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Mütter in der Krise

Was das Corona-Jahr über den Zustand des Familienalltags in Deutschland ans Licht brachte, wie Frauen die Belastung erleben und warum wir daran etwas ändern müssen.

Von Isabelle De Bortoli

Es ist 21 Uhr, ein Abend im Lockdown, als sich Jennifer Schmitt (Name von der Redaktion geändert) an den Schreibtisch setzt. Am Morgen hat sie ihre Zwillinge beschult, das kleine Einmaleins stand auf dem Plan. Der Stoff war den Kindern unbekannt, permanente Erklärung vonnöten. Anschließend musste das Mittagessen gekocht werden, dann hatte Jennifer Schmitt ein paar ruhige Minuten, um wenigstens schon mal Mails zu beantworten.

Dann hieß es: Nachmittagssnack, basteln mit den Kindern und einkaufen. Nun sind die Kinder im Bett und Jennifer Schmitt beginnt mit der Arbeit, die sie eigentlich tagsüber erledigen wollte: Die Frankfurterin arbeitet in der Marketing-Abteilung eines Museums. Obwohl wegen Corona keine Ausstellungen stattfinden, müssen doch künftige Programme aufgelegt und beworben werden. Manchmal fährt sie erst um 24 Uhr den PC runter. "So habe ich mir das natürlich nicht vorgestellt. Doch schon am ersten Lockdown-Tag hat mein Mann das Arbeitszimmer für sich beansprucht, ist mit sämtlichem technischen Gerät dort eingezogen. Für mich bleibt der Laptop am Küchentisch. Und weil er Vollzeit arbeitet, bleiben irgendwie auch das Homeschooling und die Kinderbetreuung an mir hängen."

Vorwiegend klassische Rollenverteilung

So wie Jennifer Schmitt geht es vielen Frauen in der Corona-Krise. Umfrageergebnisse der Bertelsmann Stiftung zeigen, dass die Verteilung der Aufgaben im eigenen Zuhause vorwiegend klassischen Rollenbildern zwischen Mann und Frau folgt. Während in der Wahrnehmung der Männer Kinderbetreuung und Hausarbeit gerecht aufgeteilt sind, leiden viele Frauen unter der aktuellen Krisensituation.

So geben 69 Prozent der Frauen an, dass sie die generelle Hausarbeit erledigen, während das unter den Männern gerade einmal elf Prozent von sich behaupten. Ähnlich verhält es sich bei Kinderbetreuung und beim Homeschooling: Während laut Auskunft der Frauen jeweils mehr als die Hälfte von ihnen die hier anfallenden Aufgaben übernimmt, sind es bei den Männern nur 13 und 15 Prozent.

Auffällig ist ein Bruch in der Wahrnehmung der Hausarbeit und der damit einhergehenden Arbeitsbelastung zwischen Frauen und Männern. Obwohl den Männern auffällt, dass viele der genannten Aufgaben bei den Frauen liegen, sind sie dennoch zu 66 Prozent der Ansicht, die Aufgaben der Kinderbetreuung und Hausarbeit seien gerecht aufgeteilt.

Die Antworten der Frauen vermitteln hingegen ein anderes Bild: Noch nicht einmal jede zweite Befragte ist der Meinung, dass die Hausarbeit gerecht verteilt ist. 43 Prozent geben an, dass ihnen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf schwerer falle als zu normalen Zeiten. Fast die Hälfte der Frauen fühlt sich außerdem durch die Situation an ihre körperliche, psychische und emotionale Grenze gebracht.

"Vor diesem Hintergrund sollten sich sowohl Frauen als auch Männer mit ihren privaten und beruflichen Rollen auseinandersetzen, die Aufgabenverteilung in der Familie zur Sprache bringen und mit Rücksicht auf die Belastungen und Bedürfnisse des Partners oder der Partnerin aushandeln", fordert Barbara von Würzen, Expertin für Führung und Unternehmenskultur bei der Bertelsmann Stiftung.

In Krisenzeiten, in denen Schulen, Kitas und andere Betreuungseinrichtungen geschlossen sind, ist es somit schwieriger geworden, das Bild der funktionierenden Karrierefrau aufrechtzuerhalten, die immer und jederzeit für den Arbeitgeber zur Verfügung steht.

