Damit der Horizont nicht an der Haustür endet: So wird Reisen nachhaltiger
Tourismusexpertin Sonja Karl gibt Tipps für umweltfreundlichen Urlaub.
Von Saskia Bellem
Individuell mit Wohnmobil am Meer, pauschal auf der Kreuzfahrt oder abenteuerlich in den Bergen – es gibt zahllose Möglichkeiten zu verreisen, zu entspannen und zu entdecken. Welche Reiseform die richtige ist, ist höchst individuell. Was alle gemeinsam haben: Sie verbrauchen Rohstoffe und belasten die Umwelt.
Zum Glück gibt es Wege, um bereits bei der Reiseplanung darauf zu achten, diese Belastung so gering wie möglich zu halten. Damit alle etwas von diesem Urlaub haben: wir, die Menschen am Reiseziel, die Natur. Und zwar ohne, dass die Freude am Reisen dabei zu kurz kommt.
„Jede Person muss für sich ausmachen, wie viel sie reisen möchte. Ich persönlich will nicht in einer Welt leben, wo der Horizont an der Haustür endet“, sagt Tourismusexpertin Sonja Karl aus München. „Ich komme aus einem kleinen Dorf, und mich hat Reisen sehr verändert. Reisen kann dazu beitragen, andere Kulturen kennenzulernen, weltoffener zu werden und Vorurteile abzubauen. Reisen ist eine Bereicherung des Weltbildes. Inklusive neuer Sichtweisen auf das eigene Leben.“
Dafür brauche es nicht zwingend mehrere Fernreisen pro Jahr, meint Sonja Karl. Und sie muss es wissen: Bis zu seiner Insolvenz arbeitete Sonja Karl im Bereich Fern- und Luxusreisen bei einem großen Tourismuskonzern. Sie war gerade in Elternzeit und empfand bereits seit Längerem Unbehagen darüber, privat und beruflich so viel zu reisen. Also machte sie aus der Not eine Tugend und gründete mit fünf Kollegen und Kolleginnen faircations, ein Online-Portal für nachhaltiges Reisen, wo sie heute als geschäftsführende Gesellschafterin tätig ist.
„Wenn von nachhaltigem Tourismus die Rede ist, liegt der Fokus üblicherweise auf Ökologie. Schließlich sind Transport und Fliegen die größten Hebel, mit denen wir messbare Größen wie etwa den CO2-Ausstoß beeinflussen können. Für ein umfassenderes Verständnis müssen wir aber die wirtschaftliche und soziale Komponente mitbedenken.“
In Wissenschaft und Politik gibt es verschiedene Definitionen des unscharfen Begriffs „Nachhaltigkeit“. Weit verbreitet ist das Drei-Säulen-Modell „Ökologie-Ökonomie-Soziales“. Es stellt sicher, dass wir in Handel und Wirtschaft neben Umweltaspekten auch Kriterien wie Menschenrechte oder faire Bezahlung berücksichtigen.
Weltweit hängt jeder zehnte Arbeitsplatz direkt oder indirekt vom Tourismus ab. Was hilft es da, wenn die Bettwäsche im Hotel aus kontrollierter Biobaumwolle stammt, die Angestellten aber nur einen Hungerlohn bekommen?
Sonja Karl, die sich zudem im Frauennetzwerk Futurewoman für Nachhaltigkeits-Expertinnen engagiert, betont die Rolle des Tourismus als riesigen Wirtschaftsfaktor. In vielen Zielländern sei er eine wichtige Stütze auch von Gemeinschaften und Familien – ihnen fühlt sie sich verpflichtet. „Weltweit hängt jeder zehnte Arbeitsplatz direkt oder indirekt vom Tourismus ab. Was hilft es da, wenn die Bettwäsche im Hotel aus kontrollierter Biobaumwolle stammt, die Angestellten aber nur einen Hungerlohn bekommen?“
Das Problem: Für Außenstehende ist es schwer, die Nachhaltigkeit einer Reise, Unterkunft oder Fluggesellschaft zu beurteilen. So könne eine Billig-Airline eine hervorragende Ökobilanz aufweisen, weil sie die Flieger maximal auslastet. Und gleichzeitig miserable Arbeitsbedingungen bieten und Kunden schlecht behandeln.
