Bilder der Zukunft
Auf eine Reise in die Welt von morgen nimmt uns die Denkfabrik „Reinventing Society“ („Gesellschaft neu erfinden“) mit. Im Interview mit Junia berichtet Stella Schaller, Mitgründerin der Denkfabrik und Mit-Autorin des Buches „Zukunftsbilder 2045“ – aus dem auch die hier gezeigten Fotos entnommen sind –, über Ideen, wie wir in Zukunft leben können: grün, lebensfroh und fortschrittlich.
Von Isabelle De Bortoli
Wer durch das Buch „Zukunftsbilder 2045“ blättert, sieht grüne Städte, Menschen, die Gemeinschaft leben, wenige Autos und natürlich innovatives Stadtdesign. Vor allem fällt auf: Die Zukunft, die wir hier sehen, ist nicht finster, sondern sie macht Lust, sie zu erleben. Frau Schaller, warum sind Ihre Zukunftsbilder so geworden?
Stella Schaller: Wir haben in der Corona-Zeit festgestellt, dass es kaum Vorschläge gibt, wie wir aus der Krise herauskommen wollen. Keine Zukunftsbilder, die greifbar und fühlbar machen, was wir durch Wandel gewinnen können. Aktuell ist unser Denken an die Zukunft beherrscht von Negativität, von Last, von Verzicht, von einem apokalyptischen Diskurs. Dabei braucht es positive Narrative, um die Menschen ins Handeln zu bringen. Derzeit herrscht eine kollektive Depression, ein Ohnmachtsgefühl, das uns glauben macht, alles sei verloren. Dabei kann Zukunft grün, lebensfroh und fortschrittlich sein, wenn wir uns um die Erde und einander kümmern – das wollen wir mit diesem Buch zeigen.
Zweieinhalb Jahre haben Sie für das Buch recherchiert, Projekte in deutschen Städten aufgetan, die schon zukunftweisend sind, die positive Visionen für die Zukunft haben. Dazu die eindrucksvollen Fotos im Buch von Berlin, Hamburg, München und vielen anderen Städten, wie sie in 20 Jahren aussehen könnten. Wie realistisch sind diese Zukunftsbilder?
Zunächst einmal: Die Bilder sehen fotorealistisch aus, sind aber nicht mithilfe Künstlicher Intelligenz erstellt, sondern in Zusammenarbeit mit 3D-Grafikern. Es handelt sich um wissenschaftlich fundierte Vorstellungen davon, wie wir bis 2045 im Einklang mit unserem Planeten leben könnten – wenn wir nun ins Handeln kommen und schon vorhandene gute Ideen flächendeckend spielen würden. Die Bilder enthalten viele konkrete Lösungen, die es schon gibt, laden aber auch ein, über den Tellerrand hinaus zu denken.
Krassester Unterschied zwischen den Fotos von heute und den Zukunftsbildern ist die Menge an Grün in den Städten.
Pflanzen sind unsere wichtigsten Partner auf dem Weg zu regenerativen und nachhaltigen Städten. Sie helfen uns, dem Klimawandel zu begegnen: erstens im Bereich Hitze, zweitens bei Überschwemmungen. Das Grün kühlt unsere Städte um 10 bis 20 Grad herunter, gleichzeitig kann es Wasser aufnehmen, wenn es zu viel regnet – anders als versiegelte Flächen. Außerdem sind Grünzonen wichtig für die Biodiversität, sie sind Habitat für Insekten, Vögel, Reptilien und Säugetiere, die in den Städten wieder Lebensraum finden. Zudem sorgt das Grün für eine geringere Feinstaubbelastung – und nutzt nicht zuletzt auch der menschlichen Gesundheit. Der Aufenthalt in der Natur steigert unser Wohlbefinden und reduziert Stress.
In Zukunft braucht eine florierende Gesellschaft, die komplexe Probleme bewältigt, einen starken Zusammenhalt. Dazu benötigen wir neue Räume, in denen wir uns begegnen können, in denen Pläne geschmiedet, Ideen umgesetzt werden.
Auf den Bildern fällt auch auf: Die Menschen sind draußen, machen Sport, treffen sich, diskutieren, sind gemeinsam unterwegs. Wieso ist das für unsere Zukunft wichtig?
Unsere öffentlichen Räume heute sind meistens von Konsum geprägt. In Zukunft braucht eine florierende Gesellschaft, die komplexe Probleme bewältigt, einen starken Zusammenhalt. Dazu benötigen wir neue Räume, in denen wir uns begegnen können, in denen Pläne geschmiedet, Ideen umgesetzt werden. Wir können nicht darauf warten, dass die Politik die Städte umbaut. Es braucht die Gesellschaft, es braucht die Menschen. Deshalb muss es Treffpunkte geben in Vierteln, in Nachbarschaften, wo alle Generationen zusammenkommen. Platz für Diskussionen, aber auch für Kultur, Kunst und Bewegung. Die Pandemie war auch eine Pandemie der Einsamkeit, Alte wie Junge sind heute betroffen – auch das ist ein Ansatzpunkt für eine zukunftsfähige Gesellschaft.
Die Zukunftsbilder zeigen auch einen Blick auf unsere Mobilität der Zukunft. Wie könnte diese aussehen?
