Die stillen Heldinnen aus Bonn
In der Serie „Frauenorte“ haben wir uns besonderen Plätzen gewidmet, nun setzen wir den Fokus auf verschiedene Frauenpersönlichkeiten und ihre Wirkungen.
Von Nadine Diab
Jede von uns hat ihre ganz persönliche Geschichte. Mit Höhen, mit Tiefen, mit schweren Stunden, aber auch mit Glücksmomenten. Jede von uns kann eine Quelle der Inspiration sein. Oft sind wir uns gar nicht bewusst, dass unsere persönliche Erfahrung für eine andere Person genau der Antrieb ist, den sie gesucht hat. Deine Geschichte, meine Geschichte, unsere Geschichte: Wir alle vollbringen – oftmals im Verborgenen – auf unsere Art und Weise Großes. Doch wenn wir es nicht mitteilen, wenn wir es uns nicht erzählen, bleibt es unentdeckt. Genau diese Geschichten wollen wir erzählen, es gilt sie ab jetzt in den Diözesanverbänden zu entdecken.
In dieser ersten Folge unserer neuen Serie lernen wir die „Stillen Heldinnen“ aus Bonn kennen. Sie heißen Frieda Mager (1912?– 1994), Sibylla Cronenberg (1870?–1951) und Katharina Bayerwaltes (1914?–?2011). Die drei Bonnerinnen retteten während des Naziterrors unter Einsatz ihres Lebens Jüdinnen und Juden vor der Vernichtung. Die Bonner Autorin Ulrike Klens hat über diese drei außergewöhnlichen Frauen geschrieben. In ihrem Fazit, das wir an dieser Stelle den Geschichten vorausstellen möchten, fasst sie zusammen: „Manche Menschen fanden den Mut, zu Retter*innen zu werden, ungeachtet dessen, wie schwierig und beängstigend es war. Ihr Beispiel zeigt, dass durchaus ein gewisses Maß an Entscheidungsfreiheit bestand und die Rettung von Jüdinnen und Juden nicht jenseits der Möglichkeiten gewöhnlicher Menschen lag. Diese drei außergewöhnlich couragierten Bonnerinnen dienen uns wegen ihrer Menschlichkeit als Vorbilder.“
FrauenOrt NRW
Als Erinnerung an die Bonner Frauen wurde vom FrauenRat NRW ein FrauenOrt eingerichtet (siehe Seite 13). Sarah Gonschorek (Foto oben Mitte), Mitglied im Vorstand des FrauenRat NRW, begründet dies so: „Diese Frauen, die als Stille Heldinnen andere vor dem NS-Regime versteckt haben, verdienen besondere Ehre, weil sie in Zeiten größter Gefahr unermesslichen Mut und Menschlichkeit bewiesen haben. Das eigene Leben für einen anderen Menschen zu riskieren, ist eines der stärksten Zeichen von Zivilcourage. Ihr Handeln rettete Leben und zeigte, dass – auch wenn der Terror regiert – Menschlichkeit in dieser Welt vorhanden war. In einer Zeit, in der rechtsextreme Ideologien wieder auf dem Vormarsch sind, erinnern uns ihre Taten daran, wie wichtig es ist, diese Zivilcourage zu zeigen und für die eigenen Werte von Freiheit und Gerechtigkeit einzustehen. Deswegen wollten wir diesen Frauen mit einem FrauenOrt die Würdigung und Sichtbarkeit zuteilwerden lassen, die ihnen zu Unrecht bisher verwehrt geblieben ist.“
Frieda Mager
Frieda Mager wohnte in der NS-Zeit in einer Dachgeschosswohnung in der Bonngasse 4a, ihr Ehemann war im Krieg als Soldat in Norwegen. Der Hausverwalter, ein Nazi, warnte sie vor Kontakt zu dem Ehepaar Schubert, weil Emma Schubert Jüdin war. Sie lebten auch im Haus. Doch Frieda Mager ließ sich nicht abhalten. Im September 1944 wurden die noch in Bonn nach NS-Rassegesetzen in „Mischehen“ lebenden Jüdinnen und Juden verhaftet. Am 12. September 1944 hatten sich Emma und Martin Schubert bei der Gestapo einzufinden und wurden in das Sammellager Köln-Müngersdorf verfrachtet. Emma Schubert wurde von dort in ein Arbeitslager bei Kassel überführt. Ihr Ehemann kam nach zwei Wochen frei, musste aber das Rheinland verlassen. Mit seiner Hilfe gelang Emma Schubert am 16. Oktober 1944 die Flucht aus dem Lager.
