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Organspende

Das Geschenk des Lebens

Soll jeder Mensch, der nicht aktiv widerspricht, als potentieller Organspender gelten? Darüber wurde in den vergangenen Jahren intensiv diskutiert. Wie die Organspende in Deutschland derzeit geregelt ist und welche Neuerungen angeregt werden. Außerdem stellen wir zwei starke Schwestern vor: die eine Organempfängerin, die andere die Spenderin.

Von Romina Carolin Stork

Susan Stracke ist eine Frau, die mitten im Leben steht: Die 57-Jährige ist glücklich verheiratet, wohnt in einem Haus in Witten, Nordrhein-Westfalen, hat Stiefkinder, die sie liebevoll "unseren Sohn" und "unsere Tochter" nennt, Enkelkinder und eine Firma mit ihrem Mann. Dass dies alles so kommen würde, ist nicht selbstverständlich:

Mit 26 Jahren, 1988, wurde sie krank und erhielt die Diagnose "Chronisch aggressive Autoimmunhepatitis mit zirrhotischem Umbau". Die Leber würde sich selbst durch absterbendes Gewebe zerstören. Die Diagnose traf Susan Stracke aus dem Nichts. "So in vollem Lauf gestoppt zu werden - das tut schon weh."

Bis dahin war sie unbeschwert, trieb Sport, hatte Lust aufs Leben, war berufstätig, erzählt sie. Frisch verheiratet, war auch der Kinderwunsch groß. Dann änderte sich alles: Um die Leber möglichst lange zu erhalten - eine Transplantation war damals noch zu gefährlich - musste sie täglich Kortison nehmen und regelmäßig zu Untersuchungen. Der Wunsch nach eigenen Kindern sollte sich nicht erfüllen.

Doch Susan Stracke gab sich nicht auf und steckte ihre Energie mit Erfolg in ihre berufliche Zukunft. Privat allerdings lief es nicht gut; sie trennte sich von ihrem Mann.

Ihr Leben, sagt Stracke, verlief lange Zeit fast normal, sie war zufrieden - zumal sie 1997 ihren heutigen Ehemann kennenlernte. Sie erinnert sich gerne an seine Reaktion, als sie ihm von ihrer Erkrankung erzählte: "Dann lass uns mal schnell mit unserem gemeinsamen Leben anfangen!"

Etwa zwölf Jahre nach der Diagnose, Ende 2000, verschlechterte sich ihr Zustand rapide: Sie baute körperlich ab, war müde, lag oft im Krankenhaus, die Leber arbeitete nur noch zu etwa zehn Prozent - eine Transplantation war unausweichlich. Susan Stracke kam auf die Warteliste. Aber: Ihre Chancen standen wegen ihrer seltenen Blutgruppe 0 Rhesus negativ schlecht.

Ihre Familie war immer eine Stütze. Mehr noch: Ihre Schwester Bettina sollte zu ihrer Lebensretterin werden! Durch einen Bericht in einer Zeitschrift erfuhr sie von der Möglichkeit einer Leber-Lebendspende. Stracke selbst hatte den Artikel zuvor gelesen.

"Ich merkte, dass meine Kräfte mich verlassen, weil ich gar nicht in der Lage war, den Artikel überhaupt auf mich umzumünzen." Bis zuletzt habe sie ihr immer wieder gesagt: Du musst das nicht tun! Die Geste der Schwester berührt sie tief.

Der Tag der Operation, der 28. Januar 2002, sei der schlimmste für sie gewesen, sagt Susan Stracke. In der Charité in Berlin wurde ihre Schwester zuerst operiert, um sicherzugehen, dass das Organ transplantiert werden kann. Dann erhielt sie 60 Prozent ihrer Leber. Zwei Tage später konnten sie sich das erste Mal sehen. "Ich glaube, so einen emotionalen Moment bekommt man relativ selten im Leben." Heute nennt sie den Tag "unseren Geburtstag".

Während es ihr selbst immer besser ging, baute Bettina immer mehr ab. Obwohl Susan hätte entlassen werden können, blieb sie im Krankenhaus, um bei ihrer Schwester zu sein.

