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100 Jahre Frauenwahlrecht - 100 Jahre Frauengeschichten

Seit Frauen am 19. Januar 1919 erstmals wählen durften, haben sie sich nicht mehr von ihrem Weg zu mehr Selbstbestimmung abbringen lassen. In dieser Serie stellen wir starke Frauen aus zehn Jahrzehnten vor, die Politik, Gesellschaft und Kirche prägten und für Freiheit, Glauben und Gleichberechtigung eingetreten sind. Alle historischen Frauenporträts im Überblick

Folge 9: Jutta Limbach

Die "Miss Marple" der Justiz

Die Frauen in Jutta Limbachs Familie waren "kämpfende Löwinnen", die die Professorin tief geprägt haben. Für die Berlinerin ging im September 1994 ein großer Traum in Erfüllung: Sie wurde zur ersten und bisher einzigen Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts gewählt.

Von Nadine Diab

"Liebe Ladies", so begrüßte sie gerne mit ihrer tiefen, leicht rauen Stimme ihre Zuhörerinnen. Die Aufmerksamkeit, die Sympathie, sie waren Jutta Limbach danach sofort sicher.

Gerne widmete sie sich in ihren Vorträgen einem ihrer Herzensthemen: der Gleichberechtigung der Frau. Obwohl sie sich selbst übrigens als "feministische Spätzünderin" bezeichnete.

Es gibt eine Episode, die das schön illustriert: Man schreibt das Jahr 1975. Jutta Limbach, am 27. März 1934 als Jutta Ryneck in Berlin geboren, ist zu diesem Zeitpunkt bereits habilitiert und zur Professorin für Zivilrecht an der FU Berlin berufen worden. Sie ist verheiratet mit Peter Limbach und Mutter der gemeinsamen Kinder Caroline, Daniel und Benjamin.

Ahnt sie da vielleicht schon, dass sie einige Jahre später Justizsenatorin des Berliner Senats werden und Erich Honecker und seinen Mitstreitern den Prozess machen wird? Dass sie es als erste Frau 1994 auf den Präsidentenstuhl des Bundesverfassungsgerichts schafft und später als Vorsitzende des Goethe-Instituts die deutsche Kultur in der Welt präsentieren wird? Wohl kaum, auch wenn man Jutta Limbach immer ein sehr großes Selbstbewusstsein nachgesagt hat.

"Kämpfende Löwinnen im Blut"

Aber zurück ins Jahr 1975. Limbach besucht eine Veranstaltung des Juristinnenbundes, hört sich interessiert Vorträge und Diskussionen an, kommt mit der Vorsitzenden Lore Maria Peschel-Gutzeit ins Gespräch.

Diese fragt die Professorin nach ihrem Eindruck und Jutta Limbach, bekannt dafür, geradeaus ihre Meinung zu sagen, erwidert: "Ach wissen Sie, Frau Peschel-Gutzeit, das ist ja schön und gut hier, aber in der heutigen Zeit braucht es doch wohl keine Damen-Kränzchen mehr."

Die Vorsitzende soll gelassen geantwortet haben: "Liebe Frau Professorin Jutta, dies hier ist alles andere als ein Häkelkreis. Setzen Sie sich und ich erzähle Ihnen, wofür der Juristinnenbund steht." Aus diesem Dialog erwächst nicht nur eine lebenslange Freundschaft, sondern auch der Wille einer aktiven Gemeinschaft, die es schafft, das bestehende Familienrecht zu reformieren und überholte chauvinistische Bollwerke zum Einstürzen zu bringen.

Sie hat "kämpfende Löwinnen im Blut", so beschreibt die Journalistin Karin Deckenbach in ihrem Buch "Jutta Limbach. Eine Biographie" Limbachs Wurzeln.

Geprägt von der kämpferischen Urgroßmutter

Maßgeblich prägte diese Familientradition aus Willensstärke, Durchsetzungsvermögen und Mut Limbachs Urgroßmutter Pauline Staegemann. Dass es in der Kaiserzeit Frauen verboten war, sich politisch zu engagieren, hinderte diese wagemutige Frau nicht daran, sich Hosen anzuziehen, die Haare unter einer Schirmmütze zu verstecken und als Paul aktiv an Versammlungen teilzunehmen.

Schon als kleines Kind beeindruckte Jutta Limbach sehr, was sich diese Vorfahrin alles getraut hatte. Deren Tochter, Großmutter Elfriede, stand der Mutter in nichts nach. Sie hielt stürmische Reden, setzte sich im Reichstag lautstark für Demokratie und Fortschritt ein. Auch sie hielt nie mit ihrer Meinung hinterm Berg.

Und so verwundert der folgende Ausspruch nicht: "Nun, meine Großmutter würde es wohl von mir erwarten." Das erwiderte Jutta Limbach nämlich dem Juristen Dieter Schröder, der ihr in ihrem Universitätsbüro höchstpersönlich das Angebot Walter Mompers unterbreitete.

Der hatte im Januar 1989 mit der Berliner SPD die Senatswahlen gewonnen und wollte die Professorin unbedingt in seiner Regierung. Und da das nicht nur ihre Großmutter erwartet hätte, sondern auch ihre Familie, mit der sich Jutta Limbach immer sehr intensiv besprach, sagte sie Momper zu.

