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 Wortschwallpädagogik

Eltern überfordern Kinder mit zu vielen Wörtern

Betrachtung und Interview von Bettina Levecke

Autoritär war gestern. Heute wollen Eltern ihr Kind mit Worten erziehen. Doch das kann mit der erwachsenen Wortflut häufig gar nichts anfangen – und stellt die Ohren auf Durchzug.

Schon wieder ist das Zimmer nicht aufgeräumt, schon wieder schimmelt ein vergessenes Pausenbrot im Schulranzen, schon wieder sind die Schuhe in den Flur geschmissen oder Legosteine im Staubsaugerrohr. „Schon wieder“ – ein Begriff, den Eltern von Kindern zwischen Kindergarten- und Teenageralter nahezu inflationär häufig benutzen. Täglich, stündlich - gefühlt: immer. Und schon wieder steht man dann vor seinem geliebten Nachwuchs und erklärt die Welt. Mal freundlich („Versteh doch, so geht
es nicht“), mal genervt („Ich bin mit meinem Latein am Ende, verstehst du denn nicht …“), mal ziemlich wütend („Also jetzt reicht’s mir, und ich sage dir nur eines ….“). Monologminuten später haben dutzendweise Worte den eigenen Mund verlassen - nur den
Gehörgang des Kindes haben sie offenbar nicht erreicht. Denn es dauert nicht lange und schon wieder – naja, Sie wissen schon.
Unter Erwachsenen ist das ganze Gerede ja meistens kein Problem. Doch wenn man dem Nachwuchs mal wieder gesagt hat, was man eben sagen muss, stellt man fest: Das Kind bemüht sich zwar, den mütterlichen Worten zu folgen, bekommt dabei aber einen Knoten in den Kopf. „Wortschwallpädagogik“ nennt der bekannte Autor und Erziehungsberater Jan-Uwe Rogge diese elterliche Kunst, die Kinder mit Wörtern quasi zu überfluten (siehe Interview). Seine These bestätigt sich in meinem Alltag: Auch ich neige dazu, mich in emotionalen Momenten verbal zu verfransen, und bin unklar in meinen Botschaften. Dazu gehören dann Endlossätze, Fragezeichensätze, murmelige Grummeleien oder rhetorische Fallstricke: Manchmal weiß ich dann selbst nicht, worauf ich eigentlich hinaus will. Und wundere mich noch, wenn aus dem Gesicht des Kindes ein großes Fragezeichen blinkt.
Kinder brauchen Sicherheit, ganz besonders in den Kommunikationsstrukturen. Wenn das, was sie verstehen, morgen nicht mehr gilt, entstehen Unsicherheit und Frust. Eltern sind Vorbild und wichtig. Was die sagen, muss Bedeutung haben. Doch wenn Mama „Ja“ sagt, sollte das dann auch „Ja“ heißen. Erklärungen und Absprachen mit den Kindern sollten daher immer möglichst verständlich formuliert sein. Gespräche sollten im Dialog und nicht im Monolog stattfinden. Und wenn die eigene Ansprache mal etwas länger dauert, gilt es in jedem Fall, beim Kind nachzufragen: „Hast du eigentlich verstanden, was ich dir sagen möchte?“
Ich zähle seit einiger Zeit bei jeder „Schon wieder“-Sache im Geiste bis 20 und stelle mir drei Fragen: Worum geht es wirklich? Wie soll es werden? Was muss ich dafür sagen? Es ist erstaunlich, in wie kurzer Zeit der Fokus gerade gerückt werden kann. Und meine Kinder haben nur noch ganz selten Fragezeichen im Gesicht.

Bettina Levecke (34),
ist Soziologin, freie Journalistin und Mutter dreier Jungen (1, 9, 10 Jahre).

Literaturhinweis
Jan-Uwe Rogge, Angelika Bartram: Wie Sie reden, damit Ihr Kind zuhört & Wie Sie zuhören, damit Ihr Kind redet. Gräfe und Unzer, München 2011.


