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Eine Lebensschule im Winter

Die Natur ist eine Meisterin der Anpassung. Was wie ein Sterben aussieht, ist eine Art strategisch ausgeklügelter Rückzug. Es ist ein Rückzug, der nicht den Tod bedeutet, sondern eine bald beginnende Erneuerung. Lassen wir uns ein auf die winterliche Schöpfung und machen uns auf in die Natur. 

Von Maria Anna Leenen

Eigentlich ist es ist ein sanfter Wechsel. Sehr langsam, sehr still verwandelt sich in den beginnenden Winterwochen das herbstliche Restschmuddelwetter. Die Temperaturen fallen und mit den letzten Blättern von Eiche, Buche und Weide rieseln die ersten Flocken zu Boden. Der Regen, war er nicht bis gestern noch ein beständiger Gast und der Schlamm schien wie ein unerwünschter Besucher beharrlich bleiben zu wollen? Doch jetzt über Nacht hat sich jede Pfütze und jede noch so kleine Wasserlache mit so etwas wie einem dünnen, gläsernen Spiegel überzogen. Es ist kalt geworden. Alles friert ein. Die Schöpfung scheint sich zurückzuziehen, scheint fast jedes Leben beenden zu wollen. Man könnte meinen, alles stirbt, alles vergeht. Selbst die Meisen am Futterhäuschen oder die vereinzelten Kaninchenspuren im Schnee, sind sie nicht nur wenig mehr als letzte Spuren einstiger Pracht und Fülle? Aber – stimmt das?

Wer sich einlässt auf die so dunkle und kalte Jahreszeit, kann überraschende Erfahrungen machen.

Wer sich einlässt auf die so dunkle und kalte Jahreszeit, kann überraschende Erfahrungen machen. Jeder Spaziergang in der stillen Schöpfung ist nicht nur eine Beruhigung, ein Runterfahren von Stress und Hektik, eine sicher oft notwendige Erholung. Er kann Sinne und Herz öffnen für Ausblick und Erkenntnis der anderen Art. Gedanken können laut werden, Raum gewinnen, die zu anderen Zeiten untergehen. Die Stille in einem Wald zum Beispiel, vertieft durch fehlendes Blätterrauschen und zusätzlich abgedämmt durch große Schneefelder, sie besänftigt und beschwichtigt und prägt zudem ja auch unsere Vorstellung vom Winterschlaf. Winterruhe, Winterschlaf – die meisten Menschen können mit diesem Begriff etwas anfangen. Tiere und Pflanzen ziehen sich eben zurück, sie schlafen und sterben vielleicht, weil die Umweltbedingungen in unseren Landen jetzt das Leben unterdrücken. 

Oder? Nein! 

Diese Jahreszeit scheint nur zum Sterben und zu einem unwiederbringlichen Verlust zu führen. Es ist eine Fehleinschätzung und sie hat durchaus auch Konsequenzen für uns Menschen. Sie verhindert, dass die Botschaft der Schöpfung, die in dieser angeblich so lebensfeindlichen Zeit ausgestrahlt wird, nicht wahrgenommen werden kann. Gut – sicherlich wären manche Menschen mit ein paar Wochen Schlaf im Winter durchaus einverstanden. Aber diese Jahreszeit, diese dunklen, kalten Wochen, kann andere Impulse schenken als eine lange Schlafperiode oder das Warten auf wärmere Tage. 

Eine Meisterin der Anpassung

Warum sich nicht einmal ganz bewusst einlassen auf das Dunkle, das Kalte, auf die verschiedenen Einschränkungen und dem nachspüren, was es auslöst? Die Schöpfung ist eine Meisterin der Anpassung. Sie ist offen für neue Situationen und reagiert darauf. Was wie ein Sterben aussieht, ist eine Art strategischer Rückzug. Unsere Klimazonen auf der nördlichen Halbkugel machen ihn notwendig. Es ist ein Rückzug, der kein Tod, kein Verderben bedeutet, sondern einen so intensiven wie ausgeklügelten Vorgang einer bald beginnenden Erneuerung. Nichts geht verloren hierbei. Alles wird irgendwie gespeichert, umgewandelt und wiederverwertet. 

Denn Schöpfung ist nicht nur Busch und Baum, ist nicht nur Pflanzen, Tiere, Meere und Berge. Schöpfung ist ebenso jeder Mensch. Schöpfung bin auch ich.

