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Der weltweite Aufschrei

Die "MeToo"-Kampagne hat die Debatte um Sexismus auch in Deutschland neu entfacht

Von Jutta Oster

"MeToo", übersetzt: "Ich auch", heißt die Bewegung, die Millionen Nutzerinnen im Internet mobilisiert und gesellschaftliche Debatten in vielen Ländern der Welt ausgelöst hat. Frauen berichten offen über ihre Erfahrungen mit Alltagssexismus, sexueller Belästigung und Vergewaltigung. Besonders betroffen von Übergriffen sind Frauen aus der Filmbranche, aber längst nicht nur sie - zum Beispiel erheben EU-Parlamentarierinnen Vorwürfe. Warum sexuelle Gewalt oft mit Machtmissbrauch einhergeht und wie Frauen sich am besten schützen.

Bei der Verleihung der Golden Globes in Los Angeles zeigen sich die Stars der Filmbranche eigentlich in ihren schönsten Roben auf dem roten Teppich, viel Rot, Pink und Blau ist da zu sehen, viel Glitzer, Strass und Spitze.

Doch in diesem Jahr, bei der 75. Preisverleihung für die besten Filme, war alles anders als sonst: Viele der Hollywood-Größen erschienen zu der Veranstaltung Anfang des Jahres ganz in Schwarz. Damit zeigten sie ihren stummen Protest gegen Sexismus und sexuelle Übergriffe und setzten ein Zeichen der Solidarität mit der weltweiten "MeToo"-Bewegung.

Es ist eine starke Bewegung, die im Oktober vergangenen Jahres ihren Anfang genommen hat und von der Amerikanerin Alyssa Milano ausgelöst wurde. Die Schauspielerin, die selbst sexuelle Übergriffe erlebt hat, rief im Internet dazu auf: "Wenn alle Frauen, die sexuell belästigt oder missbraucht wurden, ,Metoo' als Status schreiben, können wir den Menschen das Ausmaß des Problems bewusst machen."

Das englische "Me too" bedeutet "Ich auch" - und offenbar können das viele Frauen sagen: Innerhalb von 48 Stunden wurde das Schlagwort, in der Netzsprache Hashtag genannt, fast eine Million Mal verwendet; im sozialen Netzwerk Facebook nutzten knapp fünf Millionen Menschen den Begriff gleich am ersten Tag.

Das amerikanische Magazin "Time" hat die Initiatorinnen der Protest-Bewegung "MeToo" zur "Person des Jahres" 2017 erklärt, denn die Kampagne habe zu einer rasanten kulturellen Veränderung geführt. Die Bewegung betraf zunächst vor allem die amerikanische Filmbranche. Filmproduzenten wie Harvey Weinstein, aber auch zahlreichen anderen Regisseuren, Produzenten und Schauspielern werden sexuelle Belästigung, Nötigung oder Vergewaltigung vorgeworfen.

Inzwischen hat sich die "MeToo"-Bewegung internationalisiert, die Diskussion wird beispielsweise ebenso in Kanada, Frankreich und selbst in einigen arabischen Ländern geführt. Auch in Deutschland haben sich viele Frauen beteiligt und ihre Erfahrungen geteilt.

Über Monate wurde die Debatte allerdings anonym geführt, bis auch in Deutschland ein erster Name fiel: Im "Zeit-Magazin" und später in der "Zeit" warfen im Januar verschiedene Schauspielerinnen Dieter Wedel sexuelle Übergriffe vor, die der Regisseur in einer eidesstattlichen Erklärung zwar zurückwies.

Nach der zweiten Veröffentlichung sahen sich die Fernseh-Anstalten der ARD, für deren Produktionen Wedel tätig war, gezwungen, die Aufarbeitung der Frage anzugehen, warum denn eigentlich schon in den 80er- und 90er-Jahren bekannten Vorwürfen nicht nachgegangen worden ist und warum man den Regisseur geschützt und die Schauspielerinnen seinen Machenschaften ausgesetzt hat. Gerade dieser Übereinkunft, die Dinge einfach vertuschen zu wollen, setzt die "MeToo"-Debatte die Menge und die Prominenz der betroffenen Frauen gegenüber.