Der öffentliche Nahverkehr steht im Mittelpunkt, Busse, Magnetbahnen, aber auch Boote und Fähren gehören dazu, die mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Auf ein eigenes Auto kann man in der Stadt verzichten – auch die Infrastruktur für Fahrräder ist ausgebaut. Sharing-Angebote, Ruf- und Sammeltaxis ergänzen den ÖPNV, insbesondere auf dem Land. Nebenbei bemerkt: Viele Dächer und andere Flächen sind mit Sonnenkollektoren ausgestattet, um Mobilität durch erneuerbare Energien zu ermöglichen. Durch diese veränderte Mobilität verschwinden versiegelte Flächen wie Parkplätze und werden an die Bevölkerung zurückgegeben. Hier entstehen Spielplätze, Cafés, Parks, Ruheräume und Kulturräume zum Mitgestalten.
Wohnen erhält in Zukunft außerdem eine soziale Komponente: Gemeinschaftliche Wohnprojekte für verschiedene Altersprojekte entstehen, die es ermöglichen, Ressourcen zu teilen.
Jetzt muss man genauer hinschauen: In manchen Zukunftsbildern kann man einen Blick auf die Wohnräume der Zukunft werfen. Wie werden wir denn wohnen?
Da gibt es ein Mosaik an Wohnkonzepten, eine große Vielfalt. Wichtig wird aber eine nachhaltige Bauweise sein, mit regenerativen Baumaterialien wie Holz, Lehm, Bambus, Hanf oder sogar Pilzen. All diese Materialien sind nachwachsend und recyclebar. Außerdem haben sie die Fähigkeit, CO2 zu binden. Tatsächlich haben regenerative Baumaterialien großes Potenzial, in der Klimakrise zu helfen, denn Stahl und Beton, mit denen wir heute immer noch bauen, sind energieintensiv in der Herstellung und umweltschädlich in der Entsorgung.
Wohnen erhält in Zukunft außerdem eine soziale Komponente: Gemeinschaftliche Wohnprojekte für verschiedene Altersprojekte entstehen, die es ermöglichen, Ressourcen zu teilen. Diese Wohnungen sind zudem flexibel, vielleicht modular, sodass die Wohnung sich auch in ihrer Größe den Ansprüchen der verschiedenen Lebensphasen anpassen kann.
Sie unterscheiden zwischen nachhaltig und regenerativ. Können Sie das erklären?
In einer Zeit, wo unsere Böden degeneriert sind, unsere Ozeane voll mit Plastik, unsere Atmosphäre verschmutzt, da reicht es nicht mehr, den Status Quo zu erhalten, also „nachhaltig“ zu leben. Stattdessen braucht der Planet Heilung, die Schäden müssen repariert werden, wir müssen also die Natur „regenerieren“. Außerdem geht es um Ganzheitlichkeit und Verbundenheit mit dem Leben – also eine völlig andere Denkweise. Anstatt eine technische Großlösung zu propagieren, suchen regenerative Ansätze nach lokalen Lösungen, die das ganze System einbeziehen.
Im Buch werden verschiedene Projekte aus den Bereichen Klimaschutz, Städtebau oder gesellschaftliches Zusammenleben aus ganz Deutschland vorgestellt, die schon kleine Leuchttürme sind auf dem Weg in die Zukunft. Sie haben diese „Realutopien“ genannt. Warum?
In allen Sektoren der Gesellschaft gibt es bereits innovative Lösungen, egal ob in der Wirtschaft, im Bau, der Bildung oder in der Landwirtschaft. Diese Ideen sind keine reinen Utopien, also Fantasien, sondern sie sind real. Aber eben in Nischen, nicht in der Breite angekommen. Im Buch ist das Hamburg der Zukunft eine Schwammstadt, das heißt, dort wurden Straßen und Gewerbegebiete entsiegelt, es wurde Asphalt ersetzt durch offenporige Steine, ungenutzte Flächen wurden Wiesen. So wird jeder Regentropfen im Boden gespeichert und in Trockenzeiten genutzt. Überschwemmungen durch Starkregen werden verhindert. Diese Idee der naturnahen Schwammstadt wird auf manchen Schulhöfen tatsächlich schon so umgesetzt. Andere Beispiele für Realutopien kommen aus der Landwirtschaft – regenerative Anbau-Methoden können uns übrigens ein ganzes Stück weit aus der Klimakrise heraushelfen. So gibt es beispielsweise schon kleinere Projekte, die die sogenannte Permakultur betreiben. Dabei wachsen Pflanzen nebeneinander, die einander mit Nährstoffen versorgen. Der Abfall der einen Pflanze kann Nährstoff der anderen sein und umgekehrt. Dabei braucht man keinen Dünger, keine Pestizide.
Dabei kann jeder der eigenen Freude folgen und im Kleinen etwas bewegen: Was inspiriert mich, wo verspüre ich eine Resonanz? Lokal, im eigenen Umfeld kann man viel bewirken.
Was können wir also tun für eine grüne, lebenswerte Zukunft auf diesem Planeten? Was würden Sie sich wünschen?
Ich wünsche mir, dass wir darüber sprechen, was wir tatsächlich gestalten wollen. Ich wünsche mir eine Aktivierung der Vorstellungskraft der Bevölkerung, denn es braucht Kreativität und Inspiration, um die herrschende Ohnmacht zu überwinden. Dabei kann jeder der eigenen Freude folgen und im Kleinen etwas bewegen: Was inspiriert mich, wo verspüre ich eine Resonanz? Lokal, im eigenen Umfeld kann man viel bewirken. Also: Hebel umlegen, die dann aufs große Ganze wirken.