Meine Tochter, die Kirche und ich: Mama, wie sieht Jesus eigentlich aus?
Wie lebt es sich als katholische Familie in Zeiten, in denen Skandale die Kirche erschüttern, immer mehr Menschen austreten und immer noch keine Gleichberechtigung herrscht? An dieser Stelle schreibt die stellvertretende Chefredakteurin der Junia, Isabelle De Bortoli, ab sofort über die aktuellen Herausforderungen rund um Glauben und Kirche. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrer 8-jährigen Tochter in Neuss, Diözesanverband Köln.
Mama, wie sieht Jesus eigentlich aus? Diese Frage beschäftigt meine Tochter immer mal wieder. Denn: Vor allem Kinder brauchen Bilder, um sich das Unvorstellbare vorstellen zu können. Und tatsächlich ist es auf den ersten Blick gar nicht so schwierig, Bilder von Jesus zu finden. In jeder Kirche finden sich Darstellungen von ihm, in der Kinderbibel natürlich auch und im Religionsunterricht werden sogar niedliche Comics genutzt, um den Kindern das Neue Testament nahezubringen. In der Schule war es außerdem schon mehrfach Aufgabe, eine Situation aus Jesu Leben zu malen. Und meistens sieht er dann eben so aus, wie ihn die Kinder aus den bunten Kinderbibeln kennen: lange Haare, Gewand, Sandalen, helle Haut. Oder, wenn man die Weihnachtsgeschichte liest: blondgelockt und proper. Mit meiner Tochter sprach ich neulich darüber, dass diese Darstellungen vermutlich nicht hinkommen: Als jüdischer Mann in Galiläa hatte Jesus höchstwahrscheinlich dunklere Haut, dunkles Haar, braune Augen und war nach heutigen Maßstäben eher klein. „Wie würde Jesus denn aussehen, wenn wir ihn heute träfen?“, fragte sie. Mhm ... knifflig. Wir überlegten: Hätte er Jeans und T-Shirt an? Einen modischen Haarschnitt? Trendige Sneaker? Wir einigten uns darauf, dass man ihn schon erkennen würde, wenn man ihn träfe. „Mama, das ist schließlich Jesus!“ Ich erwähnte nicht, dass Maria Magdalena und die Emmaus-Jünger*innen da auch so ihre Schwierigkeiten hatten ...
Gott hat ein Kleid an und einen Bart. Und er hat gute Laune, er freut sich.
Maria, diverse Engel, der blinde Bettler Bartimaeus – biblische Figuren wurden in der Schule schon oft gemalt. Doch was ist eigentlich mit Gott? Auch Gott wurde von unserer Tochter in einem der vergangenen Schuljahre gemalt: Gott trägt auf diesem Filzstift-Bild ein lilafarbenes Kleid und lilafarbene Schuhe. Dazu braune, lange Haare und einen Bart. Ich sprach mit ihr über dieses Bild. „Gott hat ein Kleid an und einen Bart. Und er hat gute Laune, er freut sich“, erklärte sie. Ein positiver Gott also, der weder männlich noch weiblich gelesen werden muss. Der einfach ist, wie er ist. Der kein Hirte ist und kein alter Mann mit Rauschebart auf einer Wolke. Der kein König ist und kein bösartiger, strafender Gott. Von dem man sich ein Bild machen darf, um ihm näherzukommen. Ein vielfältiges Gegenüber – vielfältig, wie wir Menschen sind.
Bei der älteren Verwandtschaft löste das Gespräch über das Kinderbild allerdings Befremden aus. „Gott, der Herr“, „Gott Vater“ sind dort die bestehenden Bilder. Gott als unverrückbare Instanz. Gott als der, der alles sieht und die bestraft, die Unrecht tun. Gott als Geistkraft? Gott als Mutter? Gott als Freundin? Undenkbar! Auch ich bin mit Gottesbildern aufgewachsen, die eher Angst machten. Gott der Allmächtige. Gott, der die Welt unter Wasser setzt und die Menschen tötet. Nicht zuletzt durch die kfd und die Beschäftigung mit feministischer Theologie habe ich in den vergangenen Jahren gelernt, diese Gottesbilder loszulassen beziehungsweise das Wort „Gott“ weiter zu fassen. Wer seinen Blick weiten möchte, der und dem sei als Einstieg die „Bibel in gerechter Sprache“ empfohlen. Es verändert viel, die bekannten Geschichten aus der Bibel auf diese Art neu zu lesen (siehe auch Seite 35). Gott hat unfassbar viele Facetten. Sie lassen sich nicht in ein Bild packen. Aber wenn wir es tun, dann mit lilafarbenem Filzstift.