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Lachen, streiten, versöhnen, lieben

Die Geschichte der Schauspielschwestern Gerit und Anja Kling spiegelt auch ein Stück deutscher Geschichte.

Von Janina Mogendorf

Die Geschwisterbeziehung ist die längste und vielleicht auch die ehrlichste des Lebens. Viele Schwestern erleben Höhen und Tiefen und erkennen, dass genau das ihre Verbindung stärker macht. So wie die Schauspielerinnen Gerit und Anja Kling.

Sie teilen nicht nur den Beruf und den Familiennamen, sie teilen auch eine besondere Geschichte, deren prägendste Momente sich im November 1989 abspielten. In ihrem Buch "Dann eben ohne Titel" erzählen sie offen von ihren Erfahrungen.

Gerit Kling kommt 1965 im thüringischen Altenburg zur Welt. Ihre Schwester fünf Jahre später in Potsdam. Gerit kümmert sich von Anfang an rührend um Anja, nimmt sie später sogar zu Verabredungen mit. Beide sind eng verbunden.

"Kein Blatt passte zwischen uns", beschreibt es Gerit. Das Familienleben gestaltet sich liebevoll und abwechslungsreich. Die Eltern sind noch jung. Mutter Margarita ist Kunsterzieherin, Vater Ulrich arbeitet im Filmstudio Babelsberg. Beide geben ihren Mädchen viel Raum zur Entfaltung.

Vor allem die frechen und kreativen Aktionen der älteren Schwester prägen den Alltag. Gerits wilde dunkle Locken sind wie ein Ausdruck ihres Wesens. Während Anja von jeher eher durchdacht und zurückhaltend agiert, folgt Gerit mit viel Impulsivität den Eingaben ihrer Schauspielernatur.

Motiviert von ihrer Oma Annemarie, die das Theater und das Kabarett liebt, gehören Rollenwechsel und Aufführungen zum Familienalltag. Ebenso gemeine Aprilscherze, mit denen vor allem Gerit ihre Familie oft an den Rand der Verzweiflung bringt.

"Ich hatte eine große Freude daran, alle an der Nase herumzuführen, und dachte mir irrwitzige Geschichten aus." So schafft sie es, ihren Mitschülern und Lehrern in tiefsten DDR-Zeiten weiszumachen, sie habe eine Rolle in der US-Serie "Starsky & Hutch" und dürfe für den Dreh ausreisen.

Während Gerit aus allen Poren Schauspieltalent atmet und mit fünf Jahren schon in einer Hauptrolle vor der Kamera steht, sind Anjas Vorstellungen weniger klar. Anders als Gerit, die die Schulzeit einfach nur hinter sich bringen will, ist sie eine gewissenhafte und gute Schülerin.

Eine Zeit lang will sie Medizin studieren, auch Forschung steht auf ihrem Plan. "Ich werde die sein, die ein Mittel gegen Krebs entdeckt", malt sie sich ihre glorreiche Zukunft aus.

Gerit sorgt schließlich dafür, dass es ganz anders kommt. Mit 18 bewirbt sich die ältere Kling-Schwester an allen renommierten Schauspielschulen der DDR und besteht sämtliche Aufnahmeprüfungen.

Du siehst mir ein bisschen ähnlich. Du musst für mich einspringen."

Sie entscheidet sich für die Ernst-Busch-Schule in Berlin und teilt den Jahrgang mit Jan Josef Liefers und Simone Thomalla. Neben dem Studium, das Gerit in vollen Zügen genießt, übernimmt sie eine Rolle bei einem Straßentheater und tourt als Grete mit dem Stück "Hans Wurst" durch Berlin.

Als sie zeitgleich ein Rollenangebot für einen Film erhält, eröffnet sie ihrer 16-jährigen Schwester: "Du siehst mir ein bisschen ähnlich. Du musst für mich einspringen." Anja ist entsetzt, sieht sich nicht als Schauspielerin. Aber Gerit lässt sich nicht beirren.

Mit einem "Ist doch gar kein Problem. Das lernst du!" besiegelt sie die Zukunft ihrer Schwester. Nach einem Crash-Kurs im Wald, bei dem sie Anja die Rolle einimpft, übernimmt diese tatsächlich acht Vorstellungen als Grete. Und Gerit werkelt weiter an der Zukunft ihrer Schwester, schickt ohne ihr Wissen eine Bewerbung an eine Berliner Ballettschule, die Anja trotz fehlender Vorerfahrung aufnimmt.

Sie trainiert dort ein Jahr, bevor sie sich 1987 entscheidet, doch Abitur zu machen. In dieser Zeit übernimmt Anja erstmals eine Hauptrolle: Der Film "Grüne Hochzeit" macht sie einem breiten Publikum bekannt.

