Jeder Meter zählt
Ob heißer wegen der Klimakrise oder enger wegen Homeoffice: Auch ohne Umzug oder Umbau lässt sich aus Haus und Wohnung einiges rausholen, um das Wohnen weiterhin liebens- und lebenswert zu gestalten. Autorin Saskia Bellem hat mit einer Expertin für Fassadenbegrünung gesprochen und Tipps für nachhaltiges Wohnen gesammelt.
Von Saskia Bellem
Steigende Temperaturen, heiße Innenstädte, stickige Räume: Den Auswirkungen der Klimakrise sind wir nicht hilf- und machtlos ausgeliefert. Es gibt Mittel, unsere Häuser und Wohnungen nachhaltig zu gestalten, und Möglichkeiten, sie kostengünstig zu kühlen. Unser Partner dabei: Grün. Und kluge Menschen. „Untersuchungen haben gezeigt, was Fassadenbegrünung bewirken kann: Eine Außenwand mit Efeubepflanzung ist unter Sonneneinstrahlung im Sommer oft rund 10 Grad Celsius kühler als eine unbepflanzte Wand, bei dunkler Wandfarbe ist der Unterschied meist noch größer. Zudem kann eine grüne Fassade im Winter Heizung einsparen – umso mehr, je schwächer die vorhandene Dämmung des Hauses ist“, sagt Annika Dobbers, Fachreferentin im Projekt „Mehr Grün am Haus“ der Verbraucherzentrale NRW.
Sie verweist auf Forschungsergebnisse der Bergischen Universität Wuppertal, wonach ein einziger Quadratmeter Efeu pro Jahr circa 2,3 kg Kohlenstoffdioxid binde. „Das ist bei elf Tonnen Treibhausgasen, die jeder Mensch in Deutschland pro Jahr ungefähr produziert, auf den ersten Blick nicht viel. Aber hier gilt klar: Jeder Meter Grün zählt!“
Wer sich für Fassadenbegrünung entscheidet, steht nun vor der Wahl: Gerüstkletterpflanze oder Selbstklimmer? Ein Gerüst kann die Wand schonen, kostet aber Geld. Selbstklimmer brauchen kein Gerüst, sondern klettern von alleine. „Gerade für große Flächen eignet sich Efeu, weil er schnell wächst und ich nicht so lange warten muss“, so Dobbers. „Bei kleineren Flächen muss ich ihn zwar oft zurückschneiden, ansonsten ist er pflegeleicht. Und älterer Efeu blüht toll für Insekten.“
Doch gerade Efeu, diese unempfindliche und genügsame Rankpflanze, hat nicht nur Fans. Hartnäckig hält sich das Vorurteil, er verursache Schäden an der Fassade. Daher gelte es, im ersten Schritt die Fassadenstruktur zu prüfen, rät die Expertin: Ist die Wand intakt – oder gibt es Risse und Löcher?
Annika Dobbers‘
Checkliste für gesunde, bienenfreundliche Pflanzen:
- Heimische Insekten lieben besonders heimische Pflanzen. Damit sie an den Nektar herankommen, sollten die Blüten nicht gefüllt sein.
- Blumenerde nie mit Torf kaufen! Moore und Torfgebiete sind wichtige CO2-Speicher und wertvolle Lebensräume. Auf der Packung sollte „torffrei“ draufstehen.
- Samen sollten das Merkmal „samenfest“ tragen und keine sogenannten Hybride sein. Diese genetisch veränderten Pflanzen bieten nur im ersten Jahr einen guten Ertrag.
Es kann sich lohnen, mit dem Vermieter zu sprechen, um gemeinschaftliche Flächen am Haus zu begrünen.
„Efeu kann Schaden verursachen, weil sich seine lichtfliehenden Triebe gerne in dunkle Ecken oder Schäden im Mauerwerk eingraben. Ist die Fassade jedoch intakt, passiert nichts. Ich finde Efeu super, weil er durch seine große Blattmasse die Luftqualität verbessert und Feinstaub filtert. Er ist immergrün und ganzjährig dicht belaubt.“
Die Wirkung des Grüns spüren wir seelisch und körperlich bei einem Besuch im Wald an einem heißen Tag: Neben merklich kühleren Temperaturen und höherer Luftfeuchtigkeit fördert Grün auch unser Wohlbefinden. Dann wird der Unterschied zu Innenstädten besonders deutlich. Denn rund 44 Prozent der städtischen Fläche seien mittlerweile versiegelt, so Dobbers. Und es werden immer mehr, obwohl wir die katastrophalen Folgen kennen: Straßen heizen sich auf, Wasser kann nicht versickern und richtig ablaufen, Überschwemmungen sind die Folge.
Hauseigentümerinnen und -eigentümer können schon mit kleinen Schritten viel bewirken. So kann die asphaltierte Garageneinfahrt bei Sonneneinstrahlung um 30° C heißer werden als sogenannte Rasengittersteine: Durch die Aussparung in der Mitte kann Gras wachsen und Wasser abfließen. Eine Alternative sind Pflasterfugen von wenigen Zentimetern, für die es spezielle Samenmischungen gibt. Ihr niedriger Wuchs muss nicht gemäht werden, macht aber einen Unterschied. Genau wie der ungemähte Grünstreifen, der einfach stehenbleiben darf.
