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Die Kraft der Seelenruhe

Wie es gelingen kann, gelassener durchs Leben zu gehen 

Von Jutta Oster

Das Lebenstempo hat zugenommen - um so wichtiger ist es, sich in Gelassenheit zu üben. Gelassene Menschen bleiben souverän, auch wenn es mal schwierig wird. Sie lassen sich durch nichts aus der Ruhe bringen und stehen zu sich selbst. Nur ein Ideal? Ja, aber eines, nach dem es sich zu streben lohnt, denn Gelassenheit lässt sich trainieren. Wichtige Zutaten: Humor, Achtsamkeit und ein großzügiger Umgang mit den eigenen Fehlern und Schwächen - ebenso wie mit denen der anderen.

Es ist ein Wort, das auf mich magische Anziehungskraft hat: Seelenruhe. Wie schön wäre es, seelenruhig durchs Leben gehen zu können! Als "unerschütterliche Ruhe" oder "Gemütsruhe" umschreibt der Duden das Wort.

Leider bin ich, Hand aufs Herz, von unerschütterlicher Ruhe im Alltag oft meilenweit entfernt. Etwa dann, wenn sich die Arbeitsaufträge auf meinem Schreibtisch stapeln (wenn sie ausbleiben aber auch!).

Wenn Laptop oder Smartphone mich im Stich lassen, wenn mir ein Auto auf der Straße die Vorfahrt nimmt, wenn meine E-Mails und Anrufe unbeantwortet bleiben, wenn ein Handwerker mich versetzt ...

Auch das Zitat der Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach, "Die Gelassenheit ist eine anmutige Form des Selbstbewusstseins", das ich auf eine Tafel in unserer Küche geschrieben habe, ist bislang eine Art Vorsatz geblieben. Noch immer kämpfe ich mit den "Daily hassles", wie Psychologen die kleinen Widrigkeiten und Ärgernisse des Alltags nennen.

Gelassenheit fehlt wohl vielen Menschen. Anders ist kaum das Ergebnis von Studien zu erklären, die belegen, dass in Deutschland zahlreiche gestresste Menschen leben. So hat etwa die "Stress-Studie 2016" der Techniker Krankenkasse gezeigt, dass sechs von zehn Erwachsenen sich ständig unter Strom fühlen - Frauen etwas häufiger als Männer.

Wie beruhigend ist es da, dass Sabine Asgodom, Managementtrainerin, Coach und Autorin, zugibt, sich früher auch über viel zu viel aufgeregt zu haben, und heute mit mehr Leichtigkeit durchs Leben gehen kann.

"Um ehrlich zu sein, war ich die Frau mit zwei Macheten in der Hand. Man wird sehr einsam so. Auch Freunde ziehen sich verschreckt zurück. Aber mehr als das: Jedes Mal löste das Sich-Aufregen einen Adrenalinschub aus - schlecht fürs Herz, schlecht für den Magen, schlecht für die Leber. Irgendwann merkte ich, dass meine Attacken mich viel Energie kosteten, ja, mir schadeten, aber in Wirklichkeit wenig veränderten."

Warum ist es so wichtig, mit Leichtigkeit und Gelassenheit durchs Leben zu gehen?

Wer gelassen bleibt, wahrt einen kühlen Kopf und kann auch in schwierigen Zeiten besonnen reagieren, hält sich alle Handlungsspielräume offen. Diese Erfahrung macht selbstbewusst und optimistisch.

Wer dagegen die Machete auspackt, wie von Sabine Asgodom beschrieben, wer sich aufregt, womöglich ausrastet, ist seinen Gefühlen ausgeliefert, blockiert sich selbst, trifft leicht falsche Entscheidungen und verletzt andere Menschen.

Damit verschlimmert sich die Situation oftmals noch. Selbstzweifel und innere Unruhe nehmen zu. Oder wie es der amerikanische Schriftsteller Thornton Wilder formuliert: "Der Gelassene nützt seine Chance besser als der Getriebene."

