Für eine geruhsame Nacht
Warum wir ohne Schlaf nicht leben können und was guten Schlaf ausmacht, erläutert die Internistin und Schlafmedizinerin Martina Wenker, Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen. Im Interview mit „Junia“ spricht sie außerdem darüber, unter welchen Schlafproblemen vor allem Frauen leiden und wie sie sich lösen lassen.
Frau Wenker, immerhin rund ein Drittel ihres Lebens verschlafen die meisten Menschen. Was wären wir ohne Schlaf?
Martina Wenker: Wir wären gar nichts. Schlaf ist lebensnotwendig. Wir brauchen Zeiten der körperlichen und geistig-seelischen Entspannung. Der Stoffwechsel und das Herz-Kreislauf-System können im Schlaf herunterfahren und sich erholen. Und auch psychische Ausgeglichenheit wäre ohne Schlaf nicht möglich. Wir verschlafen dieses eine Lebensdrittel also nicht, sondern ganz im Gegenteil: Ein erholsamer Schlaf ist der Schlüssel zu körperlich-seelischer Gesundheit, letztlich zu einem guten Leben. Fehlt er, können wir ernsthaft krank werden.
Wieviel Schlaf braucht der Mensch? Die oft als Faustregel genannten acht Stunden?
Das ist bemerkenswert individuell. Der eine kommt bereits mit fünf Stunden Schlaf hin und fühlt sich morgens energiegeladen. Ein anderer schläft sieben oder acht Stunden und hat womöglich das Gefühl, es reicht gerade so. Ein eindeutiges ,Richtig oder Falsch‘ gibt es nicht. Grundsätzlich kann gesagt werden, dass das Schlafbedürfnis mit zunehmendem Alter nachlässt. Säuglinge schlafen bis zu 20 Stunden am Tag, ältere Menschen oft nur fünf oder sechs Stunden. Solange der Schlaf zu guter Erholung führt, sind diese individuellen Unterschiede überhaupt kein Problem.
Viele Frauen leiden eher darunter, dass sie nicht schlafen können, und kommunizieren dies auch.
Vor allem Frauen sprechen oft darüber, wie schlecht sie eigentlich schlafen. Schlafen Frauen anders als Männer?
Rein naturwissenschaftlich gesehen, rein schlafphysiologisch, gibt es zwischen Männern und Frauen in Sachen Schlaf keinen Unterschied. Tatsache ist aber das subjektive Empfinden: Viele Frauen leiden eher darunter, dass sie nicht schlafen können, und kommunizieren dies auch. Sie nehmen als beeinträchtigend wahr, dass sie nachts wach liegen. Männer bemerken und kommunizieren Schlafstörungen anders: Sie berichten eher davon, dass sie tagsüber weniger leistungsfähig sind, am Tag einen Schlafdrang verspüren.
Wieso ist es sinnvoll, auch in der Schlafmedizin nach frauenspezifischen Aspekten zu schauen?
Weil wir immer die hormonelle Situation der Frau berücksichtigen müssen, denn unsere Hormone beeinflussen unseren Schlaf. Bei Frauen sehr viel stärker als bei Männern. Während der Menstruation schlafen wir schlechter, in der Schwangerschaft und Stillzeit ist der Schlaf wiederum gestört. In der Prä-Menopause kommt es zu ersten Hitzewallungen, die uns nicht schlafen lassen, und ältere Patientinnen nach der Menopause brauchen weniger Schlaf als vorher. Diese Gruppe denkt dann, sie schlafe schlecht, aber: Wer um 21 Uhr ins Bett geht, womöglich noch ein Mittagsschläfchen gemacht hat, der ist dann mitunter um 4 Uhr morgens wieder fit ...
Welche Gründe für eine Schlafstörung sind bei Frauen häufig?