Vier Wochen verbrachten sie in der Klinik, drei Wochen in der Reha, bis es beiden wieder gut ging. "In Momenten, in denen ich extremst glücklich bin im Leben, sind meine Wehmut und Demut sehr, sehr groß", erzählt Stracke bewegt.

Ihre Leber ist zu etwa 90 Prozent wiederhergestellt und ermöglicht ein weitgehend normales Leben.

Zwar nimmt sie Immunsuppressiva, um das Abstoßen des Organs zu verhindern, meidet die direkte Sonne, da das Hautkrebsrisiko erhöht ist, achtet auf eine gesunde Ernährung und regelmäßige Auszeiten - aber sie lebt.

Neues Leben schenken

Die eigene Schwester leiden zu sehen, zu erleben, wie sie immer weiter abnimmt und nicht mehr sie selbst ist, war für Bettina Schröder eine schlimme Erfahrung. Ihr sei zwar bewusst gewesen, dass Susan krank war, gemerkt habe man davon zuvor allerdings nicht viel.

"Sie hat das immer supergut verpackt, weil sie auch eine sehr selbstbewusste Frau ist", berichtet die 58-Jährige. Als Bettina Schröder die Möglichkeit einer Lebendspende entdeckte, gab es keine Zweifel: "Da habe ich sofort gesagt: Ich will das machen!"

Ein Leben ohne Susan war für sie unvorstellbar, und auch heute noch fallen ihr die Gedanken daran schwer. Schon immer hatten die beiden Frauen ein inniges Verhältnis zueinander, sie seien "wie Zwillingsschwestern" aufgewachsen, berichtet Schröder.

Es ist ein Herzenswunsch von mir gewesen."

Als sie erfuhr, dass sie tatsächlich als Spenderin infrage kommt, konnte sie es kaum fassen. "Es war unwirklich." Es folgten zahlreiche medizinische Untersuchungen, ein Termin bei einer Ethikkommission, um zu erklären, dass sie freiwillig und bedingungslos spendet, und Arztgespräche.

Ihre Schwester gab ihr Halt, wich nie von ihrer Seite. Schröder ertrug viele Strapazen - doch aufgeben kam nicht infrage: "Es ist ein Herzenswunsch von mir gewesen", sagt sie mit fester Stimme.

Nach der OP, die mehrere Stunden dauerte, hatte Bettina Schröder Beschwerden, war appetitlos und müde und musste sogar erneut operiert werden, da es Komplikationen gab. "Das ist wahrscheinlich wie beim Kinderkriegen: Es ist nicht so schön, aber hinterher verblasst es", sagt sie heute lachend.

Sie hat Glück: Außer einer großen Narbe am Bauch, die auch ihre Schwester hat, spürt sie keine Folgen. "Wir haben tolle Narben. Ich bin auf meine sehr stolz." Ihre Leber ist zum Großteil wiederhergestellt.

Was sich änderte, war ihr Leben: Der Mut zur Organspende war auch der Start in ein mutigeres Leben. "Mir ist erst viel später bewusst geworden, was ich da überhaupt gemacht habe", sagt sie, und beim Gedanken daran kommen ihr die Tränen.

Erst spät habe sie Stolz zulassen können. Sie überdachte ihr Leben und sortierte es neu. Ein Mann, den ihr ihre Schwester und ihr Schwager vorstellten, stellte alles endgültig auf den Kopf: Für ihn zog sie von Nordrhein-Westfalen in die Pfalz, vor Kurzem adoptierte sie seine Tochter. "Ich bin rundum glücklich und zufrieden."

Vor der Erkrankung ihrer Schwester habe sie sich nicht mit dem Thema Organspende befasst, gibt Schröder zu. "Man kann den Menschen, die nicht davon betroffen sind - die wissen ja gar nichts darüber -, manchmal gar keinen Vorwurf machen." Mit ihren Erfahrungen allerdings würde sie sich wünschen, dass sich jede und jeder mit dem Thema beschäftigen und es viel mehr Informationen über Organspende geben würde.

