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Kein Anreiz zur Übernahme

Leiharbeit ist für Unternehmen praktisch, gerecht ist sie nicht

Von Carmen Molitor

Die Zeitarbeitsbranche boomt: Die Zahl der dort Beschäftigten stieg seit 2001 von 357.000 auf heute über 900.000, das sind etwa zwei Prozent aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland. Das ist auch eine Folge der Hartz-Reform in den Jahren 2003/2004: Seither dürfen Beschäftige für unbegrenzte Zeit und zu schlechteren finanziellen Bedingungen als fest Angestellte an Unternehmen ausgeliehen werden. Der Traum von der Übernahme in ein festes Arbeitsverhältnis erfüllt sich nur für einen Bruchteil der Leiharbeiter."Seit September habe ich an sieben Samstagen gearbeitet, obwohl ich drei Kinder im Grundschulalter und Familie habe. Als Leiharbeiter konnte ich nicht nein sagen, oder besser: Ich konnte mir ein Nein nicht leisten", schreibt eine Staplerfahrerin im November 2011. Eine gelernte Bürokauffrau berichtet: "Ich bin geschieden und habe am Ende des Monats trotz einer Vollzeitstelle nur 900 Euro. Die Jobs bedürfen einer Einarbeitungszeit von etwa zwei Wochen. Danach werde ich eingesetzt wie eine Festangestellte, verdiene aber nur die Hälfte." Und eine 45-jährige, alleinerziehende Mutter, die nach einem Jahr Arbeitslosigkeit statt Hartz IV zu beziehen lieber eine Leiharbeit als Produktionshelferinannahm, beklagt: "Ich verrichte die gleiche Arbeit wie meine Kollegen im Schichtdienst, erhalte aber weder den gleichen Lohn noch eine Schichtzulage." Für den Lebensunterhalt reiche der Verdienst nicht.

Diese Frauen sind drei von 4000 Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern, die sich an einer Umfrage der Industriegewerkschaft Metall über ihre Arbeitsbedingungen beteiligt haben. Die Ergebnisse veröffentlichte die Gewerkschaft Ende März in ihrem Schwarzbuch Leiharbeit. Fazit des zweiten Vorsitzenden Detlef Wetzel: "Leiharbeit ist das sichtbarste Beispiel für die Verrohung der Sitten auf dem Arbeitsmarkt."

Immer flexibler und kostengünstiger sollen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sein, ihr Leben mehr denn je den Bedürfnissen der Firmen anpassen und die eigene Lebensplanung hinten anstellen. Kein Wunder, dass in solch einem Wirtschaftsklima die Zeitarbeitsbranche boomt: Die Zahl der dort Beschäftigten stieg seit 2001 von 357.000 auf heute über 900.000, das sind etwa zwei Prozent aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland. Zwar ist der typische Leiharbeiter nach wie vor männlich, aus Westdeutschland und aus der Industrie. Aber auch gut eine Viertelmillion Frauen sind bereits in der Zeitarbeit tätig. Ihr Anteil steigt seit Jahren stetig an.

Leiharbeit beruht auf einem Dreiecksverhältnis zwischen Arbeitnehmer, Verleiher und Entleiher. Die Verleihfirma hat dabei grundsätzlich alle Pflichten eines Arbeitgebers, wie beispielsweise die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, bei Nichteinsatz oder im Urlaub. Sie überlässt dem Kunden einen Beschäftigten und kassiert dafür ein Honorar. Davon bezahlt sie die Beschäftigten nach dem Tarif der Zeitarbeitsbranche und behält den Rest für administrative Aufgaben und als Erlös. Seit Januar 2012 gibt es in der Zeitarbeit einen Mindestlohn, der im Westen bei 7,89 Euro und im Osten bei 7,01 Euro liegt.

