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"Ich bin eine Detektivin"

Die amerikanische Theologin Bernadette J. Brooten gilt als Entdeckerin der Junia. Und das bereits in den 1970er Jahren.

Junia-Chefredakteurin Jutta Laege trifft die Junia-Entdeckerin Bernadette J. Brooten an einem Spätherbsttag in einer Videokonferenz. Die Wissenschaftlerin freut sich sehr über die Namensgebung der Verbandszeitschrift der kfd. Und sie ermuntert die deutschen katholischen Frauen, sich weiter für die Gleichberechtigung stark zu machen. "Die bekommt man nicht als Gabe. Die muss man sich erkämpfen!"

Bernadette Brooten sitzt in ihrem Arbeitszimmer in der Nähe von Boston am Schreibtisch, hinter ihr eine riesige Bücherwand. Die 69-Jährige ist emeritierte Professorin der Privatuniversität Brandeis.

Die Geschichte der Frauen in der alten Synagoge und der frühchristlichen Kirche gehört seit Jahrzehnten zu ihrem Forschungsschwerpunkt. In den 1970er-Jahren war Brooten Doktorandin in Tübingen. Zu dieser Zeit stieß sie auf die weitgehend unbekannte Geschichte der Junia.

"Ich habe über Junia in einem Aufsatz von Elisabeth Schüssler Fiorenza* gelesen und dachte: Das muss ich erforschen", erinnert sie sich. Sie studierte Handschriften und frühchristliche Römerbriefkommentare, kniete sich in die Grammatik und in die griechischen und lateinischen Namensformen, analysierte rund 500 Inschriften alter Gräber und kam zu dem Ergebnis: "In den Inschriften gab es nur Junia, nicht Junias, und die frühen Kommentatoren hielten sie für eine Frau."

Dass Junia ausschließlich einer falschen Übersetzung zum Opfer fiel, ist allerdings zweifelhaft. Auch wenn sich ab dem 13. Jahrhundert und spätestens mit der Luther-Übersetzung der Bibel der männliche Name Junias durchgesetzt hatte, fand Brooten noch katholische Kommentatoren im 20. Jahrhundert, die Junia erwähnten. "Weil sie noch die alten Kirchenväter gelesen hatten", schlussfolgerte die Bibelforscherin.

Warum verschwand Junia?

Warum aber verschwand Junia dann doch? Warum setzte sich der Name Junias über Jahrhunderte durch? Brooten hat eine deutliche, ernüchternde Antwort: "Es musste ein Mann sein, schließlich ging es ja um Apostel!"

Wie erging es ihr, als sie Junia auf die Spur kam? "Ich habe mich gleichzeitig geärgert und gefreut, Junia gefunden zu haben", berichtet sie. "Die Entdeckung war aber auch ein Ansporn für mich, nach weiteren Frauen zu suchen, zum Beispiel: Leitende Frauen in der alten Synagoge sichtbar zu machen." 

Die feministische Theologin eckte nicht nur mit dieser Studie in der Männerkirche an. In Tübingen begann sie mit der Forschung zu einem Buch, das nun auch in deutscher Übersetzung vorliegt: "Liebe zwischen Frauen. Weibliche Homoerotik in hellenistisch-römischer Zeit und im frühen Christentum" (Münster 2020).  

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Wer war Junia?

 

1985 verließ sie die Universität Tübingen und wechselte nach Harvard. "Was mich in meiner Forschung immer wieder begleitet hat, waren die Skeptiker, die gesagt haben: Es gibt keine Quellen. Das hat mich dann umso mehr angespornt. Ich arbeite gerade an einer Studie über Frauen in der frühen Kirche, die versklavt waren oder Sklaven-Herrinnen waren. Und ich habe Quellen ausfindig gemacht! Ich bin eine Detektivin", sagt sie lachend. "Gibt es nichts? Doch! Es gibt Spuren."

Wie fand Junia zum Christentum?

Natürlich bleibt bei der Sichtbarmachung frühchristlicher Frauen vieles im Ungewissen. Junia lebte vor rund 2.000 Jahren. Und es gibt nur bei Paulus diese kurze, aber bedeutende Erwähnung. "Junia hat wohl um die 50er-Jahre in Rom gelebt und gewirkt", erläutert Brooten.

"Es ist davon auszugehen, dass sie noch in die Synagoge gegangen ist, an Kirchenversammlungen teilgenommen, die jüdischen Feiertage gefeiert hat und ihr die jüdischen Speisegebote wichtig waren. Der Name könnte darauf hindeuten, dass Junia Freigelassene eines Junius oder einer Junia war."

Wie sie zum Christentum fand, bleibt spekulativ. Mutmaßlich, so ist es von Paulus überliefert, hat sie sich schon vor ihm zu Christus bekannt. Für Brooten ist auch denkbar: "Es gab in der Antike Pilgerfahrten nach Jerusalem. Vielleicht hat sie an einer teilgenommen und ist so mit Jesusgläubigen in Kontakt gekommen."

Möglicherweise, so Brooten weiter, habe Junia in einer Hauskirche gewirkt, vielleicht gehörte sie sogar zu den Gründerinnen der römischen Gemeinde. "Herausragend unter den Aposteln", wie Paulus es nennt, deutet jedenfalls darauf hin, dass sie bei den frühen Christinnen und Christen eine besondere Position und Bedeutung hatte.

Was wäre, wenn Junia heute leben würde? Der Gedanke gefällt Bernadette Brooten: "Ich vermute, sie würde das gleiche machen wie damals: Von Christus predigen und sich um das Wohl des Kirchenvolkes bemühen. Und ja: Wahrscheinlich würde sie reisen und gute Werke tun."

*Elisabeth Schüssler Fiorenza, geboren 1938, katholische Theologin, zuletzt Professorin an der Harvard Universität, Cambridge

Stand: 14.12.2020