Gerade in Innenstädten wohnen mehr Menschen zur Miete. Sie können weniger frei entscheiden, doch auch für sie hat Dobbers Tipps zur Anpassung an die Klimaveränderungen. „Es kann sich lohnen, mit dem Vermieter zu sprechen, um gemeinschaftliche Flächen am Haus zu begrünen. Letztlich gilt: Was ich als Mieterin nach Ende des Mietverhältnisses entfernen oder rückstandslos zurückbauen kann, ist in der Regel erlaubt.“
Zum Glück ist als Beitrag zu Artenvielfalt, Insektenfutter und Klimaschutz keine Fläche zu klein, so die Expertin. Auf dem Balkon spenden große Pflanzkübel Sichtschutz und Schatten, eine unter der Decke verlaufende Rankhilfe mit Kletterpflanzen ersetzt das Sonnensegel und kühlt. Sogar eine – besonders außenliegende – Fensterbank ließe sich vielfältig nutzen.
Mehr Tipps zu Pflanzen:
Die Umweltverbände NABU und BUND bieten Pflanzlisten zum Nachschlagen.
Günstige oder kostenlose Samen und Ableger gibt es bei Pflanz- oder Samentauschbörsen sowie sogenannten Saatgutbibliotheken.
SO HILFT DIE VERBRAUCHERZENTRALE NRW
Die Website bietet Tipps und kostenlose Online-Seminare zu Themen wie Dach- und Fassadenbegrünung:
www.mehrgruenamhaus.de/veranstaltungen
Im Juli 2024 hat die Verbraucherzentrale ein Beratungstelefon für Einwohner*innen von NRW eingerichtet, dessen Angebot fortlaufend ausgeweitet wird. Zum Start informiert es über Dachbegrünung:
T 0211 91380-1300
„Ich muss nicht immer Geranien pflanzen. Wenn ich darauf achte, dass bei Sturm nichts wegfliegt, kann ich verschiedene höher wachsende Pflanzen in Blumenkästen vors Fenster setzen. Bunte Kästen finde ich persönlich viel schöner als ein immer gleiches Rollo, zumal sie Sichtschutz und Schatten von außen spenden.“ Das könne bei starkem Wuchs besser wirken als eine Jalousie von innen, wo die Hitze bereits eingedrungen ist. „Ich kann Insekten beobachten, sehe den Jahreswechsel und wie die Pflanzen sich verändern.“
„Wohnst Du noch oder lebst Du schon?“
Günstig und nachhaltig werden Jungpflanzen und Samen, wenn wir tauschen: Die Freundin um Samen bitten, welche ich im nächsten Frühjahr bei mir aussäe. Der Nachbarin Ableger von meinen Pflanzen geben, die auf ihrem Boden wahrscheinlich genauso gut gedeihen wie auf meinem.
Grün ist gut für uns, für die Umwelt, für das Klima. Neben dem Grün vor der Tür ist wichtig, wie es im Inneren aussieht. Durch Homeoffice fehlt ein Arbeitszimmer? Ein Umzug verursacht Kosten, Kartons und Kilometer; bezahlbare, verfügbare Wohnungen sind Mangelware. Büros für Innenarchitektur oder selbstständige Interior-Beratungen werfen einen frischen Blick auf Ihre Wohnung: Was lässt sich umnutzen, wo hilft ein Raumtrenner, wie kann bestehender Platz neu strukturiert werden?
Auch Baubiologische Beraterinnen untersuchen Innenräume. Von Schadstoffen in Wänden und Böden bis zu Energiesparlampen beraten sie zu Materialien, die für Gesundheit und Umwelt unbedenklich sind. Und die gibt es mittlerweile sogar Second Hand: Plattformen wie Concular vertreiben gebrauchte Baumaterialien, die sie bei Abrissen retten. Das Prinzip des „zirkulären Bauens“ soll helfen, Materialkreisläufe zu schließen, Kosten zu reduzieren und CO2-Emissionen einzusparen.
Sparen lässt sich auch, wo man eigenhändig zu Werke geht. Fehlende Werkzeuge lassen sich bei Leihläden und teilweise in städtischen Bibliotheken borgen, gezielt für Frauen mit fehlenden handwerklichen Kenntnissen werden Workshops von großen Baumärkten vermittelt.
Ob nun also mehr Grün, mehr Platz oder mehr Design – der schwedische Möbelriese brachte es mit seinem berühmten Slogan „Wohnst Du noch oder lebst Du schon?“ auf den Punkt. Klare Antwort: Leben. Und zwar bitte möglichst grün.
Handwerks-Workshops
www.obi.de/baumarkt/services/markt-services/praxiskurse/
www.bauhaus.info/service/veranstaltungen/womens-week/termine
Werkzeug leihen in einem Leihladen
Second Hand Baumaterialien
Bundesweites Verzeichnis Baubiologie