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Serie: Meine wichtigste Bibelstelle

Bibelverse können berühren, ermutigen, verwundern, bereichern. Was bedeuten sie aber jeder und jedem Einzelnen? In unserer neuen Serie haben wir Theologinnen und Theologen gebeten, uns ihre wichtigste Bibelstelle zu nennen und zu erklären, was sie daran fesselt und begeistert.  

Alle Folgen im Überblick

Fehler machen erlaubt: Den guten Willen erkennen

Folge 8: Sr. Katharina Kluitmann, Provinzoberin der Franziskanerinnen von Lüdinghausen und Vorsitzende der Deutschen Ordensobernkonferenz

MK 3, 22-30

Da sagten die toragelehrten Frauen und Männer, die aus Jerusalem herabgekommen waren: "Er trägt Beëlzebul in sich und durch das Oberhaupt der Dämonen befreit er von Dämonen."

Er rief sie herbei und sprach sie in Gleichnissen an: "Wie kann Satan einen anderen Satan vertreiben? Immer wenn ein Machtbereich durch innere Streitigkeiten gespalten ist, kann ein solcher Machtbereich nicht bestehen bleiben. Und wenn ein Haus durch innere Streitigkeiten gespalten ist, kann ein solches Haus nicht bestehen bleiben. Und wenn Satan gegen sich selbst aufsteht und in sich gespalten ist, kann er nicht bestehen bleiben, sondern es hat ein Ende mit ihm.

Vielmehr: Keine Person kann in das Haus starker Menschen eindringen, um ihre Habseligkeiten zu stehlen, ohne vorher die Starken zu fesseln. Erst dann wird sie das Haus der Starken ausrauben. Ja, ich sage euch: Alles wird den Menschenkindern erlassen werden, ungerechtes Tun und Schmähreden, soviel sie auch gotteslästerlich reden mögen. Wer aber gegen die heilige Geistkraft spottet, findet in Ewigkeit keine Vergebung, sondern bleibt auf ewig Gott fern." Denn sie hatten gesagt: "Er hat einen unreinen Geist".

Fast hätte ich beim Lesen des Titels die Anfrage für diesen Beitrag schon abgelehnt. Eine einzige wichtigste Bibelstelle? Habe ich nicht.

Meine wichtigste Bibelstelle wechselt. Mit meinem Leben. Mit der gelebten und lebendigen Beziehung zu Gott. Mit Aufgaben, die sich mir stellen. Und weil ich oft mehrere Aufgaben gleichzeitig habe, gibt es meist mehrere wichtigste Bibelstellen.

Eine davon ist gerade Mk 3,22-30. Die Stelle habe ich nie gemocht. Nie wirklich verstanden. Allen klugen Erklärungen zum Trotz. Sie hat mich geärgert.

Wie gut, dass Stellen immer mal vorkommen in der Liturgie. Diese war Ende Januar 2020 dran - und ich an der Reihe, sie im öffentlichen Nachtgebet meiner Gemeinschaft auszulegen. Montags. Donnerstags begann die erste Vollversammlung des Synodalen Weges, an dem ich teilnehme. An diesem Montag wurde sie "wichtigste Bibelstelle". Ohne theologische Klimmzüge. Ohne Mühe. Ich wusste, was ich predigen würde. Die Stelle öffnete sich mir von selbst.

Die Geschichte: Jesus befreit Menschen "von Dämonen". Lese ich von Dämonen, höre ich Helmut Merklein, meinen Lieblings-Bibelwissenschaftler, uns, seinen Student*innen, sagen:

"Meine Damen und Herren, heute sprechen wir über eine Dämonen-Austreibung. Ich weiß, Sie haben Schwierigkeiten mit Dämonen. Jesus nicht, er hat sie einfach ausgetrieben." Also: Jesus treibt Dämonen aus. Super, könnte man sagen. Er befreit Menschen. Toll für die Menschen. Ein Beweis seiner göttlichen Macht. Seine Gegner aber machen daraus einen Vorwurf.

Unterstellen ihm, das sei Teufelszeug. Mit Vergleichen zeigt Jesus, dass das absurd ist. Er zeigt: Spaltung schwächt die Gemeinschaft. Und dann kommt der entscheidende Satz: "Alle Vergehen und Lästerungen werden den Menschen vergeben werden, so viel sie auch lästern mögen; wer aber den Heiligen Geist lästert, der findet in Ewigkeit keine Vergebung, sondern seine Sünde wird ewig an ihm haften."

