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Macht Euch die Erde untertan

Macht euch die Erde untertan und herrschet über die Fische des Meeres, die Vögel des Himmels, über das Vieh und alles Getier..."

So haben wir den Auftrag Gottes an die Menschen aus Genesis 1,28 (der Lutherübersetzung folgend) meist im Ohr. Der Mensch - so jedenfalls scheint der Bibelvers auf den ersten (missverständlichen!) Blick zu sagen - sei als letztes und bestes Werk Gottes die "Krone der Schöpfung" und solle uneingeschränkte Verfügungsgewalt über alle anderen Geschöpfe haben. Lange hat man vor allem in den reichen Industrieländern des globalen Nordens diesen Bibelvers so gelesen.

Auf erschreckende Weise ist vor allem in den vergangenen 200 Jahren diese Missdeutung des Schöpfungshymnus Realität geworden. Um 1800 begann in Westeuropa, allen voran in Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Belgien, die Industrialisierung und mit ihr unter anderem die massenhafte Verbrennung von Kohle.

Seither steigt der Ausstoß umweltschädlicher Treibhausgase stetig, seit zirka 1950 sogar rasant, sodass inzwischen eine menschengemachte Erderhitzung (= Klimawandel) feststellbar ist. Mit der Industrialisierung gehen weitere gravierende Eingriffe des Menschen in seine Umwelt einher:

Die Ozeane übersäuern und ertrinken förmlich im allgegenwärtigen Plastikmüll; innerhalb kürzester Zeit sterben viele Tier- und Pflanzenarten aus; eine industrielle Lebensmittelproduktion mit Monokulturen verdrängt zunehmend die natürliche Vegetation; Tiere werden zur Massen- und Wegwerfware; Rohstoffe, die in Millionen von Jahren entstanden sind, verbrauchen wir in wenigen Jahrzehnten.

"Mutter Erde": Vom Umgang mit unserer Schöpfung

Die Bibel-Serie von Sonja Angelika Strube

Als wohlgeordneten Kosmos (= "Ordnung") und als Gottes gute Schöpfung beschreibt die Bibel unsere Welt in den Weltbildern ihrer Zeit. Doch spätestens seit Beginn der Industrialisierung vor gut 200 Jahren beuten insbesondere die Nationen der Nordhalbkugel die Schätze der Erde auf der Suche nach Profit aus. Die durch Treibhausgase verursachte Erdüberhitzung (= Klimawandel) ist die aktuell gravierendste Folge.

Kann uns die Bibel für diese Fragen unserer Zeit Impulse geben? Was sagt sie zu Naturkatastrophen, Ausbeutung und Verschwendung von Ressourcen und zum guten Miteinander der Menschen?

Neben die Luftverschmutzung treten in weiten Teilen der Erde auch Lärm- und Lichtverschmutzung, die Tieren die Orientierung nimmt. Atomversuche hinterlassen Strahlung und radioaktiven Staub. Die menschlichen Eingriffe ins Ökosystem der Erde sind so tiefgreifend, dass WissenschaftlerInnen bereits von einem durch menschliche Einflüsse geprägten neuen Zeitabschnitt der Erdgeschichte sprechen. 

Dessen Benennung als "Anthropozän" (von griech. Anthropos = Mensch) ist keinesfalls eine rühmliche, denn sie spiegelt die Überheblichkeit, mit der wir Menschen meinen, von unserer natürlichen Lebensgrundlage unabhängig zu sein - eine Haltung, die für viele unserer Mitgeschöpfe jetzt schon tödlich ist und auch für die Menschheit durchaus tödlich enden kann.

Wenn wir nicht nur einen halben Vers, sondern den ganzen Schöpfungshymnus in Gen 1,1-2,3 lesen, dann ersteht vor unseren Augen ein ganz anderes Bild davon, wie die Schöpfung und das Verhältnis der Geschöpfe zueinander idealerweise von Gott her aussehen sollten. 

Gott baut ein "Lebenshaus"

Wie ein Gedicht und in den Vorstellungen seiner Zeit besingt der Text in sieben unterschiedlich langen Strophen die Welt als "sehr gute" Schöpfung Gottes. Aus dem Chaos ("wüst und wirr") schafft Gott den Kosmos als eine gute Ordnung. Inmitten von Finsternis, "Irrsal und Wirrsal" (so die Übersetzung von Martin Buber) baut Gott ein "Lebenshaus", wie der Bibelwissenschaftler Erich Zenger formulierte. Hymnisch wiederholen sich Formeln wie "Gott sprach: Es werde", "und es wurde", "Gott nannte", "Gott sah, dass es gut war", "es wurde Abend, es wurde Morgen: x-ter Tag". 

Den Höhepunkt des Hymnus wie der Schöpfung bildet jedoch keineswegs der Mensch, sondern der Sabbat. "Krone der Schöpfung" ist also die regelmäßige Pause, das Ausruhen, das auch Gott selbst sich gönnt. Ebenso wie die Tiere und die Menschen wird diese schöpferische Pause von Gott gesegnet (Gen 2,3).

Tiere und Menschen sind nach dieser Vorstellung eingebunden in eine größere, sie überwölbende Ordnung im Rhythmus von Aktivität und Ruhe. Hier finden wir einen Gegenentwurf zu unserer modernen Lebensweise, die nach dem Motto "Zeit ist Geld" pausen-, ruhe- und besinnungslos Natur und Menschen ausbeutet.

Nach dem Ideal des guten Hirten [...] soll der Mensch [...] für die übrige Schöpfung Verantwortung tragen."

Obwohl nicht Höhepunkt der Schöpfung, erfährt der Mensch im Hymnus dennoch eine besondere Würdigung: Als Bild Gottes, das heißt als Gottes Repräsentantinnen und Stellvertreter werden die Menschen in die Schöpfung hineingestellt.

Im Hintergrund dieser Verse steht die altorientalische Vorstellung, dass ein Götterbild die abgebildete Gottheit wirklich vergegenwärtigt. Als Bild Gottes zu "walten über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die auf der Erde kriechen", ist somit eine höchst verantwortungsvolle Aufgabe.

Sie bedeutet nichts Geringeres, als ganz im Sinne Gottes dessen gute lebensspendende Ordnung zu pflegen und zu erhalten. Sie ist somit genau das Gegenteil von Willkürherrschaft und Ausbeutung. "Nach dem Ideal des guten Hirten [...] soll der Mensch [...] für die übrige Schöpfung Verantwortung tragen", bringt es die Bibelwissenschaftlerin Helen Schüngel-Straumann auf den Punkt. 

Miteinander der Geschöpfe

Wie wenig das im Schöpfungshymnus gezeichnete Ideal vom Miteinander der Geschöpfe mit Unterwerfung, Ausbeutung und heutigen Lebensgewohnheiten gemein hat, zeigt auch ein Blick auf die beiden Verse, die unmittelbar auf den vermeintlichen Aufruf zur Unterwerfung folgen.

Gemäß dieser (wenig beachteten) Verse teilt Gott den Menschen ebenso wie allen Tieren "alles Gewächs, das Samen bildet [...], und alle Bäume, die Früchte tragen mit Samen darin" als Nahrung zu. Schon das Töten von Tieren zur eigenen Ernährung, das durchaus auch im biblischen Israel praktiziert wurde, entspricht nach Gen 1 eigentlich nicht mehr dem, was Gott für seine Geschöpfe gewollt hat. Schon dies ist vom Auftrag des "Waltens" nicht mehr gedeckt.

Mit biblischen Schöpfungserzählungen ist unser Raubbau an der Welt also nicht zu rechtfertigen.

Stand: 23.04.2021