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Schöne neue Welt?

Die Genomchirurgie eröffnet der Forschung neue Möglichkeiten, wirft aber auch Fragen auf

Von Jutta Oster

Die Genschere, eine Methode der Biomedizin, ermöglicht es erstmalig, in das Erbgut eines Menschen einzugreifen. Für die Wissenschaft ist das ein Durchbruch. Doch was bedeutet es, wenn der Mensch genetische Veränderungen durchführen kann? Welche Risiken sind damit verbunden? Wie ist die Genomchirurgie aus ethischer Sicht zu bewerten? Ein Überblick über den gegenwärtigen Stand der Debatte.

Die Meldung, die Anfang August durch die Nachrichten gegangen ist, hat die Welt der Wissenschaft geradezu elektrisiert, aber auch aufgeschreckt und empört: Erstmals war es Genforschern in Portland im US-Bundesstaat Oregon gelungen, einen Gendefekt bei einem menschlichen Embryo zu beheben.

Chinesische Forscher hatten bereits vor zwei Jahren einen ähnlichen Versuch unternommen, allerdings mit weniger Erfolg als die amerikanischen Kollegen. Diese setzten dabei die sogenannte Genschere CRISPR-Cas 9 ein, eine Art Reparaturwerkzeug, das präzise Eingriffe in das menschliche Erbgut ermöglicht.

Bei der Methode, die man als "Genomchirurgie" oder "Genome Editing" bezeichnet, können Gene - vereinfacht gesagt - ausgeschnitten, verändert und eingefügt werden. Die beiden Entdeckerinnen des biomedizinischen Verfahrens, die Französin Emmanuelle Charpentier vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin und die US-Amerikanerin Jennifer Doudna von der University of California in Berkeley, waren als sichere Anwärterinnen auf den Nobelpreis gehandelt worden.

 

"Zauberschere" wird CRISPR-Cas 9 in den Medien auch genannt, entsprechend große Erwartungen sind mit ihr verbunden. Noch handelt es sich bei der Genomchirurgie lediglich um Grundlagenforschung, doch irgendwann soll sie auch in der Medizin eingesetzt werden, um schwere Erkrankungen wie Krebs oder Aids und Erbkrankheiten wie Muskelschwund, Chorea Huntington oder Mukoviszidose zu heilen. 

Das ist die eine Seite. Die Seite derer, die von der Entdeckung elektrisiert sind. Auf der anderen Seite sorgen die Genschere und ihr Einsatz bei einem menschlichen Embryo aber auch für Empörung. Vom Designerbaby ist die Rede, vom Eingriff in die Evolution. 

Kritikerinnen und Kritiker formulieren die Sorge, dass das, was theoretisch machbar ist, irgendwann auch gemacht wird. Sie befürchten den Menschen nach Maß. Denn: Wenn man schon in das Erbgut des Menschen eingreifen kann - lassen sich dann nicht auch menschliche Eigenschaften manipulieren? 

Davon ist Deutschland, etwa im Unterschied zu den USA oder China, noch weit entfernt, da hier ein strenges Embryonenschutzgesetz gilt. Eine Gruppe von Wissenschaftlern der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina hat im Frühjahr aber dazu aufgerufen, das deutsche Embryonenschutzgesetz zu lockern, um die Forschung in der Genomchirurgie voranzubringen. Die Methode erlaube "erstmals Eingriffe mit so hoher Präzision und Effizienz, dass derartige Fortschritte eine Neubewertung der Situation erforderlich machen", heißt es in der Stellungnahme. 

Zu den Unterzeichnern des Papiers gehört Klaus Tanner, Professor für Systematische Theologie und Ethik an der Universität Heidelberg und seit zehn Jahren Mitglied der naturwissenschaftlich-medizinischen Gelehrtengesellschaft Leopoldina. Er argumentiert, dass Deutschland das Forschungsfeld nicht allein dem Ausland überlassen dürfe: "Wir nutzen derzeit ausschließlich Erkenntnisse, die andere erforscht haben." Das deutsche Embryonenschutzgesetz sei seit dem Jahr 1990 nicht mehr verändert worden, der Stand der Wissenschaft habe sich aber enorm weiterentwickelt - entsprechend brauche Deutschland eine neue Debatte über den Embryonenschutz. 

