Frei im Glauben
Sie sind katholisch (nicht nur), kritisch, konstruktiv, kirchennah und kirchenfern: Die Serie „Generation K“ widmet sich jungen Frauen, die sich die Fragen von Kirche, Glauben und Gesellschaft neu stellen.
Von Julia Pütz
Natalia Löster ist Urlaubsseelsorgerin an der ostfriesischen Nordseeküste. Am Meer erlebt die Theologin, wie bunt und vielfältig Gemeindeleben ist – und wie zukunftsweisend diese Freiheit für die Institution Kirche sein kann. Digital ist die 35-Jährige als „Christin und Feministin“ aktiv.
Am Strand von Norddeich, wo Feriengäste in die See springen, spazieren gehen oder Burgen bauen, steht der „Kirchenstrandkorb“ – ist Natalia Löster präsent. Mit den Füßen im Sand ist die Pastoralreferentin während der Ferienzeiten dort regelmäßig anzutreffen. An Lösters Seite: ihre Kolleginnen in der Tourismuspastoral. „Immer, wenn unsere Fahne am Strandkorb weht, trifft man einen von uns“, erzählt die Pastoralreferentin. Es gehe darum, offene Ohren und Herzen anzubieten für Themen, die die Menschen umtreiben. Gespräche und Begegnungen einfach passieren zu lassen: Die „Seelsorge am Meer“ gibt dafür Raum und Zeit. „Ich nenne es umgekehrte Gastfreundschaft. Ich mache mich, wie in der Zachäus-Geschichte, bei den Menschen zu Gast“, erklärt die Urlaubsseelsorgerin. Und dann? „Alles kann und nichts muss!“, sagt die 35-Jährige. „Ich bin da, frage ,Wie geht’s Dir?‘, höre zu und bilde eine kurze Weggemeinschaft mit den Menschen.“
Feriengäste zum Beispiel, die der Kirche den Rücken gekehrt haben, und dann der ,Frau von der Kirche‘ von ihrem Glauben erzählen. Es tut gut, mal frei sprechen zu können.
Seit knapp neun Jahren – erst als pastorale Mitarbeiterin, dann als Pastoralassistentin und schließlich als Pastoralreferentin sowie Koordinatorin der „Seelsorge am Meer“ – ist Natalia Löster an der Küste tätig. Der nördlichste Teil des Bistums Osnabrück ist bekannt als Diaspora. Doch über mehrere Monate im Jahr wachsen die Inselgemeinden und Pfarreien um ein Vielfaches. Es sind die zahlreichen Urlauber*innen und Kurgäste, denen die katholischen Gemeinden im Dekanat Ostfriesland Angebote machen. „Tourismuspastoral ist eine besondere Form von Kirche“, erläutert Löster. „Eine Urlaubsgemeinde, die sich für einen kurzen Zeitraum zusammenschließt und dann wieder auseinandergeht. Daraus schöpfen die Menschen viel.“ Gerade fernab von Alltagshektik würden die verschiedensten Themen angesprochen. „Feriengäste zum Beispiel, die der Kirche den Rücken gekehrt haben, und dann der ,Frau von der Kirche‘ von ihrem Glauben erzählen. Es tut gut, mal frei sprechen zu können.“
Die Menschen sind offen und haben großes Interesse an den unterschiedlichsten Gottesdienstformen. Eine solche Kirche der Beteiligung ist zukunftsweisend.
