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Wider die einfachen Wahrheiten

Wie es gelingen kann, in politisch unruhigen Zeiten Haltung zu bewahren

In den USA hat Donald Trump die Präsidentschaftswahl gewonnen, in Europa erstarken radikale Parteien, in Deutschland ist die AfD in zehn Landtagen vertreten - populistische Bewegungen mit einfachen Weltbildern breiten sich aus. Was man ihnen entgegensetzen kann, erklärt Andreas Zick, Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld, im Interview mit Jutta Oster.

Welche Ursachen hat der Rechtspopulismus Ihrer Analyse nach?

Andreas Zick: Auch wenn wir ihn als ein aktuelles Phänomen wahrnehmen - er hat sich über einen längeren Zeitraum entwickelt. Schon während der Europawahlen im Jahr 2014 haben rechte Parteien einen Aufschwung erfahren. Eine wichtige Ursache hat der Rechtspopulismus, der den nationalen Charakter betont, sicher in der Globalisierung.

Wir stellen in unseren Studien fest, dass populistische Strömungen vor allem dann aufkommen, wenn es viele Konflikte und Kriege in der Welt gibt. Menschen geben die Verantwortung für ihre Sicherheit und ihren Wohlstand gern an eine Institution wie den Staat ab. Entsteht der Eindruck, dass der Staat die Lage nicht mehr unter Kontrolle hat, beispielsweise bei der außergewöhnlich hohen Zuwanderung 2015, wächst das Gefühl von Ohnmacht - der Nährboden für Rechtspopulismus. Die Wut, die wir heute sehen, ist eine Folge dieser Ohnmachtsgefühle.

Wie stark sind anti-demokratische Einstellungen inzwischen in der deutschen Gesellschaft verbreitet?

 Einerseits ist nach unserer aktuellen Studie 2016 die Mehrheit stolz auf die Demokratie und findet, dass sie das beste politische System ist. Andererseits wächst das Misstrauen gegenüber der Demokratie, insbesondere gegenüber den Politikern, die sie repräsentieren. Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger glaubt, dass die Demokratie eher zu faulen Kompromissen als zu sachgerechten Entscheidungen führe. Die Staatsform Demokratie ist in Gefahr, weil viele Menschen sie nicht mehr als etwas sehen, für das sie selbst mitverantwortlich sind. Vielmehr beurteilt man die Demokratie danach, ob sie "liefert", ob sie das eigene Vorankommen sichert.

Erkennen Sie eine Entfremdung zwischen den etablierten Parteien und den Menschen in Deutschland?

Ja, sehr deutlich. Politik kommt vielen Menschen inzwischen als weit weg von ihrem Lebensalltag vor. Es gibt eine Entfremdung, die Rechtspopulisten erfolgreich nutzen und verstärken, wenn sie die politischen Eliten als Feind darstellen. Die Entfremdung zeigt sich auch auf europäischer Ebene - ein Signal dafür, dass die EU nach wie vor eine Währungs-, aber keine Werteunion ist. Es sollte mehr in politische Bildung, in Demokratiekompetenz investiert werden. Auch müssen Menschen wieder stärker das Gefühl bekommen, ihren Platz in der Gemeinschaft zu haben. Bürgerinnen und Bürger, die sich ausgegrenzt fühlen, sind offener für radikale Ideen.

Die Friedenspreisträgerin Carolin Emcke sagte, sie habe es nicht für möglich gehalten, dass in unserer Gesellschaft jemals wieder öffentlich so gehasst werden könnte. Rechts­extremistische Straftaten und Beleidigungen haben in Deutschland stark zugenommen. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Tatsächlich erleben wir ein Maß an Gewalt in Deutschland wie in keinem anderen europäischen Land, und das steht nicht in Zusammenhang mit der Zahl der Menschen, die bei uns Asyl suchen. Schon vor zwei Jahren, mit dem Aufkommen von Pegida, hat unser Institut vor Radikalisierungstendenzen gewarnt.

Wir leben in einer Gesellschaft, in der viele Menschen versuchen, durch die Abwertung anderer die eigene Integration zu sichern. Dabei bedient man sich auch menschenverachtender Vorurteile gegenüber Minderheiten, beispielsweise gegenüber Flüchtlingen, oder baut gemeinsame Feindbilder, etwa gegen die Religion des Islam, auf. Wir unterschätzen, wie wirkmächtig diese menschenverachtenden Vorurteile sind. Sie bereiten diskriminierende Äußerungen und Gewalttaten erst vor.

