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 Zu zweit allein

Wenn der Partner dement wird, ändert sich alles

Von Nikola Hollmann

 Brigitte und Paul (Namen von der Redaktion geändert) sind seit 53 Jahren verheiratet. Sie haben zwei Kinder, Enkel, ein Haus in einer kleinen Stadt in der Nähe von Köln, sie sind viel gereist, pflegten einen großen Freundeskreis. "Wir hatten viele fette Jahre", sagt Brigitte: "Das macht mich stark." Und es ist ihr anzusehen, dass es sie gleichzeitig unfassbar traurig macht. Sie hat so viel verloren, und doch ist ja auch alles noch irgendwie da. Paul lebt, er ist körperlich gesund, anhänglich und meistens liebevoll. Er ist da - und doch auch nicht da. Die Altersdemenz lässt den 80-Jährigen zwar noch fehlerfrei Kreuzworträtsel lösen - seine Bildung ist ja nicht weg, und wenn er im Lesen schon die gesuchten Wörter eintragen kann, funktioniert sein Gedächtnis noch - , sie verhindert aber jedes zusammenhängende Gespräch, weil er von einem Gedanken zum nächsten den ersten schon wieder vergessen hat.

Die Freunde und Freundinnen haben es anfangs noch versucht, aber nach und nach blieben sie aus. Woru?ber auch reden mit einem, der keine Zusammenhänge mehr herstellen kann, keine Bezu?ge, keine Zeiten mehr erkennt? Brigitte kann sie verstehen. Und Paul tue es auch gar nicht so gut. Fru?her ist er oft ungehalten geworden, wenn er einem Gespräch nicht mehr folgen konnte, heute ignoriert er Gespräche einfach, er äußert sich gar nicht erst. Er, der immer so meinungsstark war und damit auch oft aneckte, er u?berspielt mehr oder weniger geschickt seine Schwäche, indem er schweigt.

Körperlich wu?rde nach wie vor alles gehen, erzählt Brigitte, aber alles andere geht eben nicht mehr. "Wir sind inzwischen sehr isoliert. Wir können nicht mehr ins Theater oder uns einfach mit anderen treffen, und die Freunde geben auf." Brigitte ist 78 Jahre alt, sie ist gesund. "Ich könnte das alles noch: reisen, ins Theater gehen." Manchmal mache sie das sehr wu?tend - und immer macht es sie traurig. Sie seien kein Paar gewesen, das immer alles gemeinsam unternommen hat, sie hatten immer auch das Eigene: "Es gab Meins, Seins und Unseres", erzählt sie. "Meins ist jetzt weg."

"Komm wieder", sagt er zu ihr, wenn sie kurz das Haus verlässt. "Ich komme immer wieder", antwortet sie. Manchmal erlaubt sie es sich, den Einkauf etwas zu dehnen, damit sie wenigstens ein bisschen Zeit hat fu?r sich. Es ist ja nicht so, dass er sich nicht alleine helfen könnte. Zuhause kann er durchaus mal ein Stu?ndchen ohne sie sein. Und dann kehrt sie wieder heim. "Ich komme immer wieder." "Mir fehlen die Gespräche. Wir haben immer viel gesprochen, lieb und gut, und wir haben viel gezankt." Nun gibt es das nicht mehr.

"Es tut mir schon sehr weh", gesteht sie und setzt, als wäre das zu viel gesagt, schnell hinzu: "Obwohl ich nicht die Super-Egoistin bin." Was sie verloren hat, ist spu?rbar. Die fetten Jahre, in denen sich das Paar gegenseitig alles ermöglicht hat, eine liebevolle gute Partnerschaft. Paul war Ingenieur und ist u?berall auf der Welt herumgekommen, und Brigitte war in den letzten Jahren, wann immer es ging, dabei. Und wenn nicht, dann hat Paul ihr etwas mitgebracht, einen Ring, eine Kette, nie ist er ohne ein Geschenk nach Hause gekommen.

Es war Liebe. Es ist Liebe. "Nur mit Pflichtgefu?hl wäre das auch nicht zu leisten", ist sie sicher. Und dennoch: "Ich bin zu zweit allein." "Wie ein Felsen, der bröckelt", dieses Bild benutzt Brigitte, wenn sie den Zustand ihres Mannes beschreibt. Man kann hinter diesem Vergleich auch die Stärke ahnen, die Paul einmal ausgemacht hat. Sehr schleichend sei die Krankheit gekommen, sie habe es lange gar nicht wahrhaben wollen. Bestimmt zehn Jahre sei das so gewesen, dass man die Indizien eben auch habe ignorieren können.

