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Erste Hilfe für die Seele

Claudia Stawicki aus Ratingen steht als ehrenamtliche Notfallseelsorgerin Menschen in schweren Krisensituationen bei. Aus ihrer Erfahrung weiß sie: Am meisten kommt es bei ihrer Arbeit darauf an, zuhören zu können und da zu sein.

Von Jutta Oster

Das ist vielleicht das Schwerste an ihrer Aufgabe: Aushalten zu müssen, dass sie nichts tun kann. Zusehen zu müssen, dass einem Menschen der Boden unter den Füßen weggerissen wird, dass in seiner Welt nichts mehr so ist, wie es bis vor einem Augenblick noch war. Und dennoch einfach da zu sein.

Claudia Stawicki aus Ratingen ist als ehrenamtliche Notfallseelsorgerin dabei, wenn die Polizei einem Menschen eine Todesnachricht überbringen muss, und bleibt auch dann noch, wenn die Beamten längst das Wohnzimmer verlassen haben.

Sie ist eine von 7500 Notfallseelsorgerinnen und -seelsorgern in Deutschland, die über Rettungsdienste und Polizei immer dann alarmiert werden, wenn Menschen Beistand in den schwersten Augenblicken ihres Lebens brauchen: etwa wenn der Partner oder ein anderes nahes Familienmitglied überraschend verstorben ist, wenn Verletzte nach einem Verkehrsunfall betreut werden müssen oder sich ein Unglück ereignet hat, zum Beispiel ein Flugzeugabsturz oder Großbrand.

Zuhören und da sein

Claudia Stawicki arbeitet seit drei Jahren ehrenamtlich bei der Ökumenischen Notfallseelsorge im Kreis Mettmann. Einmal pro Monat, 24 Stunden lang, steht sie auf Abruf bereit.

Offen, freundlich und zugewandt wirkt die 52-Jährige mit den kurzen, dunklen Haaren, der schwarzen Metallbrille und den wachen Augen, die ihr Gegenüber neugierig anfunkeln. Man kann sich gut vorstellen, dass Menschen ihr Vertrauen schenken und ihr die Tür öffnen - zu ihrem Zuhause, aber auch zu ihrer Trauer.

Bei den meisten Fällen, zu denen sie bislang gerufen wurde, handelte es sich um einen plötzlichen Tod oder Suizid. Die Notfallseelsorgerin sieht ihre Aufgabe darin, zuzuhören und bei den Menschen zu sein, meistens so lange, bis andere Familienangehörige oder Freunde eintreffen.

Manchmal bietet sie auch ein Gebet für den Verstorbenen oder einen Spaziergang um den Block an. Und hin und wieder bittet sie die Betroffenen einfach, einen Kaffee zu kochen - solch eine Alltagshandlung kann dazu beitragen, dass Menschen in einer Ausnahmesituation wieder stabiler werden.

Für sie ist es das Wichtigste, im ersten Moment des Schocks da zu sein. "Wir wissen heute aus der Traumaforschung, dass man früh viel tun kann. Wenn Menschen in einer Schocksituation jemanden an ihrer Seite haben, lässt sich die Gefahr schwerer psychischer Folgen verringern", sagt Claudia Stawicki.

Manche Fälle gehen aber auch der Notfallseelsorgerin nach: Zum Beispiel der des Vaters, der seinem sechsjährigen Sohn erklären musste, dass die Mutter nicht mehr lebt, weil sie sich umgebracht hat.

Eigentlich vermeidet Claudia Stawicki Körperkontakt bei ihren Einsätzen, aber in dieser Situation hat sie dem Vater die Hand auf die Schulter gelegt - um ihm den Rücken zu stärken.

Ihr Glaube trägt sie

Solche Geschichten bleiben der 52-Jährigen zwar im Gedächtnis, doch in der Regel gelingt es ihr, nach einem Einsatz abzuschalten. "Wenn mir alles zu nahe gehen würde, könnte ich die Arbeit auf Dauer nicht machen", sagt sie.