Gedacht war die Arbeitnehmerüberlassung Ende der 60er-Jahre als Instrument, um den Arbeitskräftebedarf einer Firma bei Produktionsspitzen schnell decken zu können und die Mitarbeiter nach den Boomphasen unkompliziert wieder loszuwerden. Arbeitskräfte durften nur bis zu drei Monate an ein und denselben Betrieb ausgeliehen werden. Die Hartz-Reform 2003/2004 änderte die Bedingungen radikal: Seither durften Beschäftigte unbegrenzt in eine Firma ausgeliehen werden. So ist mit der Leiharbeit in manchen großen Betrieben längst dauerhaft eine Zwei-Klassen-Gesellschaft in den Belegschaften entstanden: auf der einen Seite die Stammbelegschaft und auf der anderen Seite die ausgeliehenen Beschäftigten, die zu schlechteren Konditionen dieselbe Arbeit verrichten – manchmal jahrelang. Die Gewerkschaften werfen den entleihenden Betrieben vor, auch im Aufschwung lieber dauerhaft Leiharbeiter für weniger Geld zu beschäftigen als ihre Stammbelegschaften zu erweitern. Ein wenig Besserung brachte eine Gesetzesänderung von 2011, welche die Überlassung von Arbeitnehmern nur noch "vorübergehend" erlaubt. Aber der Begriff ist dehnbar, denn eine nähere Bestimmung des zulässigen Zeitraumes blieb aus.

Das andere Extrem der Leiharbeit ist ein dauerndes Springen der LeiharbeitnehmerInnen zwischen Kurzzeiteinsätzen in verschiedenen Firmen. Die Hälfte der beendeten Arbeitsverhältnisse in der Zeitarbeit dauert weniger als drei Monate. Frauen haben häufig sogar Einsätze, die weniger als eine Woche dauern. Die große Flexibilität bringt den Beschäftigten aber kein höheres Einkommen, sondern im Gegenteil ein erheblich niedrigeres, rechnet eine Bertelsmann-Studie von 2012 vor. So falle der Bruttomonatsverdienst von Zeitarbeitskräften im Vergleich zum Durchschnitt aller Beschäftigten beispielsweise in Organisations-, Verwaltungs- und Büroberufen um 46 Prozent niedriger aus, in Metallberufen sogar 48 Prozent, was einem Gefälle zwischen 2990 und 1540 Euro entspricht. Für dieselbe Arbeit, versteht sich.

Auch die rechtlichen Bedingungen der Anstellung bei einer der über 17.000 Leiharbeitsfirmen selbst hat der Gesetzgeber immer mehr gelockert: "Die Leiharbeitsfirma kann sie immer wieder heuern, feuern und ihre Verträge befristen, je nach Auftragslage", heißt es im Schwarzbuch Leiharbeit. Besonders viel Gebrauch davon haben die Verleihfirmen davon in der Weltwirtschaftskrise 2008/2009 gemacht: Innerhalb eines Jahres kündigten sie 200.000 LeiharbeitnehmerInnen den Job. Obwohl auch für sie Kurzarbeit möglich gewesen wäre, moniert die IG Metall.

Frauen, die als Leiharbeiterinnen tätig sind, arbeiten vor allem als Hilfsarbeiterinnen, außerdem in Verwaltung oder Büro und in anderen Dienstleistungsberufen, beispielsweise, im Gesundheitswesen. Wer diese Frauen sind, hat eine Studie des Instituts für Arbeits- und Berufsforschung (IAB) analysiert: Danach sind Leiharbeiterinnen im Vergleich zu Frauen in regulärer Beschäftigung im Durchschnitt jünger und schlechter ausgebildet. Es gibt erheblich mehr Ausländerinnen unter ihnen, vor allem in Westdeutschland, wo 20 Prozent der Leiharbeiterinnen Ausländerinnen sind. Leiharbeitnehmerinnen kommen viel häufiger direkt aus der Arbeitslosigkeit als regulär Beschäftigte.

Der von vielen erhoffte "Klebeeffekt" stelle sich in der Regel nicht ein, beschreibt eine andere Studie des IAB. Die Leiharbeit sei weniger "Brücke in reguläre Beschäftigung", als vielmehr "Start in eine dauerhafte Zeitarbeitskarriere". Zwei Jahre nach dem Einsatz als Beschäftigte in der Arbeitnehmerüberlassung sei der Sprung in eine reguläre Tätigkeit nur etwa acht Prozent der vorher Langzeitarbeitslosen geglückt. "Es gibt für Unternehmen überhaupt keinen Anreiz zur Übernahme, solange sie Leiharbeitskräfte schlechter bezahlen können als die Stammbelegschaft", erklärt Soziologie-Professor Gerhard Bosch von der Uni Duisburg-Essen im Schwarzbuch Leiharbeit. "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!" fordern deshalb die Gewerkschaften, aber der Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister winkt ab: Das würde die Zeitarbeit nur verteuern, "mit negativen
Auswirkungen für die Kundenunternehmen und die Volkswirtschaft".

Stand: 04.01.2018