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Diese deutliche Ahnung von Unsterblichkeit

Auch wenn wir es noch nicht richtig wahrhaben wollen. Die Natur sendet in diesen Tagen eine unmissverständliche Botschaft: Der Sommer geht zu Ende! Wenn das Grün sich aus den Blättern zurückzieht, werden die leuchtenden Farben des Herbstes sichtbar. Und der ist kein Trauermarsch, sondern Zukunftsmusik.

Von Maria Anna Leenen

Zunächst fällt es überhaupt nicht auf. Es ist eine hauchfeine Anmutung, eine überaus zarte Spur. Kaum wahrzunehmen und doch ein klarer, konkreter Beginn. Der menschliche Blick, gesättigt von der überbordenden Fülle des Sommers, nimmt es nicht sofort wahr, will es auch noch gar nicht wahrhaben. Und doch, schon einige Tage später spürt das Auge der hellbraunen filigranen Umrandung des Blattes nach, vielleicht mit einer gewissen Wehmut. Denn es ist eine unmissverständliche Botschaft: Der Sommer geht zu Ende!

Schöpfung mutet im Übergang vom Hochsommer zum Frühherbst an wie eine alternde Operndiva. Noch einmal brilliert sie mit Pracht, Fülle und Schönheit, beweist mit einer Art lässiger Eleganz, welch überragende Künstlerin sie ist. Doch ebenso mehren sich nach und nach die Anzeichen des beginnenden Abbruchs, des Niedergangs, eines Endes, das sicherlich Wehmut, vielleicht auch Trauer wach werden lässt. Zunächst noch sehr versteckt, kommt dieses Ende leise und doch unerbittlich. Wie auf Samtpfoten geschlichen, pianissimo auf leisen Sohlen, versteckt hinter zauberhaften Masken.

Die Schöpfung ist ein Magier,
ein schlitzohriger Trickkünstler.

Es fällt erst gar nicht auf. Schwebte nicht gerade noch eine Hufeisenazurjungfer am Teichrand und stach ihre Eier in eine der Wasserpflanzen? Oder die Weidenjungfer, bohrte sie nicht eben noch mit ihrem Legestachel die Rinde eines Weidenastes an, um auch dort Eier zu platzieren für die nächste Generation dieser zierlichen, kupferfarbenen Libellenart? Patrouillierte ein prächtiges Exemplar der Blaugrünen Mosaikjungfer nicht vor Kurzem noch dort wie ein Hubschrauber auf Kontrollflug auf der Suche nach einer leckeren Insektenbeute? Aber diese buntschillernden Shuttleflüge zwischen Teichrand und Waldweg, unter Buchenblätterdach und Eichenastrinde haben jetzt nur noch ein einziges Ziel: Vorsorge zu treffen, dass die Art weiterhin existieren kann. In wenigen Wochen, auf dem Höhepunkt des Herbstes, werden aus den Libelleneiern Larven schlüpfen, sich ins Wasser fallen lassen oder eifrig dorthin kriechen, um auf dem Grund der Teiche und Tümpel, in Buchten von langsam fließenden Gewässern als Larve zu überwintern. Bis zu zwei Jahre kann dieses Stadium dauern, in denen sich die Larven immer wieder häuten, um sich dann endlich im Frühling zum letzten Mal aus dem Endstadium, der Puppe, zu befreien und als junge und frische Libellen durchzustarten. Dann begeistern diese Luftakrobaten wieder jeden aufmerksamen Beobachter und verblüffen mit ihren Flugtricks. Sie verändern blitzartig die Flugrichtung, und einige schaffen es tatsächlich, auch rückwärts zu fliegen. Wenn so ein Exemplar der Großen Königslibelle – sie kann bis zu 8 Zentimetern lang werden –, beim Spaziergang am Teich oder Waldrand auf Augenhöhe vor einem in der Luft steht und den Menschen eine kurze Weile fixiert, kommt man sich doch stark beobachtet vor. Florfliegen dagegen, diese hauchzarten grünen Flugkünstlerinnen mit den großen goldenen Augen, deren Larven – als sogenannte Blattlauslöwen – bei allen Gärtnerinnen und Gärtnern überaus beliebt sind, suchen sich schon oft gegen Ende August einen geschützten Platz. Auf Dachböden, in vom Wetter abgewandten Gebäudenischen, aber auch in Baumhöhlen und Felsspalten verbergen sie sich, ziehen sich zurück, um sich auf die Zukunft und auf das Überleben auszurichten.

