Die Scheichs, das Geld und die Frauen

Die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar ist vorbei, die Menschenrechtsverletzungen gehen weiter. Besonders betroffen sind Frauen in der gesamten Golfregion. Die dramatische Situation von Migrantinnen bezeichnet die missio-Projektpartnerin Schwester Mary John Mananzan als moderne Sklaverei und kämpft für die Frauen.
Von Jörg Nowak, missio
Ein Urlaub wie 1001 Nacht, so wirbt Katar mit fröhlichen Familien für Pauschalreisen in das Land der vergangenen Fußball-Weltmeisterschaft. Wer neugierig auf exotische Abenteuer wird, der sollte die Reisewarnung des Außenministeriums der Bundesrepublik ernst nehmen. Denn Frauen sind in Katar in Gefahr. So weist die Website des Auswärtigen Amtes darauf hin, dass es „bei Anzeige einer Vergewaltigung zur strafrechtlichen Verfolgung des Opfers wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs“ kommen könne.
Traumatisiert und verletzt suchte sie nach einer Vergewaltigung bei der Polizei um Hilfe. Dort sollte die 28-Jährige einen Jungfräulichkeitstest über sich ergehen lassen.
Wie real diese Gefahr ist, bekam die gebürtige Mexikanerin Paola Schietekat am eigenen Leib zu spüren. Sie arbeitete im Organisationskomitee der Fußballweltmeisterschaft in Katar. Traumatisiert und verletzt suchte sie nach einer Vergewaltigung bei der Polizei um Hilfe. Dort sollte die 28-Jährige einen Jungfräulichkeitstest über sich ergehen lassen. Im Frühjahr 2022 folgte die Anklage gegen die Ausländerin. Aus der Vergewaltigung wurde der Vorwurf des außerehelichen Geschlechtsverkehrs. 100 Peitschenhiebe und sieben Jahre Gefängnis drohten der Frau. Zweifelhafte Hilfe bot der Anwalt an. Der Jurist aus Katar schlug vor, sie solle ihren Vergewaltiger heiraten. So würde sie nicht ausgepeitscht. Dank internationaler Proteste gelang es Paola Schietekat, Katar fluchtartig zu verlassen.

