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Vielfalt ist schön

Wider die Attraktivität des Angepasstseins

Von Sandra Gerke

Ein umfassendes Programm zur Gewichtsabnahme, gesponsert von mehreren Krankenkassen - da sollten die Ziele klar sein: Gesundheit, Wohlbefinden, Beweglichkeit. Doch das Training mit dem Namen "BodyChange" stellt etwas ganz anderes in Aussicht. Der Repräsentant des Online-Programms, der aus etlichen TV-Formaten bekannte Trainer Detlef Soost, verspricht den Abnehm-Willigen: "I make you sexy (ich mache dich sexy)!"

Unter diesem Titel verkauft er sehr erfolgreich unter anderem Fitness- und Kochbücher. Denn vielen Menschen scheint es immens wichtig geworden zu sein, "sexy" zu wirken. Warum eigentlich? Eine Annäherung. Es sind weit mehr als drei Millionen meist sehr junge Frauen, die an ihren Lippen hängen: Bianca Heinicke veröffentlicht zwei Mal pro Woche neue Videos im Internet.

Ihre Sendung auf dem Online-Portal YouTube heißt "BibisBeautyPalace" (Bibis Schönheits-Palast). Die 23-Jährige packt darin vor laufender Kamera ihre Einkäufe aus - Kosmetik, Mode, Accessoires - und präsentiert sie dem Publikum - selbstverständlich mitsamt den Bezugsquellen. Auch Fitness-Übungen hat sie auf Lager, zum Beispiel für einen "sexy Po".

Längst stehen Profis hinter dem YouTube-Star. "Influencer Marketing" ("Beeinflusser-Marketing") nennt man das. Es ist ein riesiges Geschäft, wenn eine große Zielgruppe durch eine beliebte Person manipuliert werden kann. In dem Fall erst recht, weil die Zielgruppe noch so jung ist. Bibi sagt, wie Mädchen auszusehen haben - nämlich eben "sexy" - und was sie dafür zu kaufen haben.

Früh werden den Mädchen so die Interessen anderer als ihre eigenen eingeredet. Sie müssen ihre Kinderzimmer noch nicht einmal verlassen, um zu Objekten zu werden. Wenn Laufsteg-Expertin Heidi Klum alljährlich im Fernsehen "Germany's Next Topmodel" sucht, geht das offenbar selbst an Grundschülerinnen nicht spurlos vorbei.

"Topmodel" nennt sich eine bei kleinen Mädchen beliebte Produktlinie aus dem Schreibwaren-Handel, die verziert ist mit perfekt gestylten weiblichen Comic-Figuren mit riesigen Augen und Schmollmündern. Wenn die Kinder dann mit ihren Topmodel-Tornistern auf den Rücken an bestimmten großen Plakatwänden vorbeikommen, die aktuell zum Beispiel im Rheinland auch in unmittelbarer Nähe zu Schulen und Kindergärten hängen, fallen selbst ihren Müttern die Motive möglicherweise gar nicht mehr auf: Es sind Bordelle, die dort werben.

Aber dadurch, dass auch die Werbung für Mode oder Kosmetik, Autos oder Zigaretten längst nicht ohne Frauen in lasziven Posen auskommt, ist man diese Bilder inzwischen irgendwie gewöhnt. Vor diesem Hintergrund ist die Initiative des Bundesjustizministers Heiko Maas zu sehen, der sexistische - also wegen des Geschlechts diskriminierende - Werbung untersagen möchte.

"Sexy", so scheint es jedenfalls, ist normal geworden - über die Generationen hinweg. Und diese Norm steht im krassen Widerspruch zu dem, was eine moderne, aufgeklärte, gleichberechtigte Gesellschaft ausmachen könnte, nämlich eine Vielfalt von Schönheitsidealen und Rollenverständnissen. Aber viel einfacher, als einen eigenen Stil, einen individuellen Geschmack zu entwickeln ist es, sich auf die Werbung und die Medien zu verlassen - was oft nicht mehr wirklich zu unterscheiden ist.

Fremdbestimmung? Oder eben doch eine autonome Entscheidung, "sexy" durch das Leben gehen zu wollen? "Sexy sein ist ja an sich etwas Wunderbares! Es zeigt doch Lebensenergie, wenn man Lust hat, attraktiv zu sein", sagt Stevie Schmiedel. Die promovierte Sozialwissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Geschlechterrollen ist Gründerin des deutschen Ablegers von "Pinkstinks" ("Pink stinkt").

