Die Non-Stop Nonne
Sie bezeichnet sich als "feministische Nonne" und zählt zu den 100 einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt. Doch ihr Engagement für Menschenrechte bringt Schwester Mary John in Lebensgefahr.
Von Jörg Nowak
"Was macht denn die Nonne da?", flüstert einer der Hotelgäste seiner Frau zu. Schwester Mary John Mananzan braucht einfach mal ein bisschen mehr Platz und hat sich nach ihrem Morgengebet von ihrem Zimmer in die Lobby begeben. In einer ruhigen Ecke des Berliner Hotels bereitet sie sich auf ihre Weise für ihren Auftritt vor: Samstagabend, live im ZDF mit mehreren Millionen Zuschauern.
Da steht sie im Ordens-Habit der Missionsbenediktinerinnen und drückt die Starttaste ihrer Musik-App im Smartphone. Sanfte Mediationsmusik erklingt. Mit fließenden Bewegungen führt sie ihre Tai-Chi-Übungen durch. In aller Seelenruhe. Mitten im Hotel, um Körper und Geist in Balance zu bringen. Das tut ihr sichtbar gut, immerhin hat die 1938 geborene Mary John eine Reise von 10.000 Kilometern hinter sich.
Einige Zeit später sitzt sie im Fernsehstudio neben Johannes B. Kerner. Mit emotionalen Worten bittet sie in der Spendengala "Ein Herz für Kinder" um Unterstützung für ein missio-Hilfsprojekt ihrer philippinischen Heimat. Jenes Projekt wird vor Ort von einem großen Team getragen und von einem engagierten katholischen Priester geleitet.
Wegbereiterin für Gleichberechtigung
Entgegen der weit verbreiteten Hierarchie bat der Geistliche gezielt Schwester Mary John, in die erste Reihe zu treten. "Ich fühle mich vor der Kamera nicht so sicher, bitte Schwester, stellen Sie lieber unser Projekt vor", so der Priester. Hilfreich für den Auftritt vor den Fernsehkameras waren die Deutschkenntnisse der philippinischen Katholikin. Schließlich hatte sie in Münster ihr Studium absolviert.
Ein Blick auf das Leben der Ordensfrau zeigt, wie sehr sie eine Wegbereiterin für Gleichberechtigung ist. Von Münster aus folgt der Ruf nach Rom, wo sie als erste Frau an der 1551 gegründeten Päpstlichen Universität Gregoriana promoviert.
Sie kehrt auf die Philippinen zurück und lehrt Theologie. "Was dann kam, war meine Feuerteufe." In ihrer Heimat regierte Diktator Ferdinand Marcos, er hatte das Kriegsrecht verhängt, es spielten sich dramatische Szenen ab.
"Zum ersten Mal sah ich mit eigenen Augen die Brutalität der Militärs", berichtet sie. Tausende Menschen werden gefoltert und getötet. Während einer Demonstration versucht ein Polizist, die widerspenstige Schwester Mary John zu verjagen, und schreit, sie solle sich gefälligst um die Seelen der Menschen kümmern. "Sehen Sie hier etwa Seelen herumspazieren?", entgegnet Schwester Mary John gelassen. "Als Christin bin ich davon überzeugt, dass wir uns um den Körper und die Seelen kümmern müssen."
Die menschenverachtende Politik des Regimes sorgt dafür, dass die katholische Kirche zu der treibenden Kraft einer friedlichen Revolution wird. Diktator Marcos flieht am 25. Februar 1986 in die USA. Am selben Tag beginnt eine neue politische Ära.
"Erstmalig regiert eine Frau die Philippinen", erinnert sich Schwester Mary John Mananzan. Im Lebenslauf der Politikerin Corazon Aquino sieht die Ordensfrau parallele Stationen weiterer wichtiger Frauen auf den Philippinen. Wie beispielsweise das renommierte Mädchengymnasium und College St. Scholastica - 1906 gegründet von deutschen Missionsbenediktinerinnen in Manila.
Die genannte Präsidentin des Landes ist hier ebenso zur Schule gegangen wie die erste Pilotin und die erste Richterin am Obersten Gerichtshof der Philippinen. Als langjährige Direktorin hat Schwester Mary John Mananzan den Charakter dieser modernen katholischen Schule durch ein progressives Frauenbild geprägt.
