Wie Hof mit Herz heute geht...
Neue Wege in einem traditionsreichen Beruf: Isabelle Hielscher, Gesa Langenberg und Gesa Ramme stehen für eine neue Generation von Landwirtinnen. Sie kämpfen aktiv für mehr Akzeptanz, Verständnis und Offenheit gegenüber der modernen Landwirtschaft. Auf ihren Social-Media-Kanälen zeigen sie, wie das Leben und die Arbeit auf dem Hof ist.
Von Nadine Diab-Heinz
Für Janeiro schlägt ihr Herz. Und nein, Isabelle Hielscher (25) träumt nicht von einem Urlaub in der brasilianischen Küstenmetropole. Sicher, der würde ihr beim vollgepackten Arbeitsalltag guttun. Doch Janeiro ist in diesem Fall eine Kuh, und von den 200 Kuhdamen hat die junge Landwirtin aus Witzhelden diese besonders in ihr Herz geschlossen. Seit über 70 Jahren gibt es den Milchviehbetrieb von Familie Hielscher schon, doch ein Fall wie Janeiro kommt eben nicht alle Tage vor. „Sie hat mehrere Wochen bei uns als Kalb mit im Haus gewohnt, hat viele Krankheiten gehabt, aber sich gut erholt und mittlerweile auch ein eigenes Kalb bekommen. Zu ihr habe ich natürlich eine andere Bindung“, erklärt Isabelle Hielscher.
Wir sind Tierarzt, wir können schnell selbst eingreifen. Wir sind Gärtner, weil wir uns um die Pflanzen und Natur kümmern. Wir sind Handwerker, weil wir unser Geschick brauchen. Wir sind Meteorologen, weil wir uns mit dem Wetter auskennen müssen.
Laut „Agrarheute“, der Zeitschrift für Landwirte, arbeiten rund 341.000 Frauen derzeit in der deutschen Landwirtschaft. 10 Prozent davon nehmen auf Agrarbetrieben eine leitende Funktion ein – mit steigender Tendenz. Immer öfter übernehmen Töchter die Familienbetriebe und stehen als Unternehmerinnen ihren „Mann“ auf dem Hof. Das Statistische Bundesamt meldete zudem, dass auch der Frauenanteil bei neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen zur Landwirtin seit 2011 um 22 Prozent gestiegen ist.
Doch so erfüllend der Beruf ist, so anstrengend und fordernd ist er auch. Das war Isabelle Hielscher von Anfang an klar, und dennoch kamen nie Zweifel auf. Fest stand immer: „Diesen Beruf will ich machen, denn er ist unglaublich vielfältig“. Wie würde sie ihn beschreiben? „Wir sind Tierarzt, wir können schnell selbst eingreifen. Wir sind Gärtner, weil wir uns um die Pflanzen und Natur kümmern. Wir sind Handwerker, weil wir unser Geschick brauchen. Wir sind Meteorologen, weil wir uns mit dem Wetter auskennen müssen.“
Um sechs Uhr morgens geht es in den Stall, ein erster Blick zu den Kühen und schauen, ob über Nacht ein Kalb gekommen ist, alle gesund sind. Dann wird gemolken. Drei Stunden. Das Gleiche auch am Abend wieder. Am frühen Morgen geht es weiter mit Kälber füttern, Futter für die großen Kuhdamen mischen, pflügen, auch mal die Gülle ausfahren.
Den Betrieb hat Isabelle Hielscher von den Eltern übernommen, die ihre Tochter allerdings noch tatkräftig bei der Arbeit unterstützen. Der deutschlandweite Verkauf der Milch an Molkereien und das Beliefern von Cafés im Köln-Düsseldorfer Raum stellt das Haupteinkommen dar. Doch zum Hof gehören auch eine eigene Käserei, ein Hofladen und das urige Restaurant „Rusticus“. Einnahmen, die die studierte Agrarwissenschaftlerin Isabelle und ihr Partner Till, der Agrarbetriebswirt ist und ebenfalls im Unternehmen arbeitet, brauchen.
Morgens und abends melke ich jeweils drei Stunden. Ich bin zeitlich den Tag über sehr gebunden. Und es kann nicht sein, dass ich vom Beruf abhängig machen muss, wann für mich mein Kinderwunsch geht oder nicht.