Der ursprünglich aus England stammende Verein engagiert sich gegen Sexismus, Geschlechterklischees und Frauenfeindlichkeit. Bei aller Ermutigung, sich so zu zeigen, wie man möchte, gibt Schmiedel zu bedenken, dass die bei vielen vorherrschende Definition dessen, was "sexy" ist, wenig mit Freiheit zu tun hat.

Sie erklärt die historische Entwicklung: Als die Modezeitschrift "Vogue" die ersten Mini-Rock-Modelle zeigte, präsentierte sie das extrem dünne Model Twiggy. "Sie drückte aus: ,Ich bin sexy, ich darf das.' Aber gleichzeitig auch: ,Ich bin niedlich und muss in den Arm genommen werden.' Ihr Blick fragte: ,Passt du auch auf mich auf?' Jeder Schritt in die Emanzipation, den man eigentlich hätte feiern können, hat gleichzeitig auch mit sich gebracht, dass Frauen dünner wurden."

Schmiedel erklärt die Entwicklung so: "Es war einerseits ein glücklicher Vorstoß, dass Frauen plötzlich selbstbestimmt agieren durften. Gleichzeitig hat das Männern wie Frauen Angst gemacht, weil über Jahrtausende die Rolle der Frau ganz klar bestimmt war. Mit der extremen Schlankheit wird ausgedrückt, dass Frauen nicht so viel Raum einnehmen, eigentlich gar nicht so viel Macht haben."

Dem Schlankheitswahn und der Tendenz, Frauen zu Objekten fremder Interessen zu machen, setzt "Pinkstinks" Aufklärungskampagnen entgegen. "Vielfalt ist Schönheit" ist das Motto, mit dem gerade junge Frauen dazu ermutigt werden, sich selbst zu entdecken und zu behaupten. Das geht nach Ansicht von Stevie Schmiedel auch mit dem Rat an Eltern einher, "jungen Mädchen zu überlassen, was sie anziehen. Sie sollten nur auf die Gefahren hingewiesen werden. In Deutschland gibt es eben viele Fälle sexueller Gewalt. Man sollte den Mädchen nicht übermäßig Angst machen, aber ihnen klar die Grenzen nennen, wo sie aufpassen und sich besser nicht aufhalten sollen."

Der gut gemeinte Rat entpuppt sich bei näherer Betrachtung als problematisch: Zum einen lassen sich nun mal nicht alle offensichtlichen Gefahrenzonen und -zeiten meiden. Zum anderen scheint ohnehin zu gelten, dass nichts einen Schutz vor sexuellen Übergriffen garantiert - egal, wo man sich aufhält und wie man aussieht. Aufgrund dieser traurigen Tatsache sorgte die berüchtigte "Armlänge Abstand", die die Kölner Oberbürgermeisterin Frauen nach der Silvesternacht nahelegte, für so viel Spott.

Die Alltäglichkeit, mit der Frauen und Mädchen sexistischen oder sexualisierten Übergriffen ausgesetzt sind, zeigt sich aktuell auf Twitter. In dem sozialen Netzwerk schildern unter "#imzugpassiert" zahlreiche Frauen Begebenheiten, bei denen sie unterwegs solche Übergriffe erlebt oder beobachtet haben. Demnach ist es Alltag, dass es Männer gibt, die Mädchen und Frauen als Objekte betrachten - in aller Öffentlichkeit, als sei es ihr selbstverständliches Recht. Der Konflikt zwischen Freiheitsbehauptung und Gefahrenvermeidung bleibt eine Herausforderung.

Dieser nehmen sich Initiativen wie "Pinkstinks" zum einen direkt in den Schulen an, wo sie Jungen und Mädchen etwa durch Theaterstücke und Diskussionsrunden Achtung vor sich selbst und voreinander vermitteln. Der Verein ist aber auch dort, wo die Jüngeren viel Freizeit verbringen: Auf YouTube wendet sich für "Pinkstinks" nun ebenfalls eine 23-Jährige an die junge Zielgruppe. Schauspielerin Lara-Maria Wichels, bekannt aus der Telenovela "Rote Rosen", will mit witzigen Videos für Selbstbewusstsein sorgen - auf dass der "Schönheitspalast" der berühmten Bibi, und alles, wofür er steht, eines Tages ins Wanken gerät.

Stand: 20.12.2017