Einfach weiter so, geht nicht. 

Das ist die Frage der Theolog*innen, was das ist, diese "Sünde wider den Heiligen Geist"? Wie "lästert man den Heiligen Geist"? Der letzte Satz des Evangeliums öffnete mir an diesem Montag die Augen: "Sie hatten nämlich gesagt: Er ist von einem unreinen Geist besessen." Ich übersetze: "Macht Fehler. Irrt. Seid ruhig auch mal ärgerlich. Schimpft. Eins aber dürft Ihr niemals tun: den anderen den Heiligen Geist absprechen; den guten Willen absprechen; den anderen verteufeln. Das ist unverzeihlich."

Wir leben in Zeiten, in denen verschiedene Optionen offenstehen. Einfach weiter so, geht nicht. Da sind sich sogar fast alle einig. Aber wie genau weitergehen? In der Klimapolitik, im Umgang mit Flucht und Migration, in der Corona-Pandemie, in der Kirche.

Meine Verantwortung jetzt in der Kirche sagt mir, dass es gerade da gilt, in der Gemeinschaft, die sich auf den Heiligen Geist beruft. Wir dürfen, auch in der Kirche, ruhig Fehler machen. Wir können - und werden! - irren. Wir ärgern uns über andere. Manchmal im Nachhinein sogar über uns selbst. Wir schimpfen. Okay. Aber es gibt eine Grenze. Wer den anderen den guten Willen abspricht, der versündigt sich.

Eins geht nicht, ist ein "No-Go": den anderen verteufeln. Da liegen oft Welten zwischen unseren Vorstellungen, auch im Synodalen Weg, in den Debatten über die Kirchenreform. Aber wir haben alle den Geist. Den Heiligen Geist. Den Geist Jesu. Wenn wir darauf vertrauen, uns dahinein bekehren, dann, und nur dann, haben wir eine Chance.

Es gibt einen für mich faszinierenden Text des Heiligen Ignatius, des Gründers der Jesuiten. Oft genug hatte man ihm in der Inquisition den Geist abzusprechen versucht. In einer konkreten Frage waren er und ein Mitbruder gegenteiliger Meinung. Da hinein schreibt Ignatius ihm: "Bei alledem hielt ich daran fest und tue es auch jetzt noch: Auch wenn es der Wille Gottes ist, dass ich mich auf diesen Standpunkt stelle, während andere die gegenteilige Stellung einnehmen (...), so bedeutet das keinerlei Widerspruch. Denn es kann wohl sein, dass der gleiche Geist Gottes mich aus gewissen Gründen zu dem einen drängt und andere zum Gegenteil." (Brief 213).

Vieles kann nebeneinander stehen

Indem wir voneinander annehmen, dass in uns der Heilige Geist wirkt, werden unsere Debatten anders. Oder doch Konjunktiv? Wenn wir voneinander annähmen, dass in der anderen Person und Seite der Geist wirkt, würden unsere Debatten anders. Konjunktiv? Irreal?

Das liegt ganz an uns! Wenn wir von den anderen annehmen, dass in ihnen der Geist wirkt, schwächen wir die Gemeinschaft nicht, sondern stärken sie. Wir befreien Menschen und freuen uns über Befreiung, statt sie zu verdächtigen. Vieles kann nebeneinander stehen. Das ist katholisch. Schauen Sie nur auf die vielen Orden und Lebensformen in der Kirche, seit Jahrhunderten!

Vieles kann sich wandeln. Was heute wichtig war, ist es morgen vielleicht nicht mehr. Was für den einen gerade das wichtigste ist, ist es für die andere vielleicht gerade nicht. Das ist Leben. Nur eins geht nicht: einander verteufeln. Ich mag die Formulierung der Quäker. "Das von Gott in Dir", sagen sie. Das anerkennen. Und damit Gott! Dann verschwinden die Dämonen. Auch heute. Und Menschen finden ihre Freiheit. Auch in der Kirche. Das ist Jesu Geist. Und der ist der Wichtigste.

Stand: 31.08.2020