Die „Seelsorge am Meer“ sei ein Thema aller Gläubigen im Dekanat. „Denn auch die Einheimischen brauchen Rückzugsmomente und -orte“, weiß Löster. Mit Gemeindemitgliedern und auf ökumenischer Ebene werden unter anderem meditative Strandspaziergänge oder „Klönschnack“ nach der Sonntagsmesse entwickelt. „Statt die Menschen aufzurufen, zu uns zu kommen, praktizieren wir eine aufsuchende Pastoral“, erläutert die 35-Jährige. „Und das haben wir vielleicht klassischen Kirchengemeinden voraus, denn unsere Gottesdienste sind im Sommer voll.“ Es sei faszinierend zu sehen, wie bunt und vielfältig das Gemeindeleben werde, wenn sich die Gäste beteiligen. „Wir strukturieren nicht alles vorab, sondern schauen, wer ist gerade da und wer bringt was mit. Die Menschen sind offen und haben großes Interesse an den unterschiedlichsten Gottesdienstformen. Eine solche Kirche der Beteiligung ist zukunftsweisend.“
Schon als Kind erlebt Natalia Löster, dass Glauben und kirchliche Gemeinschaft nichts Selbstverständliches sind. Geboren in Ost-Berlin, wächst sie mit dem Bewusstsein auf, dass sie als praktizierende Katholikin heraussticht und kritische Anfragen zu ihrem Glauben erhält. „Zudem war Kirche immer Opposition zum Staat. Man hat sich zusammengetan, um sich gesellschaftlich einzubringen“, berichtet die Theologin. „Rückblickend betrachtet, prägt diese Erfahrung noch heute mein Verständnis von Kirche und meinen persönlichen Glauben.“ Kirche sei kein Selbstzweck, so Löster. An erster Stelle stehe für sie aber die Freiheit, die der Glauben ermögliche: „Er gibt mir Rückenwind. Er gibt mir die Möglichkeit, alle Potentiale wahrzunehmen. Gleichzeitig zeigt mein Glaube mir, welche Verantwortung ich gegenüber der Welt, meinen Mitmenschen und mir selber habe. Und dabei bin ich nie allein unterwegs.“ Eine Freiheit, die die Seelsorgerin nicht unter Druck setzt. „Im Gegenteil, sie motiviert mich. Alles ist möglich, wenn wir daran festhalten, uns beteiligen und füreinander einsetzen.“
Die Generation K finden Sie auch hier:
Kirche habe sie immer als offenen Ort erlebt, an dem „man auch über den Tellerrand hinausschaut.“ Persönlich hat die 35-Jährige das während ihres Studiums getan: Neben dem Fach Theologie studierte Löster aus Interesse am arabischen Christentum und der Sprache zudem Islamwissenschaften in Münster und Beirut. „Im Libanon war ich Teil eines evangelischen Studienprogramms, was ich als Katholikin spannend fand. Es hat meinen Horizont erweitert und mir klar gemacht, dass Unwissenheit Vorurteile produziert und dass das Wissen der Religionen umeinander wichtig ist.“
Sprache schafft Wirklichkeit. Daher versuche ich über Sprache und Begrifflichkeiten deutlich werden zu lassen, wer zu unserer Gesellschaft dazugehört.
Ähnlich wie in der Tourismuspastoral schaut Natalia Löster auch in sozialen Netzwerken, wo die Menschen „digital unterwegs sind“ und was sie bewegt. „Ich möchte auch dort da sein und Gläubigen einen inhaltlichen Mehrwert oder Denkanstöße geben.“ Als „Frau Weibsbild“ und Mitglied im Kernteam ist die Theologin monatlich auf dem YouTube-Kanal von „Das Bodenpersonal“ aktiv. Das Netzwerk von Creator*innen und Blogger*innen der katholischen digitalen Kirche im Bistum Osnabrück zeigt, wie bunt und vielfältig Kirche ist. „Wir alle sind Gemeinde und wir glauben, dass unser Glaube uns noch etwas in unserem Alltag zu sagen hat.“ Unter dem Motto „Niemand lernt je aus“ packt die Pastoralreferentin, die sich als „Christin und Feministin“ bezeichnet, online „heiße Eisen“ an. Egal ob Chancengleichheit, Gendern, Sexismus oder Alltagsrassismus: Mit ihren oft unterhaltsamen Videos leistet die Seelsorgerin Aufklärungsarbeit und setzt sich für Gleichberechtigung ein. „Sprache schafft Wirklichkeit. Daher versuche ich über Sprache und Begrifflichkeiten deutlich werden zu lassen, wer zu unserer Gesellschaft dazugehört.“
Als junge Frau in der katholischen Kirche versucht Natalia Löster „am Ball zu bleiben – in der Hoffnung, dass sich viele weitere Dinge ändern.“ Kirche heute sollte vor allem Hörende sein: „Erst zuhören, dann die Menschen wahr- und erstnehmen und schließlich für sie da sein.“ Für die Zukunft wünscht sich die 35-Jährige, „dass wir alle gut und bunt weiter Kirche sein können und dass der Glaube uns alle Freiheiten dazu ermöglicht.“