Farbenpracht der Blättervielfalt

Zuerst segeln einzelne kleine Ästchen herab. Blätter in verschiedenen Farbabstufungen, vom kernigen, dunklen Eichengrün bis zu einer hellbraunen Tönung, die an Zimt erinnert. Je weiter der Herbst fortschreitet, umso grandioser färben sich die Baumriesen. Zusammen mit dem Kupfer der Felsenbirnen und dem matten Rot der Blütenkerzen, die jetzt die Essigbäume zieren, flammen diese Titanen des Waldes in einer Farbenpracht auf, die alle nur denkbaren Schattierungen aufweist: vom dunklen Eidottergelb über ein gedämpftes Goldgelb bis zu den leuchtenden Nuancen aller Farbtöne von Orange. Bescheint dann eine freundliche Herbstsonne Wald und Waldränder, bietet sich den Augen ein Panorama dar, das der Schönheit eines blütenreichen Frühlingstages durchaus gleichwertig ist. Die Farbenpracht überrascht in ihrer Intensität in manchen Jahren außerordentlich. Aber wo bleibt das Grün? Verschwindet es einfach in ein dunkles Nichts? Und wie entstehen diese gelb-orange-roten Farbtöne? Wo kommen sie denn plötzlich her?

Die Schöpfung verschwendet nicht

Im Grunde genommen ist es ein recht schlichter Vorgang. Zu Beginn der Vegetationsperiode mit dem ersten Frühlingshauch bauten die Pflanzen das grüne Chlorophyll aus den gespeicherten Vorräten auf, initiiert vom Sonnenlicht. Die wichtigste Aufgabe dieser Chlorophyllmoleküle war die Aufnahme, Umwandlung und Weiterleitung der aufgenommenen Lichtenergie im Prozess der Photosynthese. Andere Farbstoffe bauten sich ebenfalls auf, nur überdeckten sie das Chlorophyll während der intensiven Zeit von Wachstum, Blüte und Frucht. Mit der Abnahme der Tageslichtmenge fahren all diese Prozesse zurück. Nun beginnt der Abbau, das Chlorophyll wird in Stoffe, meist Proteine, umgewandelt, die in Stamm und Wurzel, in Knollen und anderen pflanzlichen Speichermedien eingelagert werden können. Denn Schöpfung verschwendet nicht. Diese Prozesse sind darum auch kein wirkliches Sterben. Es ist ein Rückbau, ein spannender Recyclingprozess, eine Sicherung von Rohstoffen, eine Art Remobilisierung von Ressourcen. Selbst jene Pflanzen, die nur eine Lebensdauer von ein paar Monaten bis zu einem Jahr haben, vergehen zwar, ihre Biomasse aber bereichert den Boden mit ihren verbliebenen Nährstoffen an ihrem jeweiligen Standort. Der Humus, die oberste Schicht des Bodens, sie lebt, baut Stoffe um und versorgt so die Pflanzen mit Nahrung und wächst erneut um einige wertvolle Zentimeter. Das ist der Moment, wo die den ganzen Frühling und Sommer über verdeckten anderen Farbstoffe, Carotinoide genannt, sichtbar werden. Sie strahlen in gelb-orange und sind nicht nur in den Blättern von Sträuchern und Bäumen vorhanden, sondern auch in verschiedenen Gemüsesorten, in manchem Vogelgefieder und in Insekten wie dem Marienkäfer.

Der Herbst – kein Trauermarsch,
sondern Zukunftsmusik

Für manche Menschen ist der Beginn der Herbstzeit mit Wehmut verbunden. Wer die Schöpfung aufmerksam beobachtet in diesen Wochen, spürt Rückzug, spürt Abschied, spürt eine Form des Verlassenwerdens. Nach und nach mummeln sich die verschiedenen Tierarten in ihre Winterverstecke ein, und die Herbstwanderzüge von Schwalben, Schmetterlingen und den unterschiedlichsten Fliegenarten würden riesengroßes Erstaunen bei den Menschen auslösen, wenn sie davon wüssten. Wer wird sie denn schon gewahr, diese unglaublichen Wanderbewegungen, in denen Millionen kleiner und kleinster Flugkünstler über unseren deutschen Köpfen Richtung Süden ziehen. All das aber ist kein Niedergang! Auch wenn es sich für manche Menschen nach Trauermarsch anhört: Es ist der Auftakt für kommende Schönheit, eine Art Grundsteinlegung für die neue Fülle, die neue Pracht. Die Schöpfung zieht sich zurück, ja, sie scheint zu sterben, zu verschwinden, und für manche Menschen wirkt es wie der Beginn des Endes. Aber gleichzeitig ist es ein starkes Bild für die Hoffnung des christlichen Glaubens. Auch das Sterben des Menschen ist kein Schlusspunkt. Es ist die Bereitung des himmlischen Bodens, ein Auftakt, das starke Signal für ein Leben in Fülle ohne Ende.

Stand: 24.08.2023