Es habe halt schlechtere Tage gegeben, aber wer hat solche Tage nicht? Und an diesen Tagen habe Paul eher schlechte Laune gehabt - wahrscheinlich, weil er seine Situation bemerkt hat und nicht richtig einschätzen konnte. Insofern geht es ihm ja nun eigentlich besser. Er macht Pläne, erträumt sich Fernreisen - "Sollen wir nicht mal in die Karibik fahren?" Brigitte widerspricht ihm nicht. Sie weiß, dass er 30 Sekunden später seinen Vorschlag ohnehin vergessen haben wird.

"Fu?r uns geht das nicht mehr." Brigitte ist froh, dass sie ihre Kinder hat. Ihr Sohn ku?mmert sich so gut er kann, aber er ist weit weg und kann nicht viel helfen. Das Auto hat er fu?r seine Eltern verkauft, damit Paul sich nicht einfach in den Wagen setzen und losfahren kann. Um ihm das Gefu?hl zu geben, nu?tzlich zu sein, bittet Brigitte ihn manchmal, ihren Wagen vors Haus zu setzen oder in die Garage zu fahren. Aber schon um die nächste Ecke wu?sste er sich nicht mehr zu orientieren, fu?rchtet sie.

Ihre Tochter entlastet die Mutter so oft es geht. Doch auch sie lebt nicht am Ort, sie hat selbst Kinder. Dennoch: "Sie sorgt manchmal dafu?r, dass ich ein bisschen Freiraum habe." Die Enkel kennen ihren Großvater kaum noch anders, sie gehen souverän mit seiner Krankheit um, spielen mit ihm, sind da. Paul weiß auch, dass diese Kinder zur Familie gehören, Brigitte vermutet aber, dass er nie ganz genau sagen könnte, ob ein Kind zu seinem Sohn oder zu seiner Tochter gehört. Egal, fu?r Brigitte sind es die besten Tage, wenn ihre Kinder da sind.

Ihre Tochter versuche manchmal, sie zu überreden, jemanden ins Haus zu holen. Und es ist Brigitte auch klar, dass sie manchmal etwas Entlastung braucht. Sie weiß genau, dass Paul von ihr abhängig ist, und findet das gar nicht gut. Selbst heil zu bleiben - "das ist ein großes Problem", sagt sie. Aber es sei einfach unmöglich, jemanden zu engagieren. "Paul könnte sich darauf nicht einstellen", sagt sie. "Er käme damit nicht klar."

Brigitte schaut auf die Uhr. Ihr kleiner Freiraum ist voru?ber. "Ich kann nicht jeden Tag jammern", sagt sie. "Ich möchte einfach erhalten, was wir noch haben." Wahrscheinlich hat Paul zum Abschied gesagt: "Komm wieder." Und Brigitte hat geantwortet: "Ich komme immer wieder."

ADRESSEN, DIE WEITERHELFEN:

Die Broschu?re "kfd - ein offenes Ohr fu?r pflegende Angehörige. Ergebnisse des Modellprojekts Pflegebegleitung und Anregungen fu?r die Weiterarbeit in der kfd" ist kostenlos zu beziehen im kfd-Shop, unter 0211. 44992-86, E-Mail: shop@kfd.de.

Neben den Ergebnissen des Projektes, mit dem sich die kfd an interessierte Gruppen richtet, die sich mit der Pflegebegleitung beschäftigen möchten, hält die Broschu?re im Anhang zahlreiche Adressen parat, bei denen pflegende Angehörige Unterstu?tzung und Beratung finden können.

Das Bundesministerium fu?r Gesundheit bietet ein Bu?rgertelefon zur Pflegeversicherung an. Unter der Nummer 030. 340 60 66-02 ist es montags bis donnerstags von 8 bis 18 Uhr und freitags von 8 bis 12 Uhr erreichbar. Auf seiner Internetseite www.bmg.bund.de/pflege.html sind zahlreiche Informationen - unter anderem auch speziell fu?r die Entlastung pflegender Angehöriger - zusammengefasst.

Das Ministerium hält außerdem verschiedene Broschu?ren bereit, beispielsweise den "Ratgeber Pflege - Alles, was Sie zum Thema Pflege und zu den Pflegestärkungsgesetzen wissen mu?ssen". Der Ratgeber kann heruntergeladen oder bestellt werden unter der Nummer 030. 18 272 272 1.

Stand: 28.08.2018