Für Gesa Birkmann, Bereichsleiterin unter anderem für das Referat für häusliche und sexualisierte Gewalt bei der Frauenrechtsorganisation "Terre des Femmes" in Berlin, sind die Mechanismen auch auf andere Branchen übertragbar: "Sexualisierte Gewalt ist ein Ausdruck von Machtmissbrauch insbesondere am Arbeitsplatz, den sich nur die leisten können, die Macht ausüben. Das geschieht immer von oben nach unten, niemals umgekehrt."

 Viele Führungsetagen seien nach wie vor männlich dominiert, und manche Führungskräfte versuchten durch gezielte Herabwürdigung von Frauen, aber auch von Männern, ihre Machtposition zu zeigen und zu verfestigen. Das muss nicht immer durch Übergriffe erfolgen - sexualisierte Gewalt fängt nach Einschätzung der Frauenrechtlerin schon bei abwertenden Sprüchen an, die sich auf den Körper eines Menschen oder seine sexuelle Orientierung beziehen.

Schon einmal, vor fünf Jahren, hat es in Deutschland eine ähnliche Debatte gegeben, die Diskussion unter dem Schlagwort "Aufschrei". Auslöser war damals, dass eine Journalistin öffentlich machte, wie sie sich von einem Politiker anzügliche Bemerkungen anhören musste. Daraufhin begann eine Sexismus-Debatte, die aber nur hierzulande geführt wurde. Die Diskussion schien abgeebbt, doch Gesa Birkmann glaubt, dass sich dadurch bereits etwas verändert hatte: "Aufschrei war eine Zäsur und ist nicht vergessen.

 Viele Diskussionspunkte werden jetzt wieder aufgegriffen." Dass "MeToo" eine größere Kraft entwickelt, liegt nach ihrer Einschätzung daran, dass es sich um eine internationale Bewegung handelt und sich auch viele prominente Frauen in die Debatte eingeschaltet haben. Doch warum melden sich erst jetzt so v viele Frauen zu Wort, viele Jahre nach den Übergriffen, sodass sie verjährt sind und nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden können?

Die "Terre des Femmes"-Expertin denkt, dass Frauen sich durch das Beispiel anderer Frauen ermutigt fühlen und durch die "MeToo"-Debatte jetzt erstmals eine Plattform gefunden haben, die es ihnen erlaubt, ihre Erfahrungen von sexueller Belästigung oder sexualisierter Gewalt zu teilen, ohne dafür belächelt, ausgegrenzt oder erneut verletzt zu werden.

Dass knapp die Hälfte aller Frauen, 43 Prozent, schon einmal sexuell belästigt wurde, zeigt eine Umfrage des Instituts YouGov, das im Auftrag der Deutschen Presseagentur im vergangenen Jahr rund 2000 Bürgerinnen und Bürger befragte. Bei den Männern gaben zwölf Prozent an, bereits bedrängt worden zu sein, während 18 Prozent zugaben, sich schon einmal so verhalten zu haben, dass andere das als "unangemessen oder sexuell bedrängend empfunden haben könnten".

Doch wie können Frauen - und auch Männer - sich besser schützen, vor allem am Arbeitsplatz? Die Gewerkschaft Verdi empfiehlt, einen Vorfall keinesfalls zu verschweigen, sondern sich zunächst mit Vertrauten, etwa dem Partner, Freundinnen oder Kolleginnen zu besprechen. Sinnvoll ist ebenso, sich am Arbeitsplatz Hilfe in Form der Frauenbeauftragten oder des Betriebsrats zu suchen und ein Gedächtnisprotokoll der Ereignisse anzufertigen.

Auch Gesa Birkmann rät dazu, von Anfang an - schon bei sexistischen Sprüchen - eine Grenze zu ziehen und zu sagen, dass man solches Verhalten nicht duldet. Wichtig ist aber ebenso, dass die Kolleginnen und Kollegen Solidarität zeigen und der Arbeitgeber deutlich macht, dass ein Fehlverhalten in jedem Fall sanktioniert wird. Denn es geht eben um Machtmissbrauch: Das Klima wird von oben nach unten bestimmt. "

Stand: 28.08.2018