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Streitbare Heilige

Propheten in den Samuel- und Königsbüchern

Zweiter Teil der Serie "Gerufene Rufer – Die Propheten: Mittler zwischen Gott und den Menschen"

Von Ilse Müllner

Wem sind die Mächtigen verantwortlich? Wer kann Rechenschaft fordern von den Herrscherinnen und Herrschern, von den Politikerinnen, Bankern, von denen, die die Geschicke von Nationen und Völkern lenken? Diese Frage stellt sich in diesen Zeiten, in denen die Schere zwischen Arm und Reich immer größer wird, in einer Welt, in der eigentlich genug für alle da wäre, wenn es nur angemessen verteilt würde, in der immer mehr Jugendliche in vielen Teilen der Welt ihrem Zorn auf der Straße Luft machen.

Machtvolle Könige gibt es heute nicht mehr, in der Realpolitik haben andere Institutionen und ihre Träger das Sagen. Auch das Erkennen der Propheten ist in der gegenwärtigen Lebenswelt nicht so einfach wie im Blick auf die biblischen Schriften, wo konkrete Personen mit diesem Titel benannt werden. Dennoch ist das Gegenüber von König und Prophet, von politischer Macht und ihrer Kritik, von wirtschaftlicher Potenz und lautem Protest auch heute nicht aus der Mode gekommen. Im Gegenteil: Gerade die letzten Jahre zeigen, dass immer mehr Menschen sich wieder empören gegen eine Welt, in der materielle Ungleichheit an der Tagesordnung ist und die Ausbeutung der Erde in Kauf genommen wird.

Die antiken Kulturen messen dem Königtum nicht nur realpolitische, sondern auch symbolische Bedeutung zu. In Ägypten hatte der König durch sein rituelles und sein politisches Handeln dafür zu sorgen, dass das allzeit bedrohliche Chaos nicht den Kosmos, die Weltordnung verschlinge. Ob die Sonne am nächsten Morgen wieder aufging – der König hatte es mit seinem Verhalten in der Hand, er war der Garant der Weltordnung. Auch das biblische Israel wies den Herrschenden Verantwortung zu, die sich auch auf die symbolische und religiöse Ebene erstreckte. Da war zuallererst die religionspolitische Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, dass eine angemessene Verehrung JHWHs im Land gepflegt und die Tora gehalten wird.

Die Könige haben oft versagt
Die Königsbücher, die von der Herrschaft Salomos bis zum babylonischen Exil die Geschichte der beiden Reiche Israel und Juda erzählen, haben keine gute Meinung von ihren Königen. Im Großen und Ganzen haben diese in ihrer Aufgabe versagt. Mit wenigen Ausnahmen nur haben die Könige dafür gesorgt, dass das Volk sich auf JHWH und seine Tora hin ausrichten konnte. Deshalb ist es zur Katastrophe des Exils gekommen, des Verlusts von Staat, Königtum und Tempel – so erklären die Königsbücher die dramatische Geschichte.

Aber es liegt nicht nur an den einzelnen Königspersönlichkeiten, nein, das Königtum selbst ist eine Institution, der man nicht gänzlich vertrauen kann. Zu viel Macht bündelt sich in einer Hand, zu viele Ansprüche stellen die Herrschenden und ihre Cliquen. Prächtige Bauten, militärische Erfolge sind die eine, hohe Steuerlasten, Ausbeutung der kleinen Leute die andere Seite.

Dieser kritische Blick auf das Königtum zieht sich durch die biblischen Schriften hindurch, auch wenn es nicht die einzige Perspektive ist – man denke an die Wertschätzung und an die messianischen Hoffnungen, die an das davidische Königshaus geknüpft werden. Dennoch: Das Königtum ist eine korrumpierbare Institution, zu selten binden sich die Trägerinnen und Träger an die Vorgaben der Tora. Da braucht es ein Gegenüber, das die ethischen Forderungen an ein gutes Regieren immer wieder präsent hält. Dieses Korrektiv findet sich in den Propheten. Sie verkörpern das Gegengewicht zur imperialen Macht. Ihre Stärke ist es, im Namen Gottes zu sprechen. Samuel, Natan, Elija, Elischa – das sind die großen Namen, in denen die Frage nach der Verantwortung auch noch des mächtigsten Herrschers eine Antwort findet: Gott ist es, dem die Könige Israels Rechenschaft schulden.