Die älteste Kuh auf dem Hielscher Hof ist schon 15 Jahre alt. Die Kühe dürfen dort alt werden, auch wenn sie für die Familie keinen ökonomischen Mehrwert mehr einbringen. Isabelle Hielscher erklärt: „Das können wir nur dank unserer Direktvermarktung machen. Und da sind wir auf die Kunden angewiesen. Ich kommuniziere das ehrlich. Hätten wir keine Wertsteigerung, indem wir die Milch, den Käse oder Joghurt teurer als im Supermarkt anbieten, dann könnten wir uns das nicht leisten.“ Für die Zukunft wünscht sich Isabelle Hielscher zwei Dinge: noch stärkere Unterstützung von der Öffentlichkeit für Landwirte und von der Politik verlässlichere und vor allem langfristigere Perspektiven. „In der Landwirtschaft denkt man nicht in Jahren, man denkt in Generationen. Wir haben Investitionen in Millionenhöhe, und das heißt für mich, ich bin mein Leben lang an den Hof und meinen Beruf gebunden.“
Es geht um Perspektiven. Beruflich und privat. Isabelle Hielscher wünscht sich Kinder, fühlt sich innerlich bereit, wenn da nicht die äußeren Umstände wären. „Morgens und abends melke ich jeweils drei Stunden. Ich bin zeitlich den Tag über sehr gebunden. Und es kann nicht sein, dass ich vom Beruf abhängig machen muss, wann für mich mein Kinderwunsch geht oder nicht.“
260 Kilometer entfernt im niedersächsischen Drentwede: Der Tag beginnt bei Gesa Langenberg (35) um sieben Uhr. Ein erster Blick geht in den Schweinestall: Ist bei den 3400 Tieren alles in Ordnung, haben sie genug Futter? Dann geht es gemeinsam mit den vier Mitarbeitern in die tagesaktuelle Planung. 2017 hat Gesa Langenberg gemeinsam mit ihrem Mann den fast 500 Jahre alten Familienbetrieb übernommen, jetzt ist sie die 14. Landwirte-Generation. Typisch für die Region sind die Schwerpunkte des Hofes: Kartoffelanbau und Schweinehaltung.
Von Anfang an war es Langenbergs Motivation, die Tierhaltung im Betrieb zu verändern. Schon früh hatte sie mitbekommen, wie sich die gesellschaftlichen Ansprüche in punkto Tierschutz, Umweltschutz und Klimaschutz verändert haben. Auch ihre eigenen. Und so wurde klar: „Wir werden die Ställe umbauen.“ Heute blickt die zweifache Mutter auf drei spannende Jahre zurück. Zwischen 2020 und 2022 haben sie am alten Standort, dem Elternhof ihres Großvaters, den ersten Schweinestall für 440 Schweine zum Tierwohl-Stall umgebaut. Heißt konkret: Jedes Tier hat 1,5 Quadratmeter Platz, und das sind genau 100 Prozent mehr, als es der gesetzliche Standard derzeit fordert. Außerdem können die Schweine mit ihrem Rüssel jederzeit eine Tür aufstoßen, um nach draußen an die frische Luft zu gehen. Nicht nur für die Schweine schön, sondern auch für die Emissionswerte.
Von Anfang an war der studierten Agrarwissenschaftlerin der Dialog und Austausch zum Thema Tierhaltung wichtig. Sie hat ihr Projekt Tierwohl-Stall über Social Media bekannt gemacht, darüber in ihrem Blog geschrieben und aufgeklärt. Dass Landwirtinnen über ihre Arbeit berichten, Videos online stellen, auf denen sie im Stall oder auf dem Feld zu sehen sind, ist ein Trend, der sich bereits seit einigen Jahren deutlich abzeichnet. Gesa Langenberg sieht in diesem Punkt klar einen der vielen Vorteile von Frauen in einem landwirtschaftlichen Betrieb. „In vielen Sonderkulturbetrieben sind ganz stark die Frauen involviert, ihre Erzeugnisse zu vermarkten und sehr gut in der Öffentlichkeit zu positionieren. Wir tauschen uns auch in Arbeitskreisen untereinander aus. Hier geht es beispielsweise um Themen, wie ich mich als Frau besser verkaufen kann oder wie ich meinen Betrieb marketingtechnisch nach vorne bringe.“
Dass diese Bemühungen durchaus Früchte tragen, zeigen die Zahlen: Rund 13.500 Follower folgen beispielsweise auch Isabelle Hielscher, die ihr Hofleben sehr aktiv teilt, knapp 3.500 sind es derzeit bei Gesa Langenberg. Tendenz steigend.