Bei Frauen häufiger als bei Männern ist das Restless-Legs-Syndrom: Wenn ich also abends nicht zur Ruhe komme, wenn in meinen Beinen eine Bewegungsunruhe herrscht. Oft bringen die Betroffenen das gar nicht mit Schlafproblemen zusammen, tatsächlich stört es die Nachtruhe aber sehr. Eisenmangel, Krampfadern, auch eine Schwangerschaft können Ursachen für Restless-Legs sein. Außerdem können Frauen – ebenso wie Männer – unter einer Schlaf-Apnoe leiden, also unter Atemaussetzern durch Schnarchen. Nur: Das Thema ist bei Frauen immer noch mit Scham behaftet, und gleichzeitig hat die Medizin lange gar nicht danach geschaut, ob Frauen schnarchen. Dabei schnarchen wir durchaus genauso wie Männer. Ganz wichtig: Eine Schlaf-Apnoe zeigt sich bei Frauen häufig erst in höherem Lebensalter, und die Beschwerdesymptomatik ist anders als bei Männern. Sie leiden häufig nach den Wechseljahren unter einem Gefühl der Antriebslosigkeit, dauernder Müdigkeit, auch Depressionen. Dahinter kann eine nicht erkannte Schlaf-Apnoe stecken. Deshalb ist es als Medizinerin und Mediziner ganz wichtig, geschlechtsspezifische Symptome zu hinterfragen und gezielte Nachfragen zu stellen.
Was sind Warnzeichen, dass mein Schlaf gestört sein könnte?
Bedenklich wird es, wenn ich morgens wie gerädert aufwache und mich tagsüber müde und kraftlos fühle, womöglich sogar spontan einnicke. Ab und zu kann so etwas vorkommen, aber wenn dieses Gefühl der Energielosigkeit die Tage öfter oder über einen längeren Zeitraum beherrscht, sollte ich das abklären lassen. Es macht Sinn, ein Schlaftagebuch zu führen. Dann sollte ich zunächst mit meinem Hausarzt sprechen. Der klärt erst einmal ab, ob mich vielleicht eine neu aufgetretene Krankheit wie zum Beispiel Rheuma oder Diabetes vom Schlaf abhält. Niedergelassene Fachärzte können zudem ein Schlaf-Screening machen, bei dem ich einen kleinen Koffer mit nach Hause bekomme, der etwa die Sauerstoffsättigung in der Nacht misst. Das kann ein erster Hinweis auf eine Schlaf-Apnoe sein. Erst danach könnte man einen Termin im Schlaflabor machen.
Wenn ich mich beim Einschlafen frage, ob ich beispielsweise wirklich das Licht im Bad ausgeschaltet habe, oder mir noch einfällt, dass ich morgen Brot einkaufen muss, dann einfach: Schnell aufstehen, nachsehen, Zettel schreiben.
Frauen leiden oft auch unter dem „Gedankenkarussell“, grübeln im Bett über Probleme. Was hilft, um abzuschalten?
Wenn ich mich beim Einschlafen frage, ob ich beispielsweise wirklich das Licht im Bad ausgeschaltet habe, oder mir noch einfällt, dass ich morgen Brot einkaufen muss, dann einfach: Schnell aufstehen, nachsehen, Zettel schreiben. In Zeiten der globalen Krisen belasten uns aber natürlich auch schwierigere Probleme. Da hilft es, nicht um 22 Uhr noch Nachrichten zu schauen, nicht mit belastenden Bildern ins Bett zu gehen. Und man muss sich klarmachen: Es gibt Dinge, die werde ich heute Abend in diesem Bett liegend nicht mehr ändern, ich muss sie loslassen. Hausmittel wie eine warme Milch mit Honig oder eine Wärmflasche im Bett beruhigen und sorgen für ein Gefühl der Geborgenheit.
Was kann ich selbst noch tun, um meinen Schlaf zu verbessern?
Wir leben in einer Zeit, in der wir ständig Licht ausgesetzt sind, bis spät abends sitzen wir vor dem Fernseher, Tablet, Smartphone. Diese ständige Beleuchtung lässt unseren Körper kein Melatonin ausschütten. Deshalb gehören diese Dinge auch nicht ins Schlafzimmer. Schaffen Sie eine schlaffördernde Umgebung, die ruhig, dunkel und kühl ist. Das Schlafzimmer sollte nicht gleichzeitig Arbeitszimmer sein, auch die Bügelwäsche sollte sich hier nicht stapeln. Außerdem: Nicht zu spät noch Sport machen, keinen Kaffee, keinen Alkohol trinken, nicht rauchen. Und: Lesen Sie vor dem Schlafen ganz analog ein Buch!