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Lehm, Steine, Scherben

Wie mit Geduld, Mut und Hartnäckigkeit ein Haus neu entsteht

Von Regina Käsmayr

Nach ihrer Scheidung hatte Marlis Weinhardt kein Geld, aber ein renovierungsbedürftiges altes Fachwerkhaus. Ganz allein nahm sie Maurerkelle und Schleifmaschine in die Hand und machte aus der Ruine ein Heim und aus Abfällen Kunstwerke.

Die Knochen sind weg. Nach dem letzten Halloween entschied Marlis Weinhardt, dass Blumen und Kristalle sich auf ihrer Eingangstreppe doch besser machen. Fünf Kinder hatten an ihrer Tür geklingelt, aber nur zwei hatten sich getraut, die Süssigkeiten von ihr anzunehmen. Auf ihre Frage "Und ihr drei wollt nichts?" hatten die übrigen vor dem Hoftor nur eingeschüchtert die Köpfe geschüttelt. Da beschloss die 53-Jährige, dass Marderschädel und Reh-Kieferknochen zugunsten von weniger beängstigenden Schmuckstücken weichen sollten.

Es gibt wohl ein paar Leute im Dorf, die sie für eine Hexe halten, im besten Fall für eine Spinnerin. Denn Marlis Weinhardt baut seit sieben Jahren an einem Haus, das zwischenzeitlich eine Ruine war. Einige Monate vor ihrer Scheidung 2004 kaufte sie das alte Fachwerkhaus im hessischen Marburg-Hermershausen, damals noch in der Annahme, sie könnte die Renovierungsarbeiten und monatlichen Raten leicht aufbringen. Doch dann wurde der Erzieherin auferlegt, ihrem arbeitslosen Ex-Mann Unterhalt zu überweisen. Gleichzeitig die Hiobs-Botschaft aus dem Haus: Alle Wasserleitungen, die Heizung und die Elektrizität müssten erneuert werden. An diesem Punkt hätten viele aufgegeben. Marlis Weinhardt aber sagte sich: "Ich kann stricken, häkeln und malen. Dann kann ich auch
lernen, wie man Wände verputzt!"

Sie bezahlte also vom letzten Geld einige Arbeiter, die Installation und Elektrik übernahmen, ließ sich von Handwerkern zeigen, wie man Fliesen schneidet und bekam von ihrem Bruder, einem Zimmermann, einen Grundkurs in Holzbearbeitung. Dazu jede Menge Bücher über ökologisches Bauen, einige tatkräftige Freundinnen und eine große Portion kreativer Ideen. Konnte sie keine Fliesen bezahlen, ging sie in alte Steinbrüche und fand dort viele bunte Bruchstücke. Daneben lagen Tropfsteine und Calziten, die bei der letzen Sprengung aus einer Kristall-Ader geschleudert worden waren. Im Wald fand sie Schneckenhäuser und Baumwurzeln. Aus all dem entstehen Mosaiken, Gartendeko und Wandbehänge. "Ich war immer schon gerne draußen in der Natur", sagt Marlis. "Aber mittlerweile verbinde ich jeden Spaziergang mit Suchen und Finden."

Und sie findet alles. An kilometerlangen Stränden entdeckt sie genau den Stein, der wie ein Herz aussieht oder ein Loch in der Mitte hat. Und jede kleine Versteinerung, jede vom Meer geschliffene Glasscherbe wird säuberlich aufbewahrt und landet in einer von tausend Porzellan-Schüsselchen, die überall im Haus wie Schmuckschatullen stehen. Später finden die kleinen Kostbarkeiten einen Platz an einer Wand oder im Fußboden des Bads im Erdgeschoss, das seit zwei Jahren entsteht. Eine beeindruckend bunte Mosaikschlange windet sich dort durch rundgeschnittene Marmorfliesen. "Ich bin ein Farbenmensch, ich hab’s gerne bunt", erklärt die Scherben-Künstlerin. Wenn sie in ihrem Haus arbeitet, dann mit sturer Geduld. Sie habe keinen Zeitdruck und neige ein wenig zur Perfektion, erklärt sie. Und fertig werde man mit so einer Baustelle ohnehin nie, weil immer irgendwo eine Mauer zusammenkrache. Am Anfang war es hart. "Dieser ganze Dreck auf der Baustelle. Im ersten Jahr hab ich zweimal geweint", erinnert sich Marlis Weinhardt."„Das erste Mal war am Abend vor dem Umzug. Die Wohnung im ersten Stock war fast fertig, und ich brachte noch die Fußleisten an. Dabei habe ich alle paar Zentimeter Löcher in die Heizrohre in der Wand geschlagen. Das Wasser lief in die Wände, und im unteren Stock fiel der Lehm von der Wand wie Kartoffelbrei. Der Installateur musste kommen, um die Löcher zu stopfen."