Ruf als Frauenrechtlerin
Schwester Mary John Mananzan hat sich über Jahrzehnte einen Ruf als Frauenrechtlerin erarbeitet. Sie gründete das Institut für Frauenstudien in Manila, veröffentlichte zahlreiche Bücher wie "Nun Stop" und "Nun Sense", hält Vorträge in über 50 Ländern der Welt und wird 2011 als eine der 100 inspirierendsten Personen der Welt geehrt. "Nun Sense makes sense" lautet der Titel ihrer eigenen Fernsehsendung.
Besonders wütend macht es Schwester Mary John, wenn Mädchen und Frauen ausgebeutet und sexuell missbraucht werden. Wie zum Beispiel das philippinische Hausmädchen Jennifer Dalquez. In Notwehr widersetzte sie sich in den Vereinigten Arabischen Emiraten ihrem Vergewaltiger. Am Ende wurde sie zum Tode verurteilt.
Im Rahmen eines missio-Projektes kämpfte Schwester Mary John mit der Organisation Migrante um das Leben der verzweifelten Frau und konnte während eines zweijährigen Prozesses die Freilassung bewirken.
Selbst Opfer einer Hasskampagne
Weil Schwester Mary John sich so vehement für Menschenrechte einsetzt, ist sie selbst nun Opfer einer Hasskampagne geworden. Regierungskreise bezeichnen die Missionsbenediktinerin öffentlich als "Terroristin".
Damit gilt die 83-Jährige als Freiwild für die Anhänger von Staatsoberhaupt Rodrigo Duerte, die als Todesschwadronen bereits zahlreiche unliebsame Kritiker ermordet haben.
Weil das Leben der langjährigen Projektpartnerin ernsthaft in Gefahr war, reagierte missio-Präsident Pfarrer Dirk Bingener sofort, startete eine Solidaritätsaktion und bat Außenminister Heiko Maas um Unterstützung.
Schwester Mary John selbst will sich indes nicht einschüchtern lassen und verbreitet ein selbstbewusstes Foto von sich im T-Shirt, auf dem steht: "Ich hasse es, wenn ihr mich eine Terroristin nennt."
Ihre Zuversicht und ihr Gottvertrauen hat sie von ihrer Mutter geerbt, die 103 Jahre alt wurde. So dürfte noch einiges zu erwarten sein von der mutigen Non-Stop-Nonne Mary John.
Kurz gefragt
Was denken Sie über die Apostelin Junia, Schwester Mary John?
Man kann viele komplizierte exegetische Texte lesen, die versuchen zu beweisen, dass Junia ein Mann war. Ich bin aber davon überzeugt, dass Junia eine Frau war. Ich komme daher zu dem Schluss, dass die frühe Kirche Frauen nicht von verantwortlichen Positionen ausgeschlossen hat, da Paulus sie zu seinen Gefährten gezählt hat, selbst im Gefängnis.
Dies stärkt unseren heutigen Einsatz, Frauen in der Kirche zu befähigen und in verantwortungsvollere Positionen in der Kirche im vollen Umfang zu bringen.
Ich denke, die Benennung Ihres Magazins in Junia wird Männer und Frauen in der Kirche heute daran erinnern, dass es in der frühen Kirche Frauen in verantwortlichen Positionen gegeben hat, die sie heute wiedererlangen sollten. VIEL KRAFT FÜR SIE!
Eine Frau als Päpstin? Ja, natürlich!"
Ihre Meinung zur Gleichstellung von Frauen in der katholischen Kirche?
Ich bin für die vollständige Gleichstellung von Frauen und Männern innerhalb der Kirche.
Sollte es Priesterinnen geben?
Ja, ich glaube, dass Frauen sogar die besseren Priester wären als Männer, weil Frauen tendenziell mehr Mitgefühl haben und weniger engstirnig sind. Viele Priester sind zu weit von den Menschen entfernt.
Und sollte eine Frau auch Päpstin werden dürfen?
Natürlich. Wieso sollten denn Frauen nicht gleich den ganzen Weg gehen?