Organspende in Deutschland

Häufiger als eine Lebend-Organspende wird in Deutschland eine postmortale Spende durchgeführt. Sie ist dann erlaubt, wenn sich die Spenderin oder der Spender zu Lebzeiten dafür entschieden hat.

Liegt keine Entscheidung vor, können die Angehörigen im Sinne des Patienten zustimmen oder ablehnen: Es gilt die sogenannte erweiterte Zustimmungs- beziehungsweise Entscheidungslösung.

Das große Problem: Bundesweit gibt es mehr Personen, die ein Organ benötigen, als Spenderinnen und Spender: 913 Spender*innen waren es 2020 (2019: 932, 2018: 955), heißt es von der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), die die Organspende in Deutschland koordiniert. Rund 9.000 Menschen jedoch warten auf ein neues Organ.

Widerspruch statt Einwilligung

Am 1. März 2022 wird ein neues Gesetz in Kraft treten, dass bei der Entscheidung bezüglich einer Organspende helfen soll. Ausweisstellen von Bund und Ländern sollen allen Bürger*innen Aufklärungsmaterial und Organspendeausweise zur Verfügung stellen und Hausärzt*innen bei Bedarf ihre Patient*innen alle zwei Jahre ergebnisoffen zur Organspende beraten. In einem bundesweiten Online-Register können zudem die persönliche Entscheidung zur Organspende dokumentiert werden.

Diesem Entschluss ging eine kontrovers geführte Debatte voraus: Um mehr Organspenden zu ermöglichen, schlug Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) 2018 die Widerspruchslösung vor. Jede*r, die zu Lebzeiten einer Organentnahme nicht widersprochen hat, würde bei geeigneter medizinischer Voraussetzung als Spender infrage kommen.

Befürworter argumentieren, dass eine Organspende freiwillig bliebe; jede Bürgerin und jeder Bürger würde jedoch aufgefordert, sich dafür oder dagegen zu entscheiden.

Auch Hans Lippert, Professor für Chirurgie an der Universität Magdeburg und Vorsitzender der Überwachungskommission für Transplantationen der Bundesärztekammer, begrüßte Spahns Vorstoß: "Ich finde es nicht vermessen und auch nicht übertrieben, wenn man von jedem erwachsenen Bürger erwartet, dass er sich für manche Dinge einfach entscheidet mit Ja oder Nein."

Bisherige Versuche, die Menschen wiederholt über Organspende zu informieren und sie so zu einer Entscheidung zu bewegen, seien erfolglos gewesen. Auch den Vorwurf, jeder würde zum "Ersatzteillager", weist er ab:

Bereits jetzt sei es gängige Praxis, vor einer Organentnahme die Angehörigen anzuhören, und so würde seiner Einschätzung nach auch bei der Widerspruchslösung verfahren werden.

Diese Erfahrung bestätigt Andreas Lob-Hüdepohl, Professor für Theologische Ethik an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin und Mitglied des Deutschen Ethikrates. Dennoch spricht er sich gegen die Widerspruchslösung aus: "Selbst, wenn sie die Transplantationszahlen nach oben treiben könnte, ist sie ethisch nicht zu vertreten."

Es ginge bei der Organspende um den Kern der letzten Frage des Lebens, jede und jeder müsse da "aktiv selber entscheiden können, ob ich das will oder nicht", ohne Konsequenzen zu fürchten.

Aktiv entscheiden

Und Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, erklärte, die bewusste Entscheidung für eine Spende werde abgeschafft. "Schweigen heißt aber nicht Zustimmung." Auch ethische oder persönliche Gründe könnten gegen eine Spende sprechen.

Ein alternativer Entwurf einer Gruppe um Grünen-Politikerin Annalena Baerbock sah ein Organspenderegister vor, zudem Beratungen durch Hausärzte und Informationen bei Behördengängen; die Entscheidungslösung bliebe bestehen.

Positiv gestimmt

Grundlegend, so zeigt eine bundesweite und repräsentative Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, stehen die Menschen in Deutschland der Organspende mit 82 Prozent Zustimmung positiv gegenüber. Auch die Zahl derjenigen, die ihren Willen schriftlich festgehalten haben, steigt: 44 Prozent der Befragten haben sich bereits entschieden (2019: 39 Prozent).