"Ich war einem Nervenzusammenbruch nahe."

Auch Vera Sydow (Name von der Redaktion geändert) wurde während der Corona-Krise den eigenen Ansprüchen nicht mehr gerecht. Die Mutter zweier Söhne im Kindergartenalter ist Lehrerin an einem Gymnasium.

"Plötzlich sollte ich meine Schüler digital unterrichten, während ich zwei Kleinkinder zu betreuen hatte. Eltern riefen mich an, stellten Fragen. Währenddessen zankten sich meine Söhne im Hintergrund. Ich war einem Nervenzusammenbruch nahe. Mit der Notbetreuung in der Kita wurde es etwas besser. Allerdings zucke ich auch heute noch bei jedem Handy-Klingeln zusammen: Mich hat jetzt schon so oft der Kindergarten angerufen, weil die Nase meines einen Sohnes lief oder in der Gruppe des anderen ein Corona-Verdachtsfall war. Immer musste ich quasi aus dem Klassenzimmer herausrennen und zur Kita fahren. Das war mir gegenüber den Schüler*innen und Kolleg*innen natürlich sehr unangenehm."

Wie angespannt viele Mütter sind, erlebt Karella Easwaran täglich in ihrer Kölner Kinderarztpraxis. Viele haben große Sorgen, der Stress nimmt zu.

"Das positive Gefühl, Mutter zu sein, wird oft überschattet von negativen Gedanken. Für die Gesundheit der Kinder ist es aber wichtig, dass ihre Mütter gesund sind. Deshalb behandle ich nicht nur die Kinder, sondern habe auch die Mütter in den Blick genommen. Ich spreche mit ihnen, denn Worte haben oft schon eine heilende Wirkung. Die Frauen schauen auf die Gesundheit ihrer Kinder, ihren Partner - aber achten zu wenig auf sich selbst."

Die Pandemie habe die Frauen stark belastet. "Eine berufstätige Mutter mit Kita-Kind hatte puren Stress durch das Wegfallen der verlässlichen Betreuungsstruktur. Die Nerven lagen auch deshalb blank, weil nicht klar kommuniziert wurde, wann die Kinder wieder betreut werden. Der Wegfall von Konstanz und Verlässlichkeit ist für uns Menschen enorm verunsichernd", erklärt die Medizinerin.

Aber auch Mütter mit älteren Kindern hätten Probleme: Sportmöglichkeiten fielen weg, Teenager hingen seit Monaten unausgeglichen zu Hause am Handy. "Und selbst ich mache mir Gedanken um meinen ältesten Sohn, der schon studiert: Da alles online stattfindet, sitzt er allein in seinem Zimmer in seiner Uni-Stadt. Und ich denke als Mutter: Komm nach Hause!" Aber Mutter sei eben nicht gleich Mutter: "Ich habe auch Frauen mit Neugeborenen erlebt, die diese Zeit entspannt in der Geborgenheit ihres Zuhauses erleben konnten, ohne Terminstress."

"Mein Rat ist: Gebt etwas ab! Fangt neu an! Holt euch Unterstützung, plant die Woche mit dem Partner und regelt die Betreuung der Kinder gemeinsam."

Frauen stünden heute vor vielen Herausforderungen: Erkrankungen, Belastung durch den Job, finanzielle Schwierigkeiten, Angst in der Pandemie, vielleicht auch eine aggressive Stimmung in der Familie. 

Deshalb hat Karella Easwaran ein Buch geschrieben, das einen Ausweg aus Erwartungsdruck, Erschöpfung und Stress aufzeigen soll. In "Das Geheimnis ausgeglichener Mütter" geht es auch darum, negative Gedanken zu stoppen. 

Das Geheimnis ausgeglichener Mütter

Von Dr. Karella Easwaran, Kösel Verlag, 16 Euro, ISBN: 978-3-466-31151-4

Mutter-Sein ist der schönste Job der Welt - aber auch der härteste. In herausfordernden Zeiten sind Erwartungsdruck, hohe Verantwortung und Erschöpfung nur einige der Stressfaktoren, die zu gesundheitlichen Schäden wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Depression führen. Doch wie kann man den Frauen am besten helfen? Karella Easwaran setzt bei den Vorgängen in unserem Hirn an: Wenn wir kraftraubende Denkmuster überwinden, können wir zuversichtlich und entspannt unseren Alltag gestalten.