Die jüdische Tradition zählt jene Texte, die wir als die Geschichtsbücher des Alten Testaments bezeichnen, zu den Prophetenbüchern. Die "Vorderen Propheten" umfassen die Textbereiche erzählter Prophetie. Die Samuel- und Königsbücher gehören dazu. Die "Hinteren Propheten" sind jene Bücher, die auch in der christlichen Tradition als prophetische bezeichnet werden: Jesaja, Jeremia, Amos und andere Schriftpropheten.

Nicht Worte von Propheten prägen die "Vorderen Propheten", sondern Erzählungen, in denen prophetische Gestalten eine maßgebliche Rolle spielen. Der Prophet Samuel gibt den beiden biblischen Büchern sogar ihren Namen, obwohl seine Rolle nur am Anfang der Samuelbücher zentral ist und er nach seinem Tod nur noch als beschworener Geist in 1 Sam 28 auftaucht, um dann erzählerisch ganz zu verschwinden.

Samuel hatte Saul im Auftrag des Gottes Israels zum König gesalbt, eine Wahl hat diese Entscheidung von unten legitimiert. Auch David wird von Samuel gesalbt. In diesen politischen Akten führt der Prophet den Willen Gottes aus. Als "Hofprophet" begleitet dann Natan König David durch die Höhen und Tiefen seiner Regierungszeit. Er verheißt ihm im Namen Gottes den "ewigen Bestand" der davidischen Dynastie, eine Zusage, die bis in die neutestamentliche Christologie hinein wirkt, die Jesus als Sohn Davids vorstellt. Natan konfrontiert aber David auch mit seinem Fehlverhalten, als dieser Urija ermordet und sich dessen Frau Batseba bemächtigt.

Die Stimmen großer Propheten werden in den Erzählungen hörbar. Elija und Elischa prägen die Königsbücher wie Samuel und Natan den Samuelbüchern ihr Gesicht geben. Elija steht für den bedingungslosen Einsatz für seinen Gott JHWH. Der Name des Propheten ist sein Programm: Eli (mein Gott) –ja (ist JHWH). Dort, wo die Herrschenden des Landes sich anderen Gottheiten zuwenden, steht er für den Gott Israels ein mit Stimme und Wort, mit Haut und Haar, auch mit Gewalt. Elija ist aber auch ein Heiler, ein Wundertäter wie sein Nachfolger Elischa.

König und Prophet, zwei Institutionen stehen einander gegenüber. Prophetie ist aus dem gesamten alten Orient bekannt. Auch in Assur und Babylon traten Propheten auf, wurden ihre Worte niedergeschrieben. Propheten als kritisches Gegenüber des Königs aber, Propheten, die sich bis zum Einsatz ihres Lebens gegen die politischen Entscheidungen der Staatsmacht stellen und das im Namen Gottes tun, solche Propheten bezeugen nur die Schriften des biblischen Israel.

Worte allein reichen nicht aus
Prophetisch sein, dafür reichen Worte allein nicht aus. Die Propheten setzen Zeichen, und sie zeigen damit den Herrschenden ihre Grenzen auf. König und Prophet: Das ist eine Grundkonstellation der Samuel- und Königsbücher. Amt und Charisma, Institution und kritische Bewegung – beide sind in dieser Welt vonnöten. Prophetisches Handeln ist in der Gegenwart häufig das öffentliche Handeln von Gruppen. Überall in der Welt entstehen gerade in den letzten Jahren Bewegungen, die die zunehmende Ungerechtigkeit, die die Ausbeutung durch Wenige und die Gleichgültigkeit der Vielen kritisieren. Prophetisch sind vielleicht nicht alle, aber alle sind zur Entscheidung gerufen:
"Wie lange noch schwankt ihr nach zwei Seiten? Wenn JHWH der wahre Gott ist, dann folgt ihm! Wenn es aber Baal ist, dann folgt diesem!" (1 Kön 18,21)

Hinweis
Im hebräischen Text der Bibel finden sich für den Eigennamen Gottes nur die vier Konsonanten JHWH – die alt hebräische Schrift kennt nämlich nur Konsonanten. Die Aussprache kann der Bibel deshalb nicht entnommen werden. Aus Ehrfurcht vor dem Namen Gottes und aus Sorge, ihn zu missbrauchen, ist es Juden ohnehin verboten, ihn auszusprechen. Deswegen benutzt die Autorin unserer Serie den Gottesnamen so, wie er aus der Bibel bekannt ist: JHWH.

Stand: 04.01.2018