Wir müssen dafür sorgen, dass die Nachfrage nach Fleisch aus höherer Haltungsform besteht.
Und zu berichten hat Gesa Langenberg auch in Zukunft einiges. Weitere Ställe sollen umgebaut werden, sodass jedes Schwein irgendwann Zugang zur frischen Luft hat. Das soll in den nächsten Jahren passieren. Ob sich ihr großer Einsatz lohnt, wird sich zeigen. „Wir müssen schauen. Und wir müssen es so vermarktet bekommen, dass die Nachfrage nach Fleisch aus dieser höheren Haltungsform besteht. Es ist ein großes Risiko. Denn letztlich bin ich mir auch nicht sicher, in welche Richtung die Nachfrage gehen wird.“
165 Kilometer entfernt im niedersächsischem Kästorf dreht sich bei Gesa Ramme (31) alles um das Huhn und um das Ei. Jeden Mittwoch ist Wolfsburger Wochenmarkt, um sieben Uhr morgens geht es bei ihr los. Ganz früher, als Gesas Eltern noch Milchkühe hatten, startete der Tag um fünf Uhr mit Kühen und Melken. Da ist sieben Uhr für sie das, was andere ausschlafen nennen. Wenn Gesa auf den Wochenmarkt fährt, kümmern sich Vater, Mutter und Oma um die Hühner. 2012 stellte sich der Milchkuhbetrieb um und setzte aufs Huhn. Fünf Abteile mit jeweils sechshundert Hühnern stehen auf dem Hof der Rammes. Logisch, dass 3.000 Hühner gerne umsorgt und gefüttert werden möchten, natürlich schon am liebsten, bevor der Hahn gekräht hat. Damit endet die Arbeit jedoch nicht, sie fängt erst an. Es gilt nun, die Eier zu sortieren. Meist sind es um die 2.300 am Tag. „Alle werden mindestens zwei Mal angefasst“, erklärt die Landwirtin. Wie das in der Praxis aussieht und funktioniert, zeigt auch Gesa Ramme auf Instagram. Hier teilt die selbsternannte „Agrarinfluencerin“ und studierte Agrarwissenschaftlerin mit ihren knapp 9.300 Followern Episoden aus ihrem Berufsalltag, oftmals mit einem Augenzwinkern, aber auch mit Hintergrundwissen und ernsten Tönen. „Wir leben mit und von der Natur“, so umschreibt Gesa Ramme ihre Lebenswirklichkeit. Denn das Wetter beeinflusst das Handeln und das Einkommen zugleich. „Man muss mit dem arbeiten, was man hat. Wir leben hier in einer Region, die sehr sandige Böden hat und von Natur aus ertragsschwach ist. Wir können nur hohe Beträge erwirtschaften, wenn es viel regnet.“
Auf das sogenannte Beregnen verzichtet Gesa Ramme bewusst. Sie setzt auf die natürliche Arbeit – mit, in und von der Natur. Auch wenn es für sie mit Risiken behaftet ist. Ihr neuestes Baby, das gerade wächst und gedeiht: Zuckermais. Wie viel Zeit sie in all das steckt? Es sind viele Stunden, doch die werden in ihrem Job eben nicht wie bei einem normalen Bürojob gezählt.
In der nächsten Zeit wird Gesa Ramme mit ihrem Vater eine GbR gründen, im Sommer das erste Mal seit Langem in den Urlaub fahren. Ob sie den Hof in einigen Jahren komplett alleine übernehmen wird, ist ihr noch nicht klar. Die Zukunft ist unsicher, die Kosten explodieren, die politischen Entscheidungen ungewiss, der Druck groß. Gesa Ramme: „Da frage ich mich als 30-jährige Frau: Will ich diesen Stress mein Leben lang haben oder nicht? Ich lasse mir offen, wie ich mich entscheiden werde.“ Die Zeit wird es zeigen. Und vielleicht verlässt sich Gesa Ramme bei ihrer Entscheidung auf ihren ganz eigenen inneren Kompass. Sehr natürlich, immer vorhanden. Ihr Bauchgefühl.