischen Raum hindeuten, einer auf eine osteuropäische Nationalität. Die Namen wie auch die Lebensdaten und Angaben zur Konfession bekommt die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen über die Stadtverwaltung Bonn. Zu Beginn der Trauerfeiern, im November 2009, war das wegen des Datenschutzes noch ein heikler Punkt, inzwischen gehören die Gottesdienste fest zum Gemeindeleben.

Oftmals handelt es sich bei den Verstorbenen um Wohnungslose, daher arbeitet die ACK Bonn mit dem Verein für Gefährdetenhilfe zusammen, der sich um Menschen ohne Obdach und Drogenabhängige kümmert. Darunter sind aber auch Senioren, die allein und zurückgezogen lebten und bei denen sich keine Angehörigen mehr ermitteln ließen. "Menschen am Rande der Gesellschaft", so fasst es Richard Herder, Vertreter der Mennonitengemeinde Bonn, in seiner Predigt zusammen.

Kerzen als Symbol der Auferstehung

Zur eigentlichen Zeremonie, der Totenehrung, stehen die Besucherinnen und Besucher des Gottesdienstes auf. Die Glocken der Namen-Jesu-Kirche läuten. Während die Namen der Verstorbenen laut verlesen werden, zünden Stefan Kandels, Diakon der Alt-Katholischen Kirche, und Gisela Thimm von der Evangelisch-Methodistischen Kirche jeweils eine Kerze für die Toten an. Die Lichter werden vor den Altar in zwei schwarze, mit Sand gefüllte Gefäße gestellt und brennen weiter, während die Gemeinde ein Lied zur Auferstehung singt, die Fürbitten spricht und das Vaterunser betet. Auch wenn der Gottesdienst schon lange vorbei ist, dürfen die Kerzen noch brennen. Manch ein Zufallsbesucher, der an diesem Tag die Namen-Jesu-Kirche in der Bonngasse betritt, fragt sich vielleicht, was es damit auf sich hat. Die Kerzen sind bewusst gewählt – weiße Stabkerzen, keine Teelichter. "Wir knüpfen damit an eine Tradition der orthodoxen Kirche an", sagt Pfarrer Ernst Jochum. "Anfangs liegen die Kerzen vor dem Altar und werden dann – als Symbol der Auferstehung – aufrecht in den Sand gesteckt."

Wichtig wie das Symbol der Kerze ist für die Totenehrung der Name des Verstorbenen. Pfarrer Ernst Jochum erinnert an das Buch Jesaja, in dem es heißt: "Ich habe dich beim Namen gerufen, du gehörst mir" (Jes 43,1b). Der Name jedes Toten soll während des Gottesdienstes noch einmal laut ausgesprochen und damit Gott besonders ans Herz gelegt werden, so der Theologe.

Manche der Menschen, denen das ein Anliegen ist und die an diesem Vormittag in die Kirche gekommen sind, gehören zum Verein für Gefährdetenhilfe Bonn, der mit dem Vorbereitungsteam der ACK kooperiert. Andere arbeiten in einem Seniorenheim, in dem ein Verstorbener betreut wurde, oder waren mit einem der Toten früher befreundet – zur Information werden die Namen regelmäßig in einer Anzeige des Bonner "General-Anzeigers" veröffentlicht. Manchmal sind es aber auch Zufallsbesucher, die sich die Kirche in der Bonner Fußgängerzone anschauen wollen und bleiben.

Natürlich werden die Gottesdienste in erster Linie zur Ehrung der einsam Verstorbenen veranstaltet. Pfarrer Ernst Jochum wünscht sich aber auch, die Besucherinnen und Besucher zum Nachdenken über Sterben und Tod anzuregen. "Das ist eine leise Hoffnung", sagt er. Er hat beobachtet, dass zu den Zeiten, in denen die Themen Sterben und Tod im Bewusstsein der Öffentlichkeit sind, wie im Monat November, auch mehr Menschen zu den Gedenkgottesdiensten kommen.

"Von Amts wegen" bestattet werden Menschen, von denen sich keine Familienangehörigen mehr ermitteln lassen, die für die Kosten einer Beerdigung aufkommen müssten. Dann treten die Städte ein, die Stadt Bonn jährlich mit rund 200.000 Euro. Dabei nimmt die Zahl zu: Waren es vor zehn Jahren noch 80 bis 90 pro Jahr, sind es inzwischen 140 bis 160, so Hannelore Schmitz, Sachgebietsleiterin Bestattungswesen bei der Stadt Bonn. Quer durch alle Schichten ziehe sich das. Der Stadt sei es dennoch wichtig, dass eine würdevolle Bestattung stattfinden kann: In der Regel ist das eine Urnenbestattung mit einer kleinen Trauerzeremonie. In Bonn wird nicht anonym bestattet – eine Platte oder Stele auf dem Friedhof trägt den Namen des Verstorbenen. Der etwas später, in der Bonner Namen-Jesu-Kirche, noch einmal feierlich verlesen wird.

Stand: 20.12.2017