Zum Glück erleichtern Siegel und Qualitätskriterien die nachhaltige Urlaubsplanung und können unter anderem bei der Auswahl einer geeigneten Unterkunft helfen. Denn weder Reisende noch Reisebüro oder -portale können verlässlich und lückenlos aus der Ferne nachprüfen, ob etwa die Angestellten in einem Hotel im Land X fair bezahlt werden. Daher berücksichtigen anerkannte Zertifizierungen nicht nur „grüne“ Aspekte wie ein biologisches Buffet oder energieschonende Architektur. Sie decken auch ökonomische und soziale Aspekte ab.
Es ist ein ziemlicher Wirrwarr mit den Siegeln. Manche Label sind leider frei erfunden“, sagt Karl. „Ich rate daher, dem Urteil einer neutralen Instanz oder gemeinnützigen Organisation zu vertrauen.
„Es ist ein ziemlicher Wirrwarr mit den Siegeln. Manche Label sind leider frei erfunden“, sagt Karl. „Ich rate daher, dem Urteil einer neutralen Instanz oder gemeinnützigen Organisation zu vertrauen.“
Eine solche Organisation ist der Globale Rat für nachhaltigen Tourismus (GSTC). Er definiert Nachhaltigkeitskriterien für Reiseveranstalter, Hotels und Urlaubsziele. Innerhalb Europas seien sogenannte „Biohotels“ eine gute Wahl: Das Biosiegel deckt viele Aspekte ab, darunter Speisenangebote, verwendete Textilien oder Reinigungsmittel. Und der Standort in der EU sichert, dass Kinderarbeit verboten ist und Mindestlohn gezahlt wird.
Im Jahr 2022 unternahmen aus Deutschland rund 53 Millionen Personen eine Urlaubsreise von mindestens fünf Tagen.* Der globale Tourismus ist für acht bis elf Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich, der Großteil entfällt auf An- und Abreise.**
Welche Reiseländer gelten nun als besonders nachhaltig? Das ließe sich pauschal schwer beantworten, so Karl. Skandinavien sei eine gute Adresse, während in anderen Ländern Einwegbesteck am Hotelbuffet noch verbreitet sei. Und Ziele wie Neuseeland punkten zwar bei der sozialen Nachhaltigkeit, hinterlassen aufgrund der immensen Entfernung aber einen großen ökologischen Fußabdruck.
Gerade bei Fernreisen ist dieser Fußabdruck durch die entstehenden Treibhausgase besonders groß, allen voran von Kohlendioxid (CO2), das entscheidend zur Erderwärmung beiträgt. Bereits bei der Buchung lässt sich dieser Schaden etwas abfedern: Plattformen wie atmosfair berechnen die entstehenden Treibhausgase pro Person und Strecke für alle Reiseformen. Der ermittelte „Gegenwert“ wird in klimafreundliche Projekte weltweit investiert. Dieser „Kompensation“ genannte Ausgleich kann die Emissionen zwar nicht aus der Luft tilgen, aber einen wichtigen Beitrag leisten. Bei Faircations etwa beträgt der Ausgleich für einen Mittelstreckenflug pro Person 20 Euro, die direkt an Kompensationsprojekte gehen.
Was neben Kompensation immer hilft: Sich neuen Ideen zu öffnen. So sieht Sonja Karl in Flusskreuzfahrten eine echte Alternative zu Meereskreuzfahrten, bei denen die Anreise zum Hafen meist per Flugzeug erfolgt. Zudem trage das Rundum-Sorglos-Paket an Bord wenig bis nichts zur lokalen Wirtschaft an den Haltepunkten bei. „All inclusive“ findet Sonja Karl „in vielerlei Hinsicht problematisch“: „Es wird wahnsinnig viel weggeworfen, weil die Buffets ständig aufgefüllt werden. Zudem profitiert die lokale Gastroszene nicht von den kaufkräftigen Touristen.“ Ähnliches gelte für Ressorts, die die Reisenden kaum verlassen. Für die Reiseplanung heißt das: Um die örtliche Wirtschaft zu unterstützen, kann bei der Wahl des Reiseziels ausschlaggebend sein, auf eine etablierte Restaurantkultur zu achten und auf all-inclusive zu verzichten.
Sonja Karl jedenfalls weiß genau, wie sie privat mit dem Thema Reisen umgeht: Sie will und wird weiterhin reisen. „Aber so, dass meinen Kindern das auch noch möglich sein wird. Ein Shopping-Trip nach New York übers Wochenende, mit dem Quad-Bike durch die Wüste düsen – das käme für mich nie infrage.“
* https://de.statista.com/themen/1342/reiseverhalten-der-deutschen
** https://www.dw.com/de/wie-klimasch%C3%A4dlich-ist-reisen/a-64068503