Ulrike Klens schildert: „Nachdem das gemeinsame Wohnhaus durch den Bombenangriff am 18. Oktober 1944 zerstört worden war, rief sie (Frieda Mager) die beiden nach Bonn zurück. Als die Schuberts versuchten, Mobiliar aus ihrer ausgebombten Wohnung zu sichern, wurde Emma Schubert verraten. Frieda Mager versteckte die beiden daraufhin bis Ende des Krieges bei ihrer Mutter in der Hubertusstraße, wo sie selbst nach der Ausbombung untergekommen war, und versorgte sie im Keller mit Essen.“ Nach dem Krieg blieben die Schuberts in Bonn und mit Frieda Mager eng befreundet. Frieda Mager erhielt 1979 das Bundesverdienstkreuz.
Sibylla Cronenberg und Katharina Bayerwaltes
Die jüdische Familie Jacoby verlor 1939 ihr Kaufhaus, ihr gesamtes Eigentum und auch ihr Einkommen. Mithilfe von Josephine und Heinz Odenthal gelang ihnen 1942 die Flucht aus dem Sammellager. Sie wurden bei einer Verwandten von Josephine Odenthal, der 72-jährigen Sibylla Cronenberg, in Bonn im Bonner Talweg 73 untergebracht (Foto rechts oben). Gegenüber den anderen Hausparteien wurden die Jacobys als Verwandte ausgegeben, deren Haus in Köln ausgebombt worden war. Im Mai 1943 wurde Cronenberg krank und musste ins Krankenhaus. Deswegen kamen die Jacobys in der Argelanderstraße 44 unter (Foto rechts unten), im Haus der 29-jährigen Katharina Bayerwaltes, deren Ehemann als Offizier an der Front war.
Ulrike Klens gibt die zutiefst berührende Erinnerung der jungen Frau an die erste Begegnung wieder. Die Jacobys gaben sich bei ihr als Familie Schott aus. An dieser Stelle nur ein Auszug: „Im Dezember 1943 stürzte die alte Dame im Treppenhaus. Ihr Fußgelenk war stark geschwollen, und ich sagte: ‚Wir brauchen einen Arzt, es könnte ein Bruch sein.‘ Da weinte Frau Schott hemmungslos und schrie: ‚Nur keinen Arzt, nur keinen Arzt!‘ Ich wiegte sie tröstend in meinen Armen und sagte: ‚Erleichtern Sie doch Ihr Herz: Sie sind Juden.‘ ‚Ja‘, schluchzte sie, ‚wir sind Juden.‘“
Katharina Bayerwaltes erzählte selbst ihrem Ehemann nicht, dass sie eine jüdische Familie beherbergte. Auch nach der Geburt ihres Sohnes teilte sie weiter die rationierten Lebensmittel. Als es Ende Dezember 1944 wieder schwere Bombenangriffe gab, bat ihr Mann sie, mit ihrem Sohn zu den Schwiegereltern zu ziehen. Doch als sie im Radio von einem schweren Bombenangriff auf Bonn hörte, kehrte sie zurück. Zu groß die Befürchtung, ihr Haus würde bombardiert und die Familie könne dadurch enttarnt werden. Die Jacobys blieben bis zur Befreiung Bonns bei ihr; Katharina Bayerwaltes vermittelte ihnen 1945 eine Wohnung in Bad Godesberg. Als persönliche Referentin des britischen Stadtkommandanten war sie am Wiederaufbau der Stadt beteiligt. 1998 wurde ihr das Bundesverdienstkreuz verliehen.
Ulrike Klens: „Frieda Mager, Sibylla Cronenberg und Katharina Bayerwaltes wurden von der Gedenk- und Dokumentationsstätte Yad Vashem in Jerusalem zu „Gerechten unter den Völkern“ ernannt. Dieser Ehrentitel ist die höchste Auszeichnung Israels für nichtjüdische Einzelpersonen, die Juden und Jüdinnen während des nationalsozialistischen Terrors unter Einsatz ihres Lebens vor der Vernichtung retteten. Sie wurde seit 1963 bislang 27.921 Personen zuteil, darunter 641 Deutsche, davon drei aus Bonn – die drei oben genannten Frauen.“
Aufruf
Liebe Frauen aus den DVs,
diese Serie lebt wie immer von Ihrer Unterstützung. Unsere Autorin wird Sie nach besonderen Frauen aus den DVs fragen und freut sich über Anregungen.
Übrigens:
„Neue FrauenOrte“ hieß auch ein kfd-Projekt, in dem gute Ideen für kfd-Gruppen gesammelt wurden. Nachlesen kann man diese unter