Zugegeben, Gelassenheit ist ein Ideal, und in unserer modernen Gesellschaft ist es noch schwieriger geworden, innerlich ruhig zu sein. Das Lebenstempo hat zugenommen, die Arbeitsbelastung ist gestiegen, die Zahl der Reize, die auf uns einströmen, hat sich - etwa durch das Smartphone - vervielfacht.

Dennoch lässt sich Gelassenheit trainieren, davon ist Sabine Asgodom überzeugt: "Wir denken oft, Gelassenheit ist ein Charakterzug. Man hat ihn oder hat ihn nicht. Nach meiner Erfahrung ist Gelassenheit eher eine Lebenseinstellung: Wenn ich will, rege ich mich auf. Wenn ich nicht will, lasse ich es. Wir können uns tatsächlich entscheiden, gelassener durch Leben zu gehen."

Für die Managementtrainerin gehört dazu zu verstehen, warum Menschen etwas tun - und das Anderssein des anderen auszuhalten. "Meine Erkenntnis: Niemand tut etwas ohne Grund. Der Mensch, der sich an der Kasse vordrängelt, hat einen Grund. Ich kann diesen missbilligen. Aber ich muss deswegen nicht ausrasten."

Leichter wird dieses Verständnis für andere Menschen mit einer guten Portion Großzügigkeit, für Sabine Asgodom einer der Schlüssel zu mehr Gelassenheit und Lebensfreude.

Großzügigkeit kann bedeuten, anderen etwas zu gönnen, zu helfen und sich helfen zu lassen, andere zu fördern, sich mit ihnen zu freuen, fair zu kritisieren, Kritik einzustecken und zu verzeihen.

"Es gehört also eine ganze Menge Großmut dazu, ein offenes Herz und eine offene Hand", sagt die Autorin und Trainerin. "Dabei geht es nicht nur um materielle Großzügigkeit, sondern viel mehr noch um emotionale. Es geht um Freigebigkeit und Nachsichtigkeit statt Geiz und Neid."

Großzügigkeit bedeutet aber auch, mit sich selbst freundlich umzugehen und die eigenen Schwächen und Fehler zu akzeptieren, sich selbst nicht innerlich zu kritisieren und nicht allzu streng Rückschau auf das eigene Leben zu halten. Dabei hilft auch Humor, ebenfalls ein wichtiger Baustein der
Gelassenheit. Er kann dazu beitragen, Abstand zur eigenen Situation zu gewinnen und neue Lebensfreude zu gewinnen.

Neben Humor und Großzügigkeit ist für Sabine Asgodom Achtsamkeit ein wichtiger Schlüssel zur Gelassenheit, verstanden als Aufmerksamkeit für die feinen Signale des Körpers, die anzeigen, wenn etwas im eigenen Leben ins Ungleichgewicht geraten ist.

Sie rät dazu, die eigenen Empfindlichkeiten bewusst anzuschauen. "Wenn ich weiß, welches Päckchen ich mit mir herumschleppe und wenn ich vor allem die Ursachen herausgefunden habe, entschärfe ich damit quasi meinen Kränkungsknopf, ein großer Schritt in Richtung Gelassenheit!"

Ihr Akut-Tipp für besonders stressige Situationen ist die Übung: "Drei Minuten blöd vor sich hingucken." Dabei entzieht man sich dem Stress, indem man sich einen ungestörten Platz sucht, den Körper lockert, die Augen auf unscharf stellt und die Gedanken einfach fließen lässt. Danach ist der Kopf wieder klar und der Blick weit - eine gute Voraussetzung für gelassene Entscheidungen.

Zum Weiterlesen:

  • Sabine Asgodom, Zwölf Schlüssel zur Gelassenheit. Goldmann, München 2008
  • Alain de Botton, Gelassenheit. Zeit für ein gutes Leben. Süddeutsche Zeitung Edition, München 2018
Stand: 28.08.2018