"Ein Mensch, der viel zu tun hat, viel arbeitet, ist nicht direkt ein gestresster Mensch. Der Stress entsteht durch das, was wir denken", so die Kinderärztin. Neue Denkstrategien entwickeln und damit Wahrnehmung und Handeln ändern, um mehr Kraft und Energie zu haben, ist ihre Empfehlung.

Dazu gehört auch, gemeinsam mit dem Partner das Familienleben neu aufzustellen. "Mein Rat ist: Gebt etwas ab! Fangt neu an! Holt euch Unterstützung, plant die Woche mit dem Partner und regelt die Betreuung der Kinder gemeinsam. Und wenn es keinen Papa gibt, dann sucht euch andere Mütter, Freundinnen oder Verwandte. Alleine lässt sich kein Kind großziehen. Das alles sind Kleinigkeiten - Frauen müssen sich trauen, diese zu kommunizieren und auch einmal laut auszusprechen, was sie wollen. Für sich, für die Familie, mit dem Partner, für die Zukunft."

Ohne starke Mütter könnten weder Familien noch Gesellschaft stark sein, so Karella Easwaran. "Ist die Mutter schwach, unausgeglichen, kraftlos, wirkt sich dies auch auf die Kinder aus. Ein Kind kann die Gesellschaft nur tragen, wenn es selbst getragen worden ist."

Erziehungsarbeit viel mehr wertschätzen

Die Gesellschaft müsse die Erziehungsarbeit, die Eltern leisten, sehr viel stärker wertschätzen, als dies bislang der Fall sei, sagt die Ärztin. "Insgesamt muss sich der Blick auf die Kinder verändern: In Deutschland werden Kinder immer noch viel zu sehr als Störfaktor gesehen. Die Gesellschaft, insbesondere Arbeitgeber, zeigt sich oft genervt von Schwangeren, von Müttern und ihren Kindern - das darf nicht sein. Wir müssen Müttern mit Respekt begegnen - und ihnen zuhören."

Ein weiterer Impuls der Ärztin an die Mütter: Zuversicht! "Die Zeiten werden sich ändern. Und: Man sollte lernen, aus Dankbarkeit positive Gedanken zu schöpfen. Dankbarkeit kann uns helfen. Das Mittelhirn reagiert auf unsere Dankbarkeit mit Glückshormonen. Dann kommt man aus dem Stress heraus und findet so auch Lösungen. Stress bedeutet: Ich kann nicht mehr denken. Ich habe eine Blockade. Mit mehr Dankbarkeit kann ich neue Wege erkennen."

Und tatsächlich: Ob im Freundeskreis, in der Gemeinde oder in Mütter-Gruppen in den Sozialen Netzwerken - bei all dem Stress, der Erschöpfung und der Unsicherheit in der Zeit der Pandemie überwiegt bei den Familien doch vor allem das Gefühl der Dankbarkeit.

Dankbarkeit nicht nur für die eigene Gesundheit, die Wohnung, den Garten, sondern vor allem für die gemeinsame Zeit, die Corona den Müttern, Vätern und Kindern geschenkt hat. Denn durch den Wegfall von Kita, Fußballtraining, Gitarrenunterricht, Ganztagsschule und dem Pendeln ins Büro blieb plötzlich Zeit zum Vögel beobachten, Steine sammeln, Vorlesen, Kuscheln - einfach zum Zusammensein.

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Wie Mütter weiter gestärkt werden können

Die Katholische Arbeitsgemeinschaft (KAG) Müttergenesung, die seit 90 Jahren Kuren für Mütter und Kinder anbietet (inzwischen auch für Väter und pflegende Angehörige), stellt in der Pandemie einen zunehmenden Grad der Erschöpfung unter den Müttern fest, die eine Kur antreten.

Lucia Lagoda, kfd-Bundesvorstandsmitglied und Bundesvorsitzende der KAG Müttergenesung, rät Frauen, sich Hilfe zu suchen und sich über eine Kur zu informieren: "Die Beratungsstellen der KAG Müttergenesung beantworten derzeit auch online alle Fragen." Mehr Infos sowie Erfahrungsberichte von Müttern unter: www.kag-muettergenesung.de

Stand: 24.02.2021