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Lohngerechtigkeit

Es muss Hand in Hand gehen

"Die Lohnlücke lässt sich nur schließen, wenn wir zu einer gerechteren Aufteilung der Sorgearbeit in der Familie kommen", sagt Katharina Wrohlich, Leiterin der Forschungsgruppe "Gender Economics" am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin. Ein Gespräch über Sorgearbeit, Lohnlücken, Quotenregelungen und mutige Politik. 

"Equal Pay", "Equal Care", "Gender Pay Gap" - all das sind technisch klingende, zudem englische Begriffe - werden sie den (sozialen, finanziellen, auch psychischen) Nöten der Frauen in Deutschland eigentlich gerecht?

Katharina Wrohlich: Es gibt ja für all diese Begriffe auch eine deutsche Übersetzung. "Equal Pay" meint Lohngerechtigkeit, "Equal Care" eine bessere Aufteilung der unbezahlten Sorgearbeit. Statt "Gender Pay Gap" könnte man auch Lohnlücke zwischen Männern und Frauen sagen. 

Das Englische hat den Vorteil, dass es kürzer und prägnanter ist. Außerdem sind Geschlechterungerechtigkeit, ungerechte Aufteilung und fehlende Chancengleichheit weltweite Phänomene. Damit haben Frauen auf der ganzen Welt zu kämpfen. Deshalb ist es auch logisch, dass sich die englischen Begriffe durchgesetzt haben.

"Es zeigt sich, dass politische Maßnahmen geeignet sind, Geschlechterstereotype aufzubrechen, Akzeptanz und Kulturwandel zu befördern."

Sie beobachten seit fast zwanzig Jahren die geschlechtsspezifischen Unterschiede am Arbeitsmarkt und in der Sozialpolitik. Welche Erfolge hat es bis heute gegeben?

Noch vor 16 Jahren gab es in Westdeutschland weniger als drei Prozent Kinderbetreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren. Heute sind es immerhin rund 30 Prozent. Das Tagesbetreuungsausbaugesetz unter Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen, gefolgt vom Kinderförderungsgesetz 2013, in dem der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab dem ersten Lebensjahr festgeschrieben wurde, hat die ersten Veränderungen bewirkt. 

Hinzu kam 2007 das Elterngeld mit den so genannten Partnermonaten. Das Angebot wurde anfangs noch als "Wickel-Volontariat" abgetan. Heute wird es immerhin von 40 Prozent der Väter in Anspruch genommen - wenn auch nur für zwei Monate. Es zeigt sich, dass solche politischen Maßnahmen geeignet sind, Geschlechterstereotype aufzubrechen, Akzeptanz und Kulturwandel zu befördern. 

Dennoch: Frauen verdienen im Schnitt immer noch fast rund 19 Prozent weniger als Männer, vor allem in der Privatwirtschaft, vor allem in den Ländern der alten Bundesrepublik. Wo liegen die größten Ursachen für Lohnunterschiede und Lohnlücken?

Das hat viele Ursachen. Eine davon sind die unterschiedlichen Erwerbsbiographien. Es ist interessant: Wenn man in die Daten über den Lebensverlauf von Frauen und Männern schaut, sieht man, dass die Lohnlücke bei den unter 30-Jährigen gar nicht so groß ist. Die Schere geht erst danach auf.

"Es ist leider oft so, dass die Frauen keine freie Wahl haben."

Während die Frauen ihren Bruttostundenlohn danach beibehalten, steigt er bei den Männern zwischen 30 und Mitte 40 an. Das sind die Familiengründungsjahre, in denen hauptsächlich die Frauen die Elternzeit nehmen, danach vielleicht nur noch in Teilzeit arbeiten, die auch pro Stunde schlechter bezahlt wird als Vollzeit.

Sie sind eher in den schlechter bezahlten Berufen und auch eher in kleineren, gut erreichbaren Unternehmen zu finden, damit die Arbeitswege das Familienmanagement nicht gefährden. Es ist leider oft so, dass die Frauen keine freie Wahl haben.

Sorge- und Erwerbsarbeit neu verteilen: Die kfd setzt sich seit vielen Jahrzehnten für eine faire Verteilung und Bewertung der unbezahlten Sorgearbeit und der Erwerbsarbeit ein. Mehr zum Thema "Equal Care" 

Stehen jüngere Frauen im Vergleich zu älteren heute besser da? 

