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Eine Beziehung fürs Leben

Geschwisterbeziehungen bieten alles, was uns emotional packt: Spielkameradschaft in der Kindheit, tiefste Freundschaft und Nähe, verschworene Schicksalsgemeinschaft, aber auch ärgste Konkurrenz. Und – so ist es in der Regel: Bruder oder Schwester begleiten uns oft ein Leben lang. Was macht das Schwester- und Brudersein eigentlich aus? Die Expertin für Geschwisterbeziehungen, Susann Sitzler, steht uns Rede und Antwort.

Von Nadine Diab

Frau und Mutter: Was ist das Besondere an der Beziehung von Geschwistern?

Susann Sitzler: Niemand sucht sich seine Schwester, seinen Bruder selbst aus. Es ist faktisch eine aufgezwungene Beziehung. Aber weil man dieser Beziehung zunächst nicht ausweichen kann - weil man es sich darin nicht einfach machen kann - ist es möglich, in ihr eine Tiefe zu erleben, die es in selbstgewählten Beziehungen unter Umständen nicht gibt.

Hänsel und Gretel, die Brüder Löwenherz, Anna und Elsa: Schon unseren Kindern erzählen wir von besonderen Geschwisterbeziehungen. Was fasziniert uns Menschen an diesem Thema so?

Geschwisterlichkeit ist etwas Universelles. Es ist ein Konzept, das so gut wie jeder Mensch versteht. Gleichzeitig hat es so viele verschiedene Facetten, wie es Geschwister gibt. Niemand teilt die ganz genau gleichen Erfahrungen - und doch versteht man praktisch immer große Teile von dem, was jemand anderes über seine Geschwister sagt.

Was lernen wir von unseren Geschwistern? Und können Einzelkinder wirklich nicht teilen?

Mit Geschwistern lernt und übt man auf jeden Fall seine erste soziale Rolle. Als älteres Geschwister etwa, dass man für das Jüngere automatisch ein Vorbild ist, meist auch eine gewisse Verantwortung trägt. Als Jüngeres, dass da jemand ist, bei dem man sich Sachen abgucken kann. Dass die ältere Schwester oder der ältere Bruder aber manchmal auch Dinge kann und darf, für die man noch zu klein ist, und wo man dann wütend über seine Ohnmacht wird.

Die komplexeren Dinge wie Rücksichtnahme, Diplomatie und Verhandlungsgeschick kommen später dazu. Es ist von der Forschung allerdings widerlegt, dass Einzelkinder diese Dinge nicht beherrschen. Sie lernen sie einfach außerhalb der Kernfamilie, etwa in der Kita, mit Cousins oder Cousinen.

Würden Sie Sie zustimmen, dass die gleichgeschlechtliche Bindung sich von anderen Konstellationen unterscheidet? Ist die Beziehung zwischen zwei Schwestern inniger?

Verbindungen zwischen Geschwistern sind oft dann besonders eng, wenn sie dasselbe Geschlecht haben und/oder nur wenige Jahre Altersabstand. Kleine Kinder haben einander entwicklungsbedingt ständig im Blick und vergleichen sich ohne Unterlass miteinander.

Mädchen werden sozial ohnehin sehr stark auf den Vergleich miteinander geprägt, und da ist die Schwester, die man täglich in vielen Situationen sieht, die man so gut kennt wie sich selbst, bei der man jeden Entwicklungsschritt live mitbekommt und mit sich selbst vergleicht, natürlich prädestiniert. Man hat sozusagen eine Art lebendiges Spiegelbild bei sich.

Wenn die Schwestern charakterlich zusammenpassen, kann daraus eine intensive Nähe und Geborgenheit entstehen, die oft Basis einer lebenslangen, engen Bindung wird. Jedenfalls dann, wenn sie nicht von Rivalität untergraben wird. Diese kann allerdings von den Eltern gut gesteuert werden.

Wie ist das bei Zwillingen? Verschmilzen dabei das "Du" und "Ich"?

Darauf deuten viele Ergebnisse der Zwillingsforschung tatsächlich hin. Andererseits muss man aufpassen, dass man da nicht einem Mythos aufsitzt. Auch Zwillingsschwestern, die sich äußerlich sehr ähnlich sehen und entwicklungs- und genbedingt vielleicht sehr ähnliche Charakterzüge und Eigenheiten entwickeln, sind trotzdem auch immer deutlich individuelle Persönlichkeiten, die sich bei aller Verbundenheit voneinander sehr gut abzugrenzen wissen. Zwillinge sind besondere Geschwister. Aber sie sind keine Klone.

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Stand: 27.02.2020