Meine Tochter, die Kirche und ich: Mama, was ist evangelisch?
Wie lebt es sich als katholische Familie in Zeiten, in denen Skandale die Kirche erschüttern, immer mehr Menschen austreten und immer noch keine Gleichberechtigung herrscht? An dieser Stelle schreibt die stellvertretende Chefredakteurin der Junia, Isabelle De Bortoli, ab sofort über die aktuellen Herausforderungen rund um Glauben und Kirche. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrer 8-jährigen Tochter in Neuss, Diözesanverband Köln.
Als die beste Freundin meiner Tochter uns neulich am Sonntag in den Familiengottesdienst begleiten wollte, wurde meiner Tochter plötzlich ein „Problem“ bewusst, das es vor der Kommunion noch gar nicht gab: Besagte Freundin ist evangelisch! „Was macht sie, wenn wir die Kommunion empfangen?“, überlegte meine Tochter. „Sie ist genauso groß wie ich, der Pastor wird nicht erkennen, dass er ihr nur ein Kreuz auf die Stirn zeichnen soll“, grübelte sie ganz praxisorientiert. Und: „Mama, was ist denn eigentlich evangelisch?“
Im evangelischen Kindergarten, den die beiden gemeinsam besuchten, stellte sich diese Frage natürlich aufgrund des Alters noch gar nicht. Wir Eltern waren froh, einen Platz in einem konfessionellen Kindergarten ergattert zu haben, der die christliche Prägung flankiert. Zu dieser Zeit waren wir als Familie sicher sehr viel häufiger in evangelischen Gottesdiensten – in der katholischen Heimatgemeinde schauten wir immer mal wieder wenigstens zum Kerzeanzünden vorbei. Und auch deshalb, weil ein Unterschied zwischen evangelisch und katholisch selbst dem Kleinkind hier direkt auffiel: Die Kirche der evangelischen Gemeinde sah doch allzu „pfarrsaal-mäßig“ aus im Vergleich zum typischen Sakralbau der katholischen Gemeinde. Mit dem Eintritt in die Grundschule hätte eigentlich getrennter Religionsunterricht stattfinden müssen, aber: Aufgrund der Corona-Pandemie wurden die Kinder ökumenisch von einer Lehrerin gemeinsam unterrichtet. Und das war super! Denn, so meine Meinung: Spielt es für Kinder denn eine Rolle, wie sich die evangelische und die katholische Kirche unterscheiden? Sollten sie nicht vielmehr – wie an dieser Stelle schon geschrieben – Jesus als einen Freund kennenlernen, auf den man vertrauen kann? Und wäre es nicht darüber hinausgehend sinnvoll, sich mit den Religionen der Welt zu beschäftigen, mit dem, was andere glauben, und mit gemeinsamen Werten? Und wäre das dann nicht auch ein Unterricht, den alle Kinder bekommen könnten, wenn sie und ihre Eltern das wünschen?
Abgesehen von inhaltlichen Gesichtspunkten hätte das in Zeiten des massiven Lehrermangels auch für die Schule Vorteile: Während für eine Stunde Religionsunterricht derzeit drei Lehrkräfte gebunden werden (katholisch, evangelisch, Aufsicht für konfessionslose Kinder), würde mit einem ökumenischen Angebot mindestens eine Lehrerin frei für anderen Unterricht. In einigen Bistümern gibt es dieses Modell längst, bei uns in Köln tut sich immerhin etwas: Ab dem kommenden Schuljahr ist der so genannte „konfessionell-kooperative Religionsunterricht“ möglich.
Zurück zur Frage meiner Tochter: Wo fange ich da an?, fragte ich mich. Also begann ich beim Papst, ging über auf die Sakramente, streifte Martin Luther, beklagte den Zölibat und wollte gerade in die Feinheiten zwischen Kommunion mit Wandlung und Abendmahl einsteigen – und schaue dann in die ratlosen Augen meiner Tochter. „Aber alle glauben an Gott und an Jesus?“, fasste sie meine Ausführungen zusammen. „Ja. Alle glauben an Gott und an Jesus“, sagte ich.
Am Sonntag im Familiengottesdienst zeigte sich dann übrigens auch, dass die sorgfältigen Vorüberlegungen unsererseits ganz unbegründet waren. Unser netter Kaplan löste das Problem auf seine Weise: Er versammelte zur Kommunion alle Kinder rund um den Altar. „Wer zur Kommunion geht, formt mit seinen Händen eine Schale“, erklärte er den Kindern vorab. Und alle anderen wurden mit einem Kreuzzeichen gesegnet. So einfach ist das.