Dennoch wollen die Unterzeichner der Stellungnahme der Embryonenforschung selbst Grenzen setzen. So dürften nur Embryonen verwendet werden, die bei reproduktionsmedizinischen Behandlungen entstanden sind und ansonsten verworfen würden. Sie sollen nur zur Grundlagenforschung eingesetzt werden - das CRISPR-Baby werde es nicht geben, versichert die Leopoldina. 

Dieses sogenannte CRISPR-Baby ist Kern der ethischen Debatte. Umstritten ist vor allem die sogenannte Keimbahntherapie, die es in Zukunft - über die Grundlagenforschung hinaus - ermöglichen soll, bei einem Embryo einen Gendefekt zu beheben, bevor dieser im Zuge einer reproduktionsmedizinischen Behandlung in die Gebärmutter einer Frau übertragen wird. Dabei würde das Erbgut des Embryos verändert. Dieses Verfahren hätte Auswirkungen auf folgende Generationen und wäre somit ein gezielter Eingriff in die Evolution - ein riskanter noch dazu, da derzeit immer wieder auch unerwünschte Nebeneffekte auftreten. Weniger umstritten ist dagegen die künftige Therapie von Krankheiten wie Krebs oder Muskelschwund durch die Genschere. 

Die Leopoldina lehnt - wie die meisten - die Keimbahntherapie zum jetzigen Zeitpunkt ab. Der evangelische Theologe und Ethiker Klaus Tanner würde aber "nicht kategorisch ausschließen", dass die Methode in seltenen Fällen Paaren mit schweren Erbkrankheiten einmal helfen kann, ein gesundes Kind zu bekommen. Das müssten Paare sein, denen auch die Präimplantationsdiagnostik, die Gentests in engen Grenzen erlaubt, nicht helfen kann. Medizin habe eben immer auch mit dem Einzelfall zu tun. 

Das sieht Antonio Autiero anders. Der emeritierte Professor für Moraltheologie an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Münster, der auch Mitglied der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellforschung der Bundesregierung ist, lehnt jeglichen Eingriff in die menschliche Keimbahn ab. 

"In diesem Punkt sage ich klar Nein, zumal es sich um ein Verfahren handelt, das nicht abschätzbare Folgen hat und nicht umkehrbar ist", so Autiero. Gleichzeitig befürwortet er aber die Genomchirurgie, wenn es darum geht, in der Zukunft einmal Menschen mit bestehenden Krankheiten zu heilen. "Hier haben wir die ethische Verantwortung, unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse auch einzusetzen." 

Nach Ansicht von Autiero geht es immer um die Balance, das geschenkte Leben anzunehmen und es gleichzeitig nach den eigenen Möglichkeiten zu gestalten - so wie es in der Bibel in den Heilungsgeschichten beschrieben ist. Ein klares Nein erteilt er, wie auch Klaus Tanner, jeglicher Form der Optimierung des Menschen durch Wissenschaft - Stichwort Designerbaby. 

Vor Genmanipulation an menschlichen Embryonen warnt auch Bischof Gebhard Fürst, Vorsitzender der Unterkommission Bioethik der Deutschen Bischofskonferenz: "Eingriffe in die menschliche Keimbahn sind aus Sicht der katholischen Kirche moralisch nicht erlaubt. Sie verändern gezielt nicht nur die Keimzellen des betreffenden Menschen, sondern auch die Genstruktur nachfolgender Generationen." 

Für Fürst wäre es ein "ethisch-rechtlicher Tabubruch", wenn künftig gentechnisch veränderte Embryonen zur Fortpflanzung genutzt würden. Eine freiwillige Beschränkung auf die Grundlagenforschung wünschen sich übrigens auch die Erfinderinnen der Methode, Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna. Zumindest vorerst soll sie gelten.

Aktualisierung 7. Oktober 2020

Nobelpreis für Charpentier und Doudna

Die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften hat am 7. Oktober 2020 Prof. Dr. Emmanuelle Charpentier, Direktorin der Max-Planck-Forschungsstelle für die Wissenschaft der Pathogene,  für ihre bahnbrechenden Arbeiten zu CRISPR-Cas9 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Sie teilt sich den Preis mit Jennifer Doudna, Molekularbiologin an der University of California, Berkeley.

Stand: 01.11.2017