Moderne Sklaverei
Noch dramatischer erweist sich die Situation für die vielen Migranten, die sich aus wirtschaftlich schwächeren Ländern in die megareichen Golfstaaten locken lassen. Rund 10 Millionen Filipinos arbeiten außerhalb ihrer Heimat und sehen ihre Familien sowie Kinder oft über Jahre hinweg nicht. Wie zum Beispiel die 22-jährige Jeannie Dizon, die im Norden der Philippinen in einer Wellblechhütte aufwuchs. In dem abgelegenen Dorf tauchte ein Vermittlungsagent einer Arbeitsagentur aus der Hauptstadt Manila auf. „Ich unterschrieb einen Arbeitsvertrag für Katar, wo ich als Babysitterin für das zweijährige Kind in einer Familie arbeiten sollte“, sagt Jeannie Dizon. Dort angekommen, musste sie sich um sechs Kinder kümmern plus waschen, putzen und kochen. Sieben Tage pro Woche. Arbeitsbeginn war teilweise um 4 Uhr morgens. Als der Hausherr sie zu vergewaltigen versuchte, floh sie aus dem Haus der reichen Familie.
Die jahrelangen Proteste gegen die Fußball-WM in Katar haben gerade für die Migrantinnen kaum Verbesserungen gebracht. Weil die meisten dieser Frauen in Privathaushalten arbeiten, geschehen Ausbeutung und Missbrauch unsichtbar hinter verschlossenen Türen. Viele Migrantinnen beklagen, dass direkt zu Beginn der Tätigkeit die Verträge für nichtig erklärt und die Pässe sowie Smartphones abgenommen würden.
Angestachelt durch den Erfolg von Katar startet Saudi-Arabien eine Großoffensive des Sportwashings. Dieser Begriff wurde 2018 vom Oxford-Wörterbuch erstmals aufgenommen und beschreibt die zunehmende Tendenz von Unrechtsstaaten, durch internationale Sportevents von den Menschenrechtsverletzungen abzulenken.
Der Reichtum von Katar und der anderen Golfstaaten basiert auf drei Säulen: Sie machen Riesengewinne durch den Verkauf von Gas und Öl an die westliche Welt. Für die niedrigen Arbeiten lassen sie Migranten aus Afrika und Südostasien ins Land kommen, ohne ihnen irgendwelche Rechte zu geben. Die hohen Profite wiederum investierten die Scheichs und Geschäftsleute in Unternehmen wie Volkswagen, Deutsche Bank und Siemens. Immer beliebter werden Investitionen in internationale Mega-Events. Mit der teuersten Fußball-WM aller Zeiten in Katar hat Scheich Tamim bin Hamad Al Thani ein Zeichen gesetzt. Von den Kritikern fühlt sich der Milliardär ungerecht behandelt und „diskriminiert“. Man solle seine „Kultur respektieren“, fordert der 43-jährige Mann, der mit drei Frauen verheiratet ist.
PETITION
FRAUEN SCHÜTZEN IN KATAR
„Migrantinnen, Touristinnen und einheimische Frauen sind doppelt gefährdet im WM-Land Katar. Wer Opfer einer Vergewaltigung wird, kann aufgrund der geltenden Rechtsprechung selbst angeklagt werden. Das deutsche Auswärtige Amt warnt ausdrücklich davor. Diese frauenfeindliche Rechtsprechung muss beendet werden!“ Mit diesen Worten wendet sich das Katholische Hilfswerk missio in einer Petition an Außenministerin Annalena Baerbock. „Die Stimmen aller Unterzeichnerinnen und Unterzeichner werden wir im November 2023 der Außenministerin übergeben“, so missio. Unterschreiben kann man die Petition unter:
Nach der Weltmeisterschaft ist
vor der Weltmeisterschaft
Angestachelt durch den Erfolg von Katar startet Saudi-Arabien eine Großoffensive des Sportwashings. Dieser Begriff wurde 2018 vom Oxford-Wörterbuch erstmals aufgenommen und beschreibt die zunehmende Tendenz von Unrechtsstaaten, durch internationale Sportevents von den Menschenrechtsverletzungen abzulenken.
Eine der treibenden Kräfte ist der saudische Scheich Mohammed bin Salman, der laut CIA die Verantwortung für den Mord an dem Journalisten Khashoggi trägt. In einem anderen Fall berichtet Amnesty International, dass die Studentin Salma al-Shehab zu einer 34-jährigen Haftstrafe verurteil wurde, weil sie sich auf Twitter für Frauenrechte ausgesprochen hatte.
Nun hat im Februar 2023 die umstrittene FIFA grünes Licht dafür gegeben, dass die staatliche saudische Tourismusbehörde als Sponsor der Frauenfußball-WM 2023 auftreten kann. Nationalspielerin Alexandra Popp kritisiert als eine von vielen diese Entscheidung, weil der saudische Sponsor nicht gut sei für „das, wofür wir Frauen stehen“.
Und wieder werden Tausende Migrantinnen angeworben, die in den Privathaushalten als Reinigungskräfte und Kellnerinnen ausgebeutet werden.
Das ist erst der Anfang: Ende des Jahres folgt die FIFA Klub-WM mit Titelträger Real Madrid, dann die asiatischen Winterspiele im königlichen Wüstenstaat, und für die übernächste Fußball-WM hat Saudi-Arabien die Lobby-Arbeit gestartet. Gleichzeitig plant das Land neben der Errichtung von Fußball-Stadien den Bau des größten Gebäudes der Welt. Wie viele Bauarbeiter aus Nepal, Indien, Philippinen und Kenia werden diesmal ums Leben kommen? Und wieder werden Tausende Migrantinnen angeworben, die in den Privathaushalten als Reinigungskräfte und Kellnerinnen ausgebeutet werden. Wie gefährlich dort die Situation für Frauen sein kann, weiß die missio-Projektpartnerin Mary John Mananzan, die sich von den Philippinen aus für die Migrantinnen in der Golf-Region einsetzt. Die Missionsbenediktinerin kritisiert öffentlich diese Form der „modernen Sklaverei“. So versuchten vier Hausmädchen nach sexuellen Übergriffen in Saudi-Arabien, das Land zu verlassen, und wurden von offiziellen Stellen festgehalten. Sie sollten nur dann ein Flugticket erhalten, wenn sie sich dafür prostituieren würden. Unter dem Titel „Sex für ein Flugticket“ machte Schwester Mary John Mananzan im philippinischen Fernsehen darauf aufmerksam, um andere Frauen zu warnen.

Schwester Mary John gehörte ebenfalls zu den Akteur*innen, die im Rahmen eines missio-Projektes für die Migrantin Jennifer Dalquez kämpften. Die junge Filipina pflegte in der Nähe von Dubai ein behindertes Kind, als dessen Vater sie in eine Falle lockte. Der Mann bedrohte sie mit einem Messer und versuchte, die Migrantin zu vergewaltigen. Obwohl sie in Notwehr handelte, wurde die Frau angeklagt und zum Tode verurteilt. Dank internationaler Proteste wurde sie nach mehreren Jahren aus der Todeszelle entlassen.
„Ich kenne so viele Leidensgeschichten von Frauen in diesen Ländern“, berichtet Jennifer Dalquez. Gemeinsam mit Schwester Mary John Mananzan unterstützt sie die Petition von missio, die sich gegen die frauenfeindliche Justiz in Katar richtet und an Annalena Baerbock appelliert, sich für den Schutz der Frauen einzusetzen. „Deswegen steht diese Petition stellvertretend für alle Länder der dortigen Region. Wir brauchen jede Stimme, um Frauen zu schützen, die in den Golfstaaten wie Katar in Gefahr sind“, sagt Jennifer Dalquez und hofft, dass andere Frauen nicht in die gleiche Falle geraten wie sie selbst.