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100 Jahre Frauenwahlrecht - 100 Jahre Frauengeschichten

Seit Frauen am 19. Januar 1919 erstmals wählen durften, haben sie sich nicht mehr von ihrem Weg zu mehr Selbstbestimmung abbringen lassen. In dieser Serie stellen wir starke Frauen aus zehn Jahrzehnten vor, die Politik, Gesellschaft und Kirche prägten und für Freiheit, Glauben und Gleichberechtigung eingetreten sind. Alle historischen Frauenporträts im Überblick

Folge 5: Elisabeth Selbert (1896-1986)

 

Die Sternstunde ihres Lebens

"Frauen und Männer sind gleichberechtigt": Seit 70 Jahren steht dieser Satz in Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes. Die Formulierung haben wir Elisabeth Selbert zu verdanken, einer der vier "Mütter des Grundgesetzes". Dabei wäre die emanzipierte, willensstarke Frau mit ihrem Vorhaben fast gescheitert.

Von Melanie Walfort

"Der gestrige Tag, an dem [...] die Gleichberechtigung der Frau in die Verfassung aufgenommen worden ist, dieser Tag war ein geschichtlicher Tag, eine Wende auf dem Wege der deutschen Frauen der Westzonen. Lächeln sie nicht, es ist nicht falsches Pathos einer Frauenrechtlerin, das mich so sprechen lässt. Ich bin Jurist und unpathetisch und ich bin Frau und Mutter und zu frauenrechtlerischen Dingen gar nicht geeignet."

Hinter Elisabeth Selbert liegen harte Wochen, als sie diese Sätze im Januar 1949 im Rundfunk spricht. Die 52-jährige Juristin und Sozialdemokratin ist Mitglied des Parlamentarischen Rates, der die Aufgabe hat, eine Verfassung für Westdeutschland zu erarbeiten.

Für den Gleichberechtigungssatz im Grundgesetz

Wenige Stunden vor ihrer Radioansprache wird die von ihr vorgeschlagene Formulierung "Frauen und Männer sind gleichberechtigt" in das Grundgesetz aufgenommen. Dass es im Vorfeld massive Widerstände dagegen gegeben hat, das hat Elisabeth Selbert wohl am meisten erstaunt.

Am 22. September 1896 wird sie als Martha Elisabeth Rohde in Kassel in einfache Verhältnisse geboren. Der Vater arbeitet als Gefangenenaufseher, die Mutter ist Hausfrau. Nach dem Abschluss der Volksschule wechselt die Tochter 1907 auf die Mittelschule. Ihre Leistungen sind so gut, dass sie von der Schulgeldzahlung befreit wird. Aber eine Ausbildung an der Höheren Mädchenschule ist finanziell nicht möglich und somit auch keine akademische Laufbahn - vorerst nicht.

Frauen, wie alle, die im Leben etwas leisten wollen, müssen fundiertes Wissen bieten."

Elisabeth Selbert besucht eine Gewerbe- und Handelsschule, arbeitet in einer Import- und Exportfirma als Auslandskorrespondentin und als Postgehilfin im Telegrafendienst. 1918 lernt sie Adam Selbert kennen, einen Buchbinder und aktiven Sozialdemokraten. Sie heiraten 1920 und bekommen zwei Söhne. Elisabeth Selbert tritt in die SPD ein und beginnt, sich politisch zu engagieren.

Schnell merkt sie, dass "Frauen, wie alle, die im Leben etwas leisten wollen, fundiertes Wissen bieten müssen". Mit 30 Jahren holt sie ihr Abitur nach und studiert Rechts- und Staatswissenschaften in Marburg und Göttingen. Unter den 300 Studenten ist Elisabeth Selbert eine von nur fünf Frauen.

1930 legt sie ihr erstes juristisches Staatsexamen ab und schreibt ihre Doktorarbeit über "Ehezerrüttung als Scheidungsgrund". Es wird noch 40 Jahre dauern, bis 1977 das Zerrüttungsprinzip in das Scheidungsrecht aufgenommen und das Schuldprinzip abgeschafft wird.

1934 wird Elisabeth Selbert als Rechtsanwältin zugelassen - noch rechtzeitig, bevor es ihr unter den Nationalsozialisten nicht mehr möglich gewesen wäre. Weil ihr Ehemann seine Arbeit aus politischen Gründen verliert, ist sie die nächsten Jahre Hauptverdienerin der Familie. 

Eine von vier Frauen im Parlamentarischen Rat

Nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes und dem Ende des Zweiten Weltkrieges nimmt Selbert ihre parteipolitische Arbeit wieder auf, 1946 wird sie in den Hessischen Landtag gewählt, 1948 für die SPD in den Parlamentarischen Rat entsandt.