Wie hoch schätzen Sie die Zustimmung zu rechten Gesinnungen in Deutschland ein?

Nach unseren Befragungen gehen wir davon aus, dass etwa 20 Prozent der Deutschen rechtspopulistische Überzeugungen vertreten. Das heißt aber auch, dass die Mehrheit der Menschen weiterhin an die Werte unserer Zivilgesellschaft glaubt. Noch mehr Menschen vertreten nach unserer Studie "Gespaltene Mitte - feindselige Zustände" sogenannte neurechte Einstellungen. Etwa 28 Prozent äußern abwertende Meinungen gegen das angebliche Establishment, finden, man müsse Widerstand gegen die Politik zeigen. Sie unterstellen, dass man die Meinung hier nicht sagen dürfe, glauben an eine Islamverschwörung und sind für eine nationale Rückbesinnung gegen die EU. 

Welche Rolle spielen bei dieser Entwicklung das Internet und soziale Medien?

Das Internet spielt eine wichtige Rolle. Zum einen lassen Vorurteile und Feindbilder sich darüber schnell verbreiten, zum anderen können gerade soziale Medien zur Radikalisierung beitragen, weil sie die Chance bieten, Menschen an eine Bewegung zu binden und zu mobilisieren. Gerade bei jüngeren Menschen ist die Trennung zwischen der realen und der virtuellen Welt nahezu aufgehoben. Im Internet entwickeln sich dadurch Parallelgesellschaften, vor denen wir viel zu lange die Augen verschlossen haben.

Wie kann eine Zivilgesellschaft der Radikalisierung entgegentreten?

Indem wir demokratische Tugenden aufrechterhalten, und dazu zähle ich vor allem Toleranz und Wertschätzung als grundlegende Haltung gegenüber jedem Menschen. Und indem wir lernen, was Zivilcourage ist: Für mich gehört dazu, die Aufmerksamkeit wachzuhalten und Verantwortung für andere Menschen zu übernehmen, statt sie an "die da oben" zu delegieren. Zu überlegen, was ich selbst für eine Gesellschaft leisten kann. Schon mit dieser Haltung kann man anecken. Wir merken jetzt, dass der Rechtspopulismus in ganze Familien oder Freundeskreise einbricht - auf diese Konflikte waren wir nicht vorbereitet.

Wie kann man bei Konflikten Haltung bewahren? Menschen etwa, die ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe tätig sind, berichten immer wieder von Anfeindungen.

Es ist wichtig, Wissen über Konflikte zu haben und zu hinterfragen, was hinter den Anfeindungen steckt - häufig nur der Neid darauf, dass jemand in seiner Freizeit etwas so Sinnstiftendes leistet. Indem jemand diese Arbeit abwertet, entlastet er sich selbst. Wer das im Hinterkopf hat, kann sich vor Angriffen besser schützen. Ehrenamtlich Tätige sollten sich unbedingt auch ein Netzwerk schaffen aus Menschen, auf die sie sich verlassen können, bei denen sie sich auch mal ausweinen oder schimpfen können.

2017 steht die Bundestagswahl an. Was kann die Politik leisten, um rechten Tendenzen entgegenzutreten?

Ich glaube fest daran, dass Wahrhaftigkeit hilft: Politikerinnen und Politiker müssen den Mut aufbringen zu sagen, dass wir Integrationsprobleme in Deutschland haben. Sie sollten aufhören, den Rechtspopulisten nachzulaufen oder ihre Themen zu bekämpfen. Die hohe Zuwanderung im Jahr 2015 war eine Herausforderung für Deutschland, aber wer A sagt, muss auch B sagen - wer ein Einwanderungsland sein will, muss jetzt die Voraussetzungen für gelingende Integration schaffen.

Welche Schritte sind notwendig,um die Integration voranzubringen?

Wir müssen die Wirtschaft stärker in die Pflicht nehmen, Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren, und weiter in Bildung investieren. Eine gelingende Integration braucht aber auch einen langen Atem, wir müssen mit etwa sieben bis zehn Jahren rechnen.

Welche Rolle können dabei Verbände übernehmen, die sich gesellschaftlich engagieren, beispielsweise die kfd?

Sie sind für die soziale Integration von Menschen unverzichtbar, gerade in ländlichen Regionen. In der Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus haben die Kirchen und kirchlichen Verbände noch mehr an Bedeutung gewonnen. Denken Sie nur daran, dass der Kölner Dom während der Pegida-Demonstration dunkel blieb. Hier zeigt sich, dass man im gesellschaftlichen Konflikt durch Courage gewinnt.

Stand: 20.12.2017