Ihr hilft es nach einem Einsatz am meisten, sich mit anderen Seelsorgerinnen oder Seelsorgern ihrer Gruppe auszutauschen, bei einem Kaffee oder am Telefon. Zum Austausch treffen sie sich auch einmal im Monat.

Claudia Stawicki hat aber ebenso ein Ritual, das sie vor jedem Einsatz praktiziert: Wenn das Handy klingelt, geht sie noch einmal zur Toilette, greift nach ihrer Tasche, in der sie immer den Notfallseelsorger-Teddy mitnimmt, falls Kinder betroffen sind, und hält dann ein kurzes Zwiegespräch mit Gott.

Sie bittet darum, dass er bei dem Einsatz bei ihr ist. "Aber ich weiß, dass er das ist", sagt sie. Ihr katholischer Glaube trägt sie bei ihrer Arbeit als Seelsorgerin. "Ich vertraue darauf, dass ich nur in Situationen komme, die ich auch schaffen kann." Das heißt nicht, dass sie die Antwort darauf weiß, warum Menschen schwere Schicksalsschläge widerfahren.

Gut für sich selbst sorgen, die eigenen Grenzen respektieren: Das möchte Claudia Stawicki auch anderen ehrenamtlichen Notfallseelsorgerinnen und -seelsorgern vermitteln.

Als sie vor drei Jahren nach einem Ehrenamt - zusätzlich zu ihrem Hauptberuf als Leiterin der Volkshochschule Ratingen und als nebenberufliche Psychotherapeutin in eigener Praxis - Ausschau gehalten hat, ist sie durch Medienberichte immer wieder auf die Notfallseelsorge gestoßen.

Neun Monate Ausbildung

Das Ehrenamt reizte sie und passte gut in ihren Alltag. Schnell kam sie mit einem der hauptamtlichen Notfallseelsorger im Kreis Mettmann, dem evangelischen Pfarrer Jürgen Draht, überein, dass sie nicht nur selbst Seelsorgerin wird, sondern mit ihm zusammen auch die Ausbildungsgruppe leitet.

Denn viele Themen waren Claudia Stawicki als Pädagogin, Therapeutin und Supervisorin schon aus ihren eigenen Ausbildungen vertraut. Neun Monate dauert die Ausbildung zur Notfallseelsorgerin. Gesprächstechniken lernen die Teilnehmer dabei beispielsweise, zuhören zu können und nicht gleich mit Ratschlägen dabei zu sein, Wissen über den Umgang der Religionen mit Sterben und Tod, aber auch Organisatorisches, etwa für Großeinsätze.

Hat das Ehrenamt den Blick der Notfallseelsorgerin auf ihr eigenes Leben verändert? Bei dieser Frage muss Claudia Stawicki nicht lange überlegen. "Oh ja, ich bin viel dankbarer dafür geworden, wie gut es mir geht."

Hintergrund

Die Notfallseelsorge ist ein ökumenisches Angebot der Kirchen, das allen Menschen, unabhängig von ihrem Glauben, offensteht.

Die Notfallseelsorge arbeitet bundesweit und ist an 365 Tagen im Jahr 24 Stunden pro Tag besetzt. Bei größeren Einsätzen werden Notfall­seelsorger aus vielen Teilen des Landes zusammengerufen.

Dies war beispiels­weise beim Love-Parade-Unglück in Duisburg (2010) der Fall, genauso wie beim Absturz der Germanwings-Maschine im Jahr 2015. Damals waren etwa mehrere Notfallseelsorger am Joseph-König-Gymnasium in Haltern am See im Einsatz, da sich eine Schülergruppe unter den Opfern befand.

Notfall­seelsorge finanziert sich zum Teil über Spenden.

Mehr dazu unter: www.notfallseelsorge.de

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Stand: 18.12.2018