In einem ihrer Bücher hat Marlis Weinhardt gelesen, dass der alte Lehm aus den Gefachen abgerissener Fachwerkhäuser immer noch der Beste sei. Sie besorgte sich Unmengen davon, klopfte ihn klein und siebte ihn in stundenlanger Arbeit ganz fein. Dann rührte sie ihn mit Wasser an und verputzte damit das komplette Haus. Zurzeit ist die ehemalige Scheune dran, in der ein Wohnraum entstehen soll. An der ersten Außenwand hängen bereits Schilfrohrmatten, die als Dämmung fungieren. In der Mitte des Raumes steht ein Bottich mit ungesiebtem Lehm. "Das wird der Unterputz", erzählt die Handwerkerin und rührt mit den Händen darin herum. Beide Ärmel hat sie hochgeschoben, knetet den braunen Schlamm liebevoll wie einen Hefeteig. Dann nimmt sie eine Handvoll, klatscht sie gegen das Schilfrohr und verteilt die Masse gleichmäßig nach allen Seiten. "Ich bin stolz darauf, dass ich eine Wand ganz gerade hinbekomme“, sagt Marlis mit einem Spritzer Lehm auf der Nase.

Je mehr man macht, desto mehr traut man sich zu, findet sie. Dann ist es plötzlich nicht mehr beängstigend, sondern spannend, wenn man sich selber eine Küchenzeile mauert und darauf eine Betonplatte gießt. Und selbst ein herber Rückschlag bringt eine nicht mehr zum Verzweifeln. Als 2007 der Orkan Kyrill über Deutschland fegte, riss er die Verkleidung des Schornsteins ab. Das Regenwasser bahnte sich seinen Weg über den Kamin ins ganze Haus und ließ den Lehmputz in dicken Fladen von Wänden und Decken klatschen. Als sämtliche Backbleche und Eimer zum Auffangen verbraucht waren, ergriff die Hausherrin die Flucht und gönnte sich erst mal einen Tag Wellnessurlaub, bevor sie sich an den wochenlangen Wiederaufbau machte: "Natürlich war das ganz furchtbar. Aber ich hatte auch genügend innere Gelassenheit, um es zu ertragen. Mittlerweile sind solche Sachen ganz witzig zu erzählen." Wie es innen im Haus heute aussieht, welche bunten Bilder dort hängen und wie viele zehntausend Mosaiksteine sich zu kunstvollen Straßen und Schnörkeln zusammenfügen, weiß kaum jemand im Dorf. Die meisten kennen das Hexenhaus nur von außen. "Das ist doch keine Frauenarbeit", lässt der ein oder andere verlauten, wenn er die Nachbarin auf einem Gerüst stehen und die Fassade streichen sieht. Oder: "Oh, machen Sie das bloß ordentlich!" Die Angesprochene sieht’s gelassen: "Das ärgert mich nicht. Die meisten älteren Leute können sich das einfach nicht vorstellen, was ich hier tue. Und diejenigen, die reinkommen, finden es meistens gut. Ich muss mit meiner Arbeit nicht im Dorf hausieren gehen. Das ist vielleicht auch eine gewisse Arroganz von mir."

Ob eine Frau Mörtel anrühren und Holztüren zimmern kann, stand für Marlis ohnehin nie zur Debatte. "Die Frage war eher, ob ich es kann", erklärt sie. "Mir ist mittlerweile sehr klar, wo meine Grenzen liegen. Elektrik und Installation mache ich nicht. Und manchmal stoße ich an körperliche Grenzen, wenn ein Balken oder ein großer Stein bewegt werden müssen. Dann brauche ich jemanden zur Mithilfe – aber das kann auch eine zweite Frau sein."

Männer, so der Erfahrungswert, raten der Handwerkerin eher dazu, sich einen Bagger zu mieten oder eine Verschalung anders abzustützen. Frauen raten gar nichts. Sie packen einfach mit an. Passend dazu hängt in der bunt bemalten Essküche zwischen Mosaik-Schatullen und aufgesetzten Likören eine Postkarte mit der Aufschrift: "Suche fünf starke Männer – oder eine Frau!"

Stand: 04.01.2018