Herr Rogge, in welchen Situationen reden Eltern zu viel?
Eltern neigen vor allem in Problemsituationen dazu, ihre Kinder mit verbalen
Duschen zu übergießen. Da wird dann erklärt und geredet und noch mal resümiert. Ist doch klar, dass die Kinder dabei zwangsläufig auf Durchzug stellen. Kinder wollen klare Eltern mit klaren Sätzen und keine Dauerbeschallung. Die Erfahrung zeigt: Weniger ist immer mehr!

Manchmal hat man als Vater oder Mutter aber das Gefühl, eine Sprache zu sprechen, die das Kind gar nicht versteht.
Es gilt, so mit den Kindern zu sprechen, dass sie genau wissen, was die Eltern wollen. Mimik und Gestik, der Klang der Stimme und der Inhalt müssen unbedingt zusammenpassen. Es muss das gesagt werden, was gemeint ist.

In vielen Familien ist immer wieder Stress wegen der ewig gleichen Probleme. Was kann da helfen?
Wenn es immer um die gleichen Themen geht, müssen Eltern die familiäre Situation betrachten. Manchmal ist es schlicht ein Sachproblem, etwa dass das Kind eine Aufgabe nicht macht, weil es damit überfordert ist. Manchmal steckt aber auch ein Beziehungsproblem dahinter. Wenn zum Beispiel klar ist, dass das Kind nur Grenzen austesten will oder Machtkämpfe ausführt, sollten Eltern sich fragen: Was will es damit bei uns erreichen?

Die Devise lautet also: Nachfragen statt rummeckern?
Genau! Es bringt schließlich nichts, sich in endlosen Monologen über das Fehlverhalten der Kinder auszulassen oder zu schimpfen. Das sorgt auf allen Seiten nur für Frust und noch mehr Unlust. Das Kind hat schließlich auch Gründe für sein Verhalten. Da müssen Eltern nachforschen.

Können Sie ein Beispiel geben?
Viele Eltern sagen immer alles in Bitten, am besten noch in Frageform, und wundern sich, wenn nichts passiert. Frage ich aber mein Kind „Räumst du bitte dein Zimmer auf?“, muss ich mit einem Ja oder Nein rechnen. Ich rate zu freundlichen, aber klaren Ansagen, wie: „Ich möchte, dass du dein Zimmer aufräumst!“ Da bleiben dann keine Fragen offen.

Und wenn trotzdem nichts passiert?
Dann ist das immer noch kein Grund, die Nerven zu verlieren oder stundenlang darüber zu sprechen. Werden Regeln immer wieder missachtet, sollte ein Elternteil das Vier-Augen-Gespräch mit dem Kind suchen und genau nachhaken: „Ich möchte gerne, dass das klappt. Was muss passieren, damit du aufräumst?“ Auf diese Weise kann herausgefunden werden, wo es hakt. Vielleicht ist das Kind mit der Aufgabe wirklich überfordert oder es fühlt sich ungerecht behandelt.

Und wenn es einfach keine Lust hat?
Dann muss man auch darüber sprechen. Wir kennen das ja schließlich alle. Wer hat Lust den Müll rauszubringen? Niemand! Warum sollte es Kindern anders gehen. Allerdings ist das natürlich keine Ausrede, die Sachen müssen ja trotzdem gemacht werden. Da braucht es dann auch mal Konsequenzen, die man gemeinsam vereinbart.

Dann gibt es Hausarrest, Fernsehverbot oder andere Gemeinheiten …
Davon halte ich nichts. Was hat der vergessene Müll mit dem Fernseher zu tun? Hier wird Konsequenz mit Bestrafung verwechselt. Konsequentes Verhalten bedeutet aber, dass man sich der Folgen seines Handelns bewusst ist. Räume ich nicht auf, ist alles dreckig. Bleibt der Müll stehen, stinkt's! Hier müssen folgerichtige Konsequenzen mit dem Kind ausgehandelt werden. Vielleicht bietet das Kind von selbst an, erst zu seinen Freunden zu gehen, wenn es sein Zimmer fertig hat. Allerdings müssen die Eltern diese Konsequenz dann auch durchsetzen. Diskutieren darf man dann nicht mehr …

Stand: 04.01.2018