Sich einlassen auf die winterliche Schöpfung kann zum Nachdenken anregen über die eigenen Ressourcen. Wo liegen meine Vorräte? Was habe ich speichern können in den Monaten des Sommers? An Kraft, an Freude, an frohen Erinnerungen? Habe ich ebenso wie die Buchen und Eichen im Wald, die aus ihren Blättern und Ästen lebensnotwendige Proteine und Stickstoffverbindungen in Rinde und Wurzeln einlagerten, Reserven aufbauen können? Gerade im Winter erzählt die Schöpfung so von ihrem unbeugsamen Lebenswillen. Leise, verhalten und oft so verborgen, dass es feine Sinne braucht, um zu hören. Dann aber wird klar, klar und deutlich mit einer tiefen innerlichen Freude: Genauso wie Busch und Baum, wie Graswurzel und Mohnblume, genauso wie die ganze Schöpfung davon berichtet, dass ihr Schöpfer, dass Gott ihr Leben und unbeugsamen Lebenswillen schenkt, genauso schenkt er es auch mir, dem Menschen, der gerade durch den verschneiten Wald wandert. Denn Schöpfung ist nicht nur Busch und Baum, ist nicht nur Pflanzen, Tiere, Meere und Berge. Schöpfung ist ebenso jeder Mensch. Schöpfung bin auch ich. Und ebenso wie Gott es Pflanzen und Tieren gibt, will er es mir geben, dieses Leben, diesen unbedingten Willen zum Sein. Gott, der Schöpfer, will, dass ich bin! 

Schöpfungsmeditation
als Schule des Lebens

Schöpfungsmeditation, ob beim Gang durch Wald und Feld, ob bei einem Spaziergang an Küsten und Seen, sie ist nicht nur eine Naturerfahrung. Nicht nur ein bisschen gute Gefühle, eine Erholung gepaart mit Freude über prächtige Blüten und Rehaugenblicke. Sie kann das Herz öffnen für tiefe Welt- und Menschenerfahrung, denn sie macht bewusst, wo wir leben und wie wir leben. Wir, Menschen, die geschaffen sind, um diese Erde zu bewohnen, zu gestalten, zu schützen. Es braucht dazu nicht viel. Etwas Zeit nehmen, zur Ruhe kommen und schauen, riechen, wahrnehmen, was um mich herum wächst, gedeiht, lebt und sich immer wieder verändert. Und das immer wieder, möglichst jeden Tag. Dann ist Schöpfungsmeditation eine Lebensschule. Schule des Lebens und eine Gotteserfahrung, die tiefer reicht als der Katechismus und viele mahnende Worte. 

Über die Autorin

Maria Anna Leenen, geboren 1956 in Osnabrück, lebt seit 1994 als Diözesaneremitin im Bistum Osnabrück. Sie wurde durch eine tiefe innere geistliche Erfahrung neu auf den Weg des christlichen Glaubens geführt, der zunächst in die katholische Kirche führte, dann in das Klarissenkloster in Münster. Anschließend begann ihr Leben als Eremitin. 

Ihre Klause St. Anna liegt im Osnabrücker Land zwischen Ankum und Fürstenau. Die Klause St. Anna war ursprünglich ein altes Heuerhaus. 2004 wurde mithilfe ihrer Familie und vielen Freunden das Haus wieder bewohnbar gemacht. Inzwischen gibt es einen Förderverein, der tatkräftig mithilft, die baulichen Renovierungen zu stemmen, die notwendig sind, um die Klause, die seit 2016 im Besitz des Fördervereins ist, für die Zukunft zu erhalten. Das Leben einer Eremitin, einer Einsiedlerin ist immer in erster Linie ein Leben des Gebetes und der Kontemplation in Stille und Zurückgezogenheit. So gestaltet sich der Tag immer im Wechsel zwischen den Gebetsstunden in der Klausenkapelle und der Arbeit am Schreibtisch, in Haus, Garten und Stall, der zurzeit von neun Zwergziegen bewohnt wird. 2021 kam aufgrund der zunehmenden Wolfspopulationen ein Herdenschutzhund namens Cora dazu. 

Auf ihrer Website
www.maria-anna-leenen.de 
sind weitere Informationen, Videos
und Interviews. 

Stand: 23.12.2022