Justizsenatorin in Berlin

Am 17. März 1989 trat Jutta Limbach ihr Amt als Senatorin für die Berliner Justiz an. Sie hatte schon viel erreicht, beruflich und privat, doch Erfahrungen in der praktischen Tagespolitik gehörten nicht dazu. Sie löste ihre neue Aufgabe mit Raffinesse und hatte in Berlin bald ihren Spitznamen weg: "Miss Marple".

Autor Christian Füller schrieb Ende Februar 1994 in der "taz": "Jutta Limbach, das ist die Miss Marple der Berliner Justiz. In ihren von Spitzen gerahmten Krägen wirkt die zierliche Frau auf den ersten Blick eher hausbacken.

Der Eindruck trügt: Sie versteht es, juristische Sachverhalte in eine klare und verständliche Sprache zu übersetzen. Sie tut das so gewandt, mit so viel Überzeugungskraft, dass immer eine Spur Verschlagenheit mitschwingt."

Noch keine vier Wochen im Amt, da hält sie mit einer Entscheidung ganz Berlin in Atem. Etliche Inhaftierte der Terrorgruppe Rote Armee Fraktion (RAF) sind im Hungerstreik, um ihre Zusammenlegung zu erzwingen. Jutta Limbach hat ihren eigenen und ganz klaren Standpunkt: Sie plädiert für eine partielle Zusammenlegung und spricht sich gegen Isolationshaft aus.

Genauso klar und nachdrücklich setzt sich Limbach für eine strafrechtliche Verfolgung der Regierungskriminalität und eine Anklageerhebung gegen den ehemaligen Generalsekretär der SED, Erich Honecker, ein. Der kommentiert das in einem Interview in Moskau gar mit "Hexenjagd" gegen ihn.

Der "Jahrhundertprozess" wird Honecker am Ende Freiheit bringen, er darf zu seiner Frau und Familie nach Chile ausreisen. Jutta Limbach bringt er fast um ihr Amt. Denn die Justizsenatorin beteiligt sich an einer Presseerklärung, die das Urteil scharf kritisiert. Vehement wird ihr Rücktritt gefordert. Am Ende fasst die Juristin den Fall Honecker und dessen Freilassung nüchtern zusammen: "Enttäuschend, aber rechtsstaatsgemäß."

Erste und bislang einzige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts

Doch das Leben geht weiter - und für Limbach wieder aufwärts bis an die Spitze: Im September 1994 wird sie zur ersten und bislang einzigen Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts gewählt.

Innerhalb kürzester Zeit arbeitet sich Jutta Limbach in Karlsruhe ein. Und auch hier bleibt sie sich treu, obwohl einige Urteile die gesamte Republik erregen.

Sie steht hinter dem sogenannten Kruzifix-Urteil des 1. Senats, nach dem Kreuze im Klassenzimmer abgehängt werden müssen, wenn auch nur ein Schüler dies verlangt.

Für große Empörung sorgt auch das Urteil zum Tucholsky-Zitat "Soldaten sind Mörder": Das Gericht ist der Meinung, Autoaufkleber mit diesem Zitat seien durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Limbach reagiert auf diese Vorwürfe mit enormem Weitblick. Sie führt "Tage der offenen Tür" beim Bundesverfassungsgericht ein und baut eine neue Pressestelle auf.

Präsidentin des Goethe-Instituts

Keine Stelle in ihrem beruflichen Leben, an der sie nicht Spuren hinterlässt. Es sind immer neue Rollen, neue Richtungen, neue Wege: Professorin, Politikerin, Verfassungshüterin, Präsidentin, schließlich oberste Vertreterin der deutschen Kultur im Ausland - auch damit ist Jutta Limbachs Name verbunden:

Im Mai 2002 wird sie Präsidentin des Goethe-Instituts, bis 2008 hat sie die Funktion inne. Ihr besonderes Engagement gilt der Förderung der deutschen Sprache im Ausland und einem mehrsprachigen Europa, das sie auf die prägnante Formel brachte: "Englisch ein Muss, Deutsch ein Plus."

Jutta Limbach hat einmal gesagt: "Man lernt bis zum letzten Tag wahrscheinlich seines Erdenlebens." Mit ihrer Lebensgeschichte hat sie es eindrücklich bewiesen. Am 10. September 2016 stirbt sie im Kreis ihrer Angehörigen in Berlin.

Weitere wichtige Frauen des Jahrzehnts 1990 bis 1999

Maria Jepsen wurde im April 1992 zur Bischöfin von Hamburg und damit zur ersten evangelisch-lutherischen Bischöfin der Welt gewählt. Im Hamburger Michel nahm sie das Amtskreuz entgegen. Im Jahr 2010 trat sie als Folge eines Missbrauchsskandals in der nordelbischen Kirche von ihrem Amt zurück, ihr wurde Vertuschung vorgeworfen.

Von 1993 bis 2005 regierte mit Heide Simonis (SPD) in Schleswig-Holstein zum ersten Mal eine Frau als Ministerpräsidentin in Deutschland. Zwölf Jahre war sie im Amt.

Stand: 29.10.2019