Viele Menschen haben sich damit noch nicht befasst. "Das fällt vermutlich deshalb schwer, weil Sterben oder der Tod zu den großen Tabuthemen dieser Gesellschaft gehören", erklärt Lob-Hüdepohl. Es sei "kein attraktiver Gedanke".

Die Hirntod-Debatte

Viele Menschen sind verunsichert, ob der Hirntod ein sicheres Kriterium für eine Organentnahme ist - immerhin müssen ja Maschinen die Organe für eine Transplantation funktionsfähig und am Leben halten.

Sowohl Ethiker Lob-Hüdepohl als auch Mediziner Lippert sagen dazu: Der Hirntod ist unumkehrbar, alle Funktionen des Körpers fallen vollständig aus. Zwar könne man noch nicht von einem Leichnam sprechen, so der Ethiker, aber: "Das Hirn ist tot, es handelt sich um einen ersterbenden Körper." Der Tod werde nicht durch die Organentnahme herbeigeführt.

Und auch Mediziner Lippert bekräftigt: "Die naturwissenschaftlichen Untersuchungen zum Hirntod sind sehr umfassend." In Deutschland gelten "mit die schärfsten Bestimmungen".

Anhand konkret vorgegebener Messungen, etwa der Pupillen-, Atem- und Schmerzreflexe, diagnostizieren zwei erfahrene Mediziner unabhängig voneinander und zu zwei Zeitpunkten den Hirntod. Dass jemand fälschlicherweise für hirntot erklärt wurde, sei in Deutschland noch nicht vorgekommen.

Mit Organspende befassen

Ethiker Andreas Lob-Hüdepohl und Mediziner Hans Lippert appellieren, sich mit dem Thema zu befassen und die Entscheidung mitzuteilen oder festzuhalten, etwa auf einem Organspendeausweis - oder in einem Register, für dessen Einführung sich beide aussprechen. Dies entlaste auch die Angehörigen, gibt Lippert zu bedenken.

Lob-Hüdepohl stellt klar, dass es keine ethische Verpflichtung gebe, Organe zu spenden. "Ich kann mich verpflichtet fühlen, Organe zu spenden und damit potenziell das Leben eines anderen zu retten, aus dem Bewusstsein, dass ich mein Leben anderen verdanke."

Position der kfd: Organspende ist ein freiwilliger Akt

1. Welche Position zur Organspende vertritt die kfd?

Die kfd ist für eine Beibehaltung der aktuellen Zustimmungslösung. Es entspricht der Würde des Menschen, dass ihm nur Organe entnommen werden, wenn es eine Zustimmung dafür gibt.

Der Verband setzt sich zudem für eine umfassende, ergebnisoffene Aufklärung über den gesamten Vorgang einer Spende und die Konsequenzen für alle Beteiligten ein. Dazu gehört auch, dass sich die Zustimmung zu einer Spende nicht immer mit den Angaben (Wünschen) in einer Patientenverfügung deckt - etwa hinsichtlich lebenserhaltender Maßnahmen.

2. Woran orientiert sich die Haltung der kfd?

Die kfd orientiert sich an dem Gebot der unabdingbaren Würde des Menschen, die bis in den Tod gilt. Daraus ergibt sich, dass eine Spende nie ohne ausdrückliche Zustimmung erfolgen kann und dass niemand ein Recht auf ein Organ hat. Es ist ein freiwilliger Akt, der eine Ausdrucksform der Nächstenliebe sein kann.

3. Empfehlung für kfd-Mitglieder 

Jede Frau sollte sich über das Thema informieren und sich eine eigene Meinung bilden. Gut ist, die Entscheidung den Angehörigen mitzuteilen. Eine Willenserklärung für oder gegen eine Organspende auf einem Organspendeausweis entlastet Angehörige davon, im Todesfall die Entscheidung treffen zu müssen.

Ausführliche Informationen zur kfd-Position und Materialien zum Thema: www.kfd.de/organspende

Dieser Text wurde am 31. Mai 2021 aktualisiert.

Stand: 31.05.2021