Die DDR engt Gerit ein

Dann kommt das Jahr 1989, Anja steht kurz vor ihrem Abschluss, es herrscht Unruhe im Land. Sie selbst blickt immer wieder sehnsuchtsvoll Richtung Westen. Mutter Margarita rät: "Ihr müsst schauen, dass ihr rauskommt", aber Anja kann sich nicht vorstellen, ihre Eltern jemals zu verlassen.

Dennoch hadert sie mit dem Regime, begehrt in der Schule gegen den kommunistischen Drill auf und kassiert beinahe einen Verweis. Gerit entwickelt großes Fernweh. Sie will reisen, die DDR engt sie ein.

Als Ungarn im Sommer die Grenze zum Westen öffnet, verschwinden immer mehr junge Leute aus dem Freundeskreis. Auch die Schwestern besorgen sich ein Visum, unternehmen aber nichts. 

Einige Wochen später dreht Anja gerade eine DDR-Fernsehserie, Gerit spielt am Staatstheater Schwerin. Es ist der 4. November, sie probt für "Die Ritter der Tafelrunde", als die Tschechen die Grenze öffnen. "Das war's jetzt", denkt Gerit panisch. "Sie riegeln uns komplett ab. Wir müssen hier raus."

Sie fährt mit ihrem Freund zu ihrer Schwester und sagt: "Wir gehen auf jeden Fall. Kommst du mit?" Auch Anjas Freund ist dafür, sie selbst zutiefst verunsichert. 

Da ist die Angst, alles zu verlieren. "Ich stand völlig neben mir, in Tränen aufgelöst." Als sie in den Trabi steigt, ist es eine Entscheidung für ihre Schwester. Zu viert schaffen sie es, als Winterurlauber getarnt, über die Grenze. 

Die Stimmung ist gedrückt, Anja ängstlich und noch immer völlig verzweifelt. Als sie die deutsche Grenze überqueren, werden sie überschwänglich empfangen. Alle lachen, liegen sich in den Armen. 

Nur Anja trauert um ihre Familie. Die Zeit im Aufnahmelager, das Anstehen für die Papiere, der ersehnte Anruf bei den Eltern, bei dem sie nur in den Hörer weint ? das alles erlebt sie wie in Trance.

Die Mauer ist auf!

Gerit, die Pragmatische, kümmert sich, zieht die Schwester mit. Am fünften Tag dann die Nachricht, mit der niemand gerechnet hat: Die Mauer ist auf! "Freude, Jubel, Unglauben, Chaos, Gewitter im Kopf", all das stürzt auf Anja ein. 

Die vier fliegen nach West-Berlin. Während Gerit noch mit der Tragweite dessen ringt, was da gerade passiert, fühlt Anja sich vom Anblick des Westens ernüchtert. "Drüben in Westberlin scheint immer die Sonne," hatte sie beim sehnsüchtigen Blick Richtung Sonnenallee jedes Mal gedacht. Nun stellt sie fest, dass im Westen auch November ist und die Straßen ebenso kalt, grau und verregnet. 

Bis heute ist Anja Kling nicht sicher, ob sie noch einmal fliehen würde. Seit Jahren ist sie eine bekannte Schauspielerin, hat in mehr als hundert Film- und Fernsehproduktionen mitgewirkt.

Auch Gerit, die geborene Schauspielerin, steht noch auf der Bühne und vor der Kamera. Aber aus der lauteren Schwester ist, zumindest beruflich, die leisere geworden.

Gerit kann mit dem Erfolg der Jüngeren nicht mithalten und sagt aus heutiger Sicht: "Unser Beruf ist der schönste Beruf der Welt, wenn er funktioniert, und der grausamste, wenn er nicht funktioniert."

Fast zwei Jahrzehnte wohnen die Schwestern mit ihren Familien im Nachbarhaus der Eltern: Anja oben, Gerit unten. Die ersten Jahre verlaufen sehr harmonisch, doch irgendwann fordert die berufliche Schieflage ihren Tribut: Die Konflikte zwischen den Schwestern nehmen zu, private Krisen zerren an den Nerven, bis es nur noch ein Nebeneinanderher gibt.

Mit 50 reicht es Gerit. Sie braucht einen Cut und zieht mit ihrem neuen Partner um, bereit für die nächste Lebensphase. Und die Schwestern?

Finden nach und nach wieder zueinander. "Manchmal bringt Distanz das richtige Maß an Nähe", sagt Gerit. "Wir lachen, streiten, versöhnen und lieben uns wie zu unseren besten Zeiten." Und Anja ist überzeugt: "Es wird sicher bis an unser Lebensende so bleiben."

Alle Folgen der Serie "Schwesterherz"

Stand: 28.09.2020