Die jüngeren Frauen sind teilweise besser ausgebildet als die gleichaltrigen Männer. Und sie bilden beim "Gender Pay Gap" die Ausnahme. Während die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern über alle Altersgruppen hinweg in den vergangenen 30 Jahren erstaunlich konstant ist, sinkt sie bei den unter 30-Jährigen.

"Die Lohnlücke lässt sich nur schließen, wenn wir zu einer gerechteren Aufteilung der Sorgearbeit in der Familie kommen."

Statistisch also zunächst besser - aber sie stehen ja bezogen auf ihre persönliche Lohnentwicklung noch zeitlich vor den entscheidenden Weichenstellungen. Die Familiengründung hat sich auch aufgrund der Bildungsexpansion bei den Frauen ja deutlich nach hinten verlagert.

Was sind im Jahr 2021 die größten Herausforderungen und wo besteht akuter Handlungsbedarf, um - sagen wir in fünf Jahren - die geschlechtsspezifischen Ungleichheiten überwunden zu haben?

Wir müssen den "Gender Pay Gap" und den "Gender Care Gap" gemeinsam betrachten. Die Lohnlücke lässt sich nur schließen, wenn wir zu einer gerechteren Aufteilung der Sorgearbeit in der Familie kommen. Dann werden sich auch andere Unterschiede am Arbeitsmarkt verringern, dann können wir über flexible Arbeitszeitmodelle oder Männer in Teilzeit reden.

In fünf Jahren werden wir die Unterschiede nicht überwunden haben. Quoten können uns helfen. In Aufsichtsräten haben wir sie, über die Vorstände wird noch diskutiert. Ich finde, sie sind ein geeignetes Mittel. 

Frauen werden sichtbar in Machtpositionen, die geschlechterspezifischen Zuschreibungen werden abgebaut. Und es muss Hand in Hand gehen: Wenn sich mit politischer Unterstützung zum Beispiel die Elternzeit für Männer von zwei auf vier Monate erhöhen ließe, wäre das ein gutes Signal für die "private" Quote: Nicht nur Mütter sind fürsorglich, Väter sind es auch. Ich denke: Die Politik kann da noch mutiger werden!

Frauen arbeiten eher in schlechter bezahlten Berufen. Selbst schuld. Sie fallen häufiger aus, weil sie Kinder kriegen. Selbst schuld. Sie arbeiten lieber in Teilzeit, um sich um die Kinder zu kümmern. Selbst schuld. Wie können Frauen diese Pseudo-Argumentationsketten brechen?

Genau das ist der Punkt. Beruf, Familie, Kinder, Teilzeit, das klingt erstmal nach individuellen Entscheidungen, die jede Frau trifft. Aber es ist eine komplette Illusion, dass individuelle Entscheidungen ohne sozialen Kontext und Normen getroffen werden. Wir leben ja nicht im luftleeren Raum. Die sozialen Vorstellungen können sehr unterschiedlich wahrgenommen werden. Das muss die Politik, müssen die Verantwortlichen berücksichtigen.

Das Corona-Jahr 2020/21: Zuletzt war viel von der Retraditionalisierung der Gesellschaft und der Rückkehr zu alten Rollenbildern die Rede. Was ist zu tun, damit uns die Pandemie in der Frage der Geschlechtergerechtigkeit nicht zurückwirft?

Die Gefahr war da, das stimmt. Die jüngsten Studien zeigen inzwischen aber, dass es nicht ganz so schlimm ist, wie zuletzt befürchtet. Väter im Homeoffice konnten ihren relativen Anteil an der Sorgearbeit steigern, weil ja mehr Kinderbetreuung insgesamt anfällt.

In absoluten Stunden aber liegen die Frauen deutlich vorn, und das, obwohl sie ja auch schon vor der Pandemie den Löwenanteil hatten. Wie es ausgeht, lässt sich abschließend noch nicht beantworten, die Forschungen zu diesen Fragen laufen noch. So viel vielleicht: Wir werden wohl nicht zurückgeworfen, aber man kann auch nicht sagen, dass die Pandemie ein Gleichheitsbeschleuniger ist.

Das Interview führte Jutta Laege. Erschienen im kfd-Mitgliedermagazin Junia 2/2021.

Stand: 01.03.2021