Frauen gehören in diesem Gremium zur absoluten Minderheit. Neben 61 Männern arbeiten vier Frauen an einer neuen Verfassung mit: Elisabeth Selbert, Friederike Nadig, Helene Weber und Helene Wessel.

"Wir müssen weiter gehen als Weimar", so viel steht für Elisabeth Selbert beim Thema Gleichberechtigung fest. Bereits 1920 - die Weimarer Republik ist noch ganz jung - notiert sie dazu, dass "wir zwar heute die Gleichberechtigung für unsere Frauen haben, dass aber diese Gleichberechtigung immer noch eine rein papierne ist."

In einer Demokratie ist staatliches Leben, ist ein Gemeinschaftsleben ohne die Gleichberechtigung von Mann und Frau nicht möglich, nicht denkbar und auch nicht vertretbar."

In der Weimarer Reichsverfassung werden Frauen als gleichberechtigte Staatsbürgerinnen anerkannt. In Artikel 109 heißt es dazu: "Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichte."

Doch was heißt "grundsätzlich"? Die Historikerin Kirsten Heinsohn erklärt: "Gesellschaftlich war die Auffassung, dass Männer und Frauen 'grundsätzlich' verschieden seien, so tief verankert, dass die wenigen Frauenrechtlerinnen und Politiker [in der Weimarer Republik], die sich für die Gleichberechtigung ohne Einschränkungen einsetzten, kaum Gehör fanden."

Die Mehrheit im Parlamentarischen Rat hätte den Gleichberechtigungsparagraphen aus der Weimarer Reichsverfassung am liebsten für das Grundgesetz übernommen. Wenn Elisabeth Selbert nicht gewesen wäre.

Doch für sie ist klar: "In einer Demokratie ist staatliches Leben, ist ein Gemeinschaftsleben ohne die Gleichberechtigung von Mann und Frau nicht möglich, nicht denkbar und auch nicht vertretbar."

Rückblickend notiert sie: "Ich hatte nicht geglaubt, dass 1948/1949 noch über die Gleichberechtigung überhaupt diskutiert werden müsste und ein ganz erheblicher Widerstand zu überwinden war! Aber ich habe es dann doch mit Hilfe der Proteste aller Frauenverbände geschafft. Es war ein harter Kampf ...".

Denn mehrmals wird ihr Formulierungsvorschlag "Frauen und Männer sind gleichberechtigt" im Parlamentarischen Rat abgelehnt. Im Winter 1948 droht sie: "Sollte der Artikel in dieser Fassung heute wieder abgelehnt werden, so darf ich Ihnen sagen, dass in der gesamten Öffentlichkeit die maßgeblichen Frauen wahrscheinlich dazu Stellung nehmen werden, und zwar derart, dass unter Umständen die Annahme der Verfassung gefährdet ist." Elisabeth Selbert hält Wort.

Mobilisierung der Öffentlichkeit

Nachdem ihr Antrag erneut scheitert, mobilisiert sie die Öffentlichkeit. Frauen schicken "waschkörbeweise" Postkarten, Stellungnahmen und Briefe nach Bonn und machen sich für die Aufnahme des Gleichheitssatzes in die Verfassung stark.

Mit Erfolg: Am 18. Januar 1949 wird die Formulierung angenommen und im Grundgesetz verankert. "Ich hatte gesiegt. [...] Es war die Sternstunde meines Lebens, als die Gleichberechtigung der Frauen damit zur Annahme kam", berichtet Elisabeth Selbert rückblickend.

1958 zieht sie sich aus der Politik zurück. Bis zu ihrem 85. Lebensjahr arbeitet sie weiter als Anwältin, spezialisiert auf Familienrecht. Sie stirbt am 9. Juni 1986 in Kassel, wenige Monate vor ihrem 90. Geburtstag.  

Weitere wichtige Frauen des Jahrzehnts 1950-1959

Als einzige Frau wurde Erna Schäffler 1951 ans Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe berufen, wo sie bis 1963 tätig war. Zuvor war die Juristin von den Nationalsozialisten als Halbjüdin mit einem Berufsverbot belegt worden. Zeitlebens setzte sich Schäffler für die Gleichberechtigung von Mann und Frau ein und beeinflusste so maßgeblich die Rechtsprechung, etwa beim Ehegattensplitting.

In Amerika dagegen erstrahlen die Sterne der großen Hollywood-Diven Grace Kelly, Marilyn Monroe und Elizabeth Taylor.

Stand: 17.04.2019