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Neue Serie: Gotteslob

Tonspur unseres Glaubens
Biblische Hintergründe von Gotteslobliedern

Von Sonja Angelika Strube

Lieder gehen ins Ohr. Leichter als Bibelverse bleiben sie im Gedächtnis haften und sind in der Lage, uns zu begleiten: durch den Tag, durch das Jahr, durch das Leben. Tiefer als Texte berühren sie uns: Eine Melodie, ein Rhythmus bringen unser Inneres zum Schwingen – im ganz wörtlichen und körperlichen Sinne. Besonders hoch schätzte der Lieddichter und Reformator Martin Luther die Bedeutung von Kirchenliedern für das Glaubensleben. Sein Credo: „So sie's nicht singen, glauben sie's nicht!“ Unsere neue Reihe stellt Entstehungsgeschichten und biblische Hintergründe einiger beliebter (oder wenig bekannter) Gottesloblieder vor. Vielleicht werden Sie nach dem Lesen manch ein Lied mit anderen Ohren hören.

Und mit euch gehen in ein Neues Jahr 
(*Gotteslob 430/Evangelisches Gesangbuch 65). 

Lieber der Hoffnung in dunklen Zeiten
„Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar, so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein Neues Jahr“. Zwischen den Jahren, im Silvester- und Neujahrsgottesdienst wird dieses Lied gerne gesungen. Winterlich-weihnachtliche Anmutungen mag auch die Rede von den „warm und still“ flammenden Kerzen wecken, „die Du in unsere Dunkelheit gebracht“, verbunden mit der Zuversicht: „Wir wissen es: Dein Licht scheint in der Nacht.“ Völlig unabhängig von allen Jahreszeiten findet sich die letzte Strophe des Liedes auf zahlreichen Spruchkalendern, Kerzen, aber auch Beileidskarten: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen ...“. Offenbar können diese Textzeilen vielen Menschen in unterschiedlichsten Lebenssituationen Geborgenheit, Trost und Vertrauen in Gott und das Leben schenken.

Wer aber mag die dritte Strophe singen: „Und reichst Du uns den schweren Kelch, den bittern, des Leids gefüllt bis an den höchsten Rand, so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern aus Deiner guten und geliebten Hand“? Viele werden spontan einen inneren Widerstand gegen solche Zeilen verspüren. Geht es hier um eine christlich verbrämte Glorifizierung des Leidens? Werden Christinnen und Christen dazu aufgefordert, alles Böse, das ihnen widerfährt, einfach nur widerspruchslos hinzunehmen, als sei es ein von Gott gesandtes Schicksal, eine Erprobung oder Strafe? Spätestens hier ist es hilfreich zu wissen, von wem und in welcher Situation der Text dieses Liedes geschrieben wurde. Der evangelische Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) schrieb das Gedicht seiner Verlobten Maria von Wedemeyer zum Jahreswechsel 1944/45. Aus der Gestapo-Haft, die am 9. April 1945 mit Bonhoeffers Hinrichtung im KZ Flossenbürg endete. Es war wohl der letzte Gruß, den er ihr, seinen Eltern und Geschwistern schicken konnte. Wer um diese Entstehungssituation weiß, liest die dritte Strophe anders. Es geht nicht darum, Böses stillschweigend hinzunehmen und Leid schönzureden. Im Gegenteil: Dietrich Bonhoeffer hat Widerstand gegen ein menschenverachtendes Unrechtsregime geleistet. Genau deshalb droht ihm nun, da er diese Zeilen schreibt, die Hinrichtung, der er ohne jede trügerische Illusion in die Augen schaut. Und die er akzeptiert als Risiko, um das er gewusst hatte, und als Konsequenz seiner Haltung und seines Handelns. Seine Hoffnung setzt er auf Gott, von dem er sich und seine Familie umgeben und getragen weiß, was auch passiert.

Die Welt, die unsichtbar
sich um uns weitet
Wer um diese Entstehungssituation weiß, liest alle Strophen des Liedes anders. Es geht nicht um Alltagsstress und Alltagssorgen, sondern um Existenziellstes, um Leben und Tod. Ums Abschiednehmen. Um die ganz reale Möglichkeit, die liebsten Menschen nie wiederzusehen in dieser Welt. Und um bleibende Verbundenheit, im Angesicht des Todes und über ihn hinaus. Um die größere Welt der Liebe Gottes, die uns – diesseits und jenseits der Todesschwelle – umfängt und miteinander vereint: „Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet, so lass uns hören jenen vollen Klang der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet, all deiner Kinder hohen Lobgesang.“

Für Bonhoeffer war diese „Welt, die unsichtbar sich um uns weitet“ nicht bloß eine theologische Idee oder ein frommer Wunsch, sondern eine schon in seiner Haft erlebte Wirklichkeit. An seine Verlobte schrieb er im Brief zum Gedicht: „Es werden sehr stille Tage in unseren Häusern sein. Aber ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, je stiller es um mich herum geworden ist, desto deutlicher habe ich die Verbindung mit euch gespürt ... Du und die Eltern, Ihr alle, die Freunde und Schüler im Feld, Ihr seid mir immer ganz gegenwärtig. Eure Gebete und guten Gedanken, Bibelworte, längst vergangene Gespräche, Musikstücke, Bücher bekommen Leben und Wirklichkeit wie nie zuvor. Es ist ein großes unsichtbares Reich, in dem man lebt und an dessen Realität man keinen Zweifel hat.“

Diese existenzielle Tiefe des Textes nehmen viele Menschen, die trauern, wahr, egal, ob sie von der Entstehungsgeschichte wissen oder nicht, denn Dietrich Bonhoeffers Lied wird gerade bei Beerdigungen gerne gesungen. Offenbar spüren Trauernde, dass dieses Lied keine billige Vertröstung ist, sondern echter Trost eines Menschen, der weiß, wovon er spricht.

Gott will im
Dunkeln wohnen
Worte für Situationen tiefer Dunkelheit finden sich auch in den Kirchenliedern von Jochen Klepper (1903-1942), besonders spürbar – und für viele irritierend – in seinen Weihnachtsliedern „Die Nacht ist vorgedrungen“ (220) und „Du Kind, zu dieser heilgen Zeit“ (254). Und auch hier steht die Erfahrung der Verfolgung durch das NS-Regime im Hintergrund. Kleppers Ehefrau, die Witwe Johanna Stein, geb. Gerstel, war Jüdin, ebenso wie ihre beiden Töchter Brigitte und Renate aus erster Ehe. Und so erfuhr die Familie schon früh die Bedrohungen, die sich in Kleppers geistlichen Liedern niederschlagen. Als im Dezember 1942 die Ausreise der jüngeren Tochter aus Nazideutschland scheiterte und die Deportationen von Tochter und Mutter unmittelbar bevorstanden, nahm sich die Familie gemeinsam das Leben. Im tiefen Vertrauen, auch durch diese Tat nicht aus Gottes Hand zu fallen, schrieb Klepper: „Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus, der um uns ringt. In dessen Anblick endet unser Leben.“

Lieder für Situationen des Todes und der Trauer

Von guten Mächten (GL 430), Die Nacht ist vorgedrungen (GL 220, 
bes. Strophen 1, 4 + 5), Nun sich das Herz von allem löste (GL 509), 
Strophen 5, 6 + 7 von Du lässt den Tag, o Gott, nun enden (GL 96); 
Möge die Straße uns zusammenführen/Irisches Segenslied 
(in einigen Regionalteilen des GL, z.?B. Köln 833; Aachen 813). 

Für Beerdigungsgottesdienste und Auferstehungsmessen geeignet sind 
auch einige Strophen von Osterliedern, z. B.: Str. 2, 3 + 4 von Das ist der 
Tag, den Gott gemacht (GL 329); Str. 3 von O Licht der wunderbaren 
Nacht (GL 334); Str. 2+3 von Das Grab ist leer, der Held erwacht
(in vielen